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Kerstin Mayers „Perlenreif“
© René Arnold

"Beautiful Mind" im Kunstgewerbemuseum: Pracht und Pappmaché

Die Ausstellung „Beautiful Mind. Ein Schmuckstück für Cranach“ im Kunstgewerbemuseum zeigt zeitgenössische Schmuckkunst im Spiegel der Renaissance.

Auf diesen prunkvollen Kragen hätten die Wittenberger Meister, die unter dem Namen Lucas Cranach, der Ältere und der Jüngere, bekannt geworden sind, sicher bass erstaunt reagiert. Zwar ist der schimmernde viereckige Halsschmuck von Yvonne Galley-Knappe mit Blattgold belegt und mit Spiegelglas und Silber verziert, doch das vorherrschende Material ist – Blasenfolie. Ein schnöder Kunststoff, den weder die Porträtmaler der Renaissance noch deren adelige Kunden, geschweige denn die Goldschmiede als nobel empfunden hätten. Vom heutigen Betrachter nach der ersten geglückten Täuschung ganz zu schweigen.

„Mehr Schein als Sein“, wie die Schmuckdesignerin das ebenso witzige wie dekorative Stück tituliert hat, gehört zu den Gimmicks der Ausstellung „Beautiful Mind. Ein Schmuckstück für Cranach“ im Kunstgewerbemuseum. Sie versammelt 51 Werke zeitgenössischer Schmuckkünstler – als Nachhall des 2015 mit Pomp und PR-Gewittern in Sachsen-Anhalt begangenen Cranach-Jahres. Das Großereignis vor Augen, lobte die Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt einen nationalen Wettbewerb aus, an dem sich 100 deutsche Schmuckkünstler mit ihrer Interpretation jener Geschmeide beteiligten, die die Cranachs auf ihren Gemälden verewigten. Dass die in der Renaissance beliebten Werkstoffe Gold, Silber, Edelsteine, Perlen und Emaille sich inzwischen um Plastik, Gummi, Holz oder Pappmaché erweitert haben, ist da nur folgerichtig. Zumal die Zurschaustellung von persönlichem Reichtum und sozialem Rang heute weit weniger in Mode ist als im in Prunk und Protz verliebten 16. Jahrhundert. Mag das Gen der Selbstdarstellung auf immer Teil der menschlichen DNA sein.

Güldene Herrlichkeit

Das Kunstgewerbemuseum kontrastiert die Schmuckstücke, die über die knappen Infos zu Schöpfer, Material und Intention hinaus allerdings eine umfänglichere textliche Einbettung vertragen hätten, direkt mit hauseigenen Prunkstücken wie dem Lüneburger Ratssilber, der Weltallschale für Kaiser Rudolf II. oder dem 1562 in Antwerpen für den Abt des Klosters Averbode angefertigten „Kreuz von Averbode“.

Angesichts dieser güldenen Herrlichkeiten gibt sich die mit dem ersten Preis des Wettbewerbs gekürte Brosche von Bettina Dittlmann spektakulär zurückhaltend. Und doch ist der runde, an einen Topfkratzer erinnernde Brustschmuck aus dunkelgrauem Eisendraht, in dem Granate funkeln, ein Wunder an ästhetischer Raffinesse und Handwerkskunst. Deren Blüte in der Renaissance mit heutigen Materialien und Herstellungsprozessen zu zitieren, ist der Anspruch renommierter Schmuckkünstler wie Dorothea Prühl, Thomas Schleede, Claudia Baugut und Georg Dobler. Dabei kommt auch 3-D-Laserfertigungstechnik ins Spiel.

An die Formensprache des 16. Jahrhunderts und der Cranach-Gemälde lehnt sich Beate Eismanns Halskette „Absence = Presence“ aus Gold, patiniertem Silber und Kunststoff direkt an, die den zweiten Platz im Wettbewerb belegte. Mit den Anhänger hat sie die Silhouetten von Frauengestalten aus den Bildern „Bildnis der Anna von Minckwitz“, „Bildnis einer Edelfrau“ und „Porträt einer Dame“ nachempfunden. Die Hommage an den jüngeren Cranach bricht zwar die Prächtigkeit und Repräsentation des Renaissanceschmucks ironisch und macht sie trotzdem spürbar.

Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, bis 29. August; Di bis Fr 10–18 Uhr, Sa / So 11–18 Uhr.

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