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Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy

© Soeren Stache/dpa

Vortrag von Bénédicte Savoy: Provenienzen endlich sichtbar machen

Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy fordert auf einer Tagung in Berlin das Ende der europäischen „Provenienz-Amnesie“.

Für Klein-Bénédicte war es ein erhellender Moment, als der Nachrichtensprecher des französischen Fernsehens am 19. Juni 1978 von einer Initiative des Unesco-Generaldirektors M’Bow berichtete, der die Rückgabe von geraubtem Kunstgut forderte. Das sei lächerlich, gab der Kommentator zu verstehen, da könne man ja gleich den Obelisk von der Place de la Concorde nach Luxor retournieren. Überhaupt gebe es da Dinge, „die wir lieber nicht erfahren“. Damit war die Neugierde der damals Sechsjährigen geweckt. Heute ist Bénédicte Savoy eine der profiliertesten Provenienzforscherin der Bundesrepublik und hat sich ihren Sensus für solcherart „Familiengeheimnisse“ bewahrt, wie sie bei einer Tagung des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel am Berliner Wissenschaftskolleg demonstrierte.

Die französische Kunsthistorikerin, Professorin an der TU Berlin, erinnerte in ihrem Vortrag an die Rückgabe von 30 Gemälden, die im besetzten Frankreich geraubt worden waren. Die Geste sollte die deutsch-französische Freundschaft besiegeln. Wie die Bilder aber nach Deutschland kamen, wem sie gestohlen wurden, blieb ungesagt. „Provenienz-Amnesie als Programm“ mache alles nur noch schlimmer, so Savoy. „Kein Wunder, dass es mit Europa auf dieser Basis nicht klappt.“

Umso mehr elektrisierte sie die jüngste Ankündigung Macrons, die Schädel algerischer Widerstandskämpfer, die 1849 exekutiert worden waren, kurzerhand zurückzugeben. Sie befinden sich heute im Musée de l’Homme. Während in Berlin die 1000 Schädel der Luschan-Sammlung erst zwei Jahre lang durch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf ihre Herkunft beforscht werden, um dann zu überlegen, wem sie in Ruanda auszuhändigen wären, wird nach der überraschenden Ankündigung Macrons am Pariser Musée de l’Homme die Rückgabe bereits vorbereitet.

Wenigstens die Schildchen neu schreiben

Zwei Formen des Umgangs mit Vergangenheit stehen hier einander diametral gegenüber: die große Geste und die akribische Recherche. Welcher der Vorzug zu geben sei, will auch Bénédicte Savoy nicht entscheiden. Stattdessen appellierte sie dafür, so transnational wie möglich die Auseinandersetzung anzugehen. Zugleich forderte sie, genauer auf die Stimmen der Opfer zu hören. Als ausgewiesene Expertin für Napoleons Kunstraub in Deutschland hat sie schon früh die Seite der Beraubten studiert. Damals hieß es, die Kunst sei im Louvre besser aufbewahrt, in Deutschland kämen die Museen Ställen gleich.

Diese Argumentation ist heute mancherorts wieder zu hören, um Rückgabeforderungen abzuwehren. Zu den besonderen Volten der Geschichte aber gehört es, dass sich Alexander von Humboldt damals für den Verbleib der Kunst in Paris aussprach. Doch auf den Kosmopoliten wollte niemand hören. Die Heimholung der Kunst galt als nationale Angelegenheit. Auch hier mochte sich Savoy auf keine der beiden Seiten schlagen. Nur so viel gab sie mit: Die Museen müssten endlich die Provenienzen ihrer Kunst sichtbar machen, auch wenn längst nicht alles ausgeforscht ist. Dann schriebe man halt das Schildchen neben einem Gemälde neu. Wenigstens das.

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