
© dpa/Daniel Maurer
Rainald Goetz, Jule Lobo und der Fun: Schönheit und reale Trashigkeit
Der Schriftsteller Rainald Goetz erklärt, was er neuerdings bei Instagram sucht: „die Logik einer objektiv in sich schönen Sukzession“. Das Erzählen überlässt er lieber anderen.
Stand:
Es war der Tag nach Trumps Wahlsieg, an dem der Schriftsteller Rainald Goetz mit dem Schreiben seines Instagram-Tagebuchs begann.
Er postete den Kassenbon eines Buch- und Zeitungsladens an der Berliner Friedrichstraße, knapp neunzig Euro hatte er für Medienerzeugnisse ausgegeben. Darunter schrieb er die Zeilen „das Telefon läutet, Jahre waren vergangen“, auch als Hinweis auf seine lange Social-Media-Abstinenz.
Seitdem lädt Goetz täglich ein Foto bei Instagram hoch, jeweils versehen mit eigenen Kommentaren und Texten dazu. Zum Beispiel zu einem CNN-Screenshot mit Trump: „Ins Gefängnis muss Trump nicht“. Oder einer Nachtansicht vom Schiffbauerdamm in Berlin: „Der Schmutz kommt ja in Kübeln, da halten wir gegen. Right on, right on.“
Wieviel Ich ist nötig, wieviel Gegenwart, wieviel Weltobjektivität?
Rainald Goetz über das Erzählen auf Instagram
Am vergangenen Wochenende nun hat er sich mit dem Medium genauer auseinandergesetzt und versucht, Fragen zum Erzählen auf Instagram zu beantworten: „Wieviel Ich ist nötig, wieviel Gegenwart, wieviel Weltobjektivität?“
Von „schwellenschwacher Akzeptanz“ und „spontaner Affirmation im Hinguckmoment der Initialrezeption“ spricht Goetz, von Freude, auf die dann womöglich auch ein, zwei Gedanken folgen. Auf Elon Musks X regiere der Hass, „weil wortgetrieben“, auf Instagram die Liebe, „weil bildgetragen“, aber, schließt er an: „But LOVE is not enough“.
Goetz sucht, so schließt er, „die Logik einer objektiv in sich schönen Sukzession“, und diese tägliche Suche sei der reine „Fun“. Das mit der schönen Sukzession und dem es „Anders-machen-Wollen“, „die Ideen, die Bilder abfeiern“, wie Goetz eingangs erklärt, ist natürlich edel, um nicht zu sagen kunstreligiös, dem Anspruch, der Sozialisation und dem Alter des Georg-Büchner-Preisträgers angemessen.
Abfall für alle 2.0.
Tatsächlich hatte man sich ja gefragt, warum der Schriftsteller jetzt erst die Plattform als Medium für sich entdeckt hat, gerade weil er Ende der Neunzigerjahre mit seinem Internet-Tagebuch „Abfall für alle“ seiner Zeit voraus war und er im Fortlauf seiner Tätigkeit auch immer wieder Texte mit Fotos kombiniert oder auch Fotos ganz allein erzählen lassen hatte.
Sein Post vom Samstag, den 18. Januar 2025-LXXV, wie er nummeriert ist, erläutert diesen späten Einstieg, unter einem Foto, das Goetz dabei zeigt, wie er mit einer kleinen Kamera sein Gegenüber ablichtet und sichtlich Spaß dabei hat. Das Erzählen, sowieso nicht seins, das ist auf Instagram scheinbar unmöglich, wie er erkennt; auch „das Textprinzip assoziativ gebauter Texte“ sei zu wirr für dieses Medium, es bleiben also nur Liebe, Spaß und Schönheit.
Privatköchin von drei kleinen Jungs
Trotzdem darf man sicher sein, dass der Printfetischst, der Goetz nun einmal ist, sein Tagebuch auf Instagram bald als Buch veröffentlichen lässt, in seiner blauen Werkreihe als siebten Teil von „Schlucht“, ganz im Gefolge eines Clemens Setz, der das letztendlich mit seinen Twittergedichten auch tat.
Dass das Erzählen auf Instagram sowieso anders läuft und seine eigenen Gesetze hat, dürfte Goetz nicht entgangen sein. State of the art sind Stories und Bilderserien, nicht „ein Bild, ein Wort“. Zum Beispiel, willkürlich herausgegriffen, die tägliche Familienstandsmeldung einer Jule Lobo, die mit knapp 60.000 zwanzig Mal mehr Follower auf Instagram hat als Goetz.
Lobo hat zusammen mit ihrem Mann einen wöchentlichen News-Podcast, führt darüber hinaus jedoch eine grundsätzliche digitale Existenz und berichtet tagtäglich von ihrem Familienalltag mit Mann und vor allem den drei sehr kleinen Kindern, die korrekterweise immer nur von hinten zu sehen sind.
„Also“, hebt Lobo an diesem Wochenende, da Goetz seiner Instagram-Motivation versucht auf die Spur zu kommen, in ihrer Küche stehend an und erzählt in ihrem, wie es scheint, neu aufgelegten „FrühstücksVlog“, was so geht bei ihr: „Es ist fünf Uhr morgens, ich schminke mich immer direkt nach dem Aufstehen, deswegen sehe ich flawless aus, aber ich fühle mich wie Scheiße, lasst euch bitte nicht täuschen von dem Look. Unsere Jungs sind gerade drei, zwei und eins, es ist meistens so, ich würde sagen, dass sie vierzig Prozent dieses Frühstücks essen, den Rest nicht. Das hat auch damit zu tun, dass ich auf dem Weg in die Kita ihnen Macarons kaufe, man sollte das nicht machen, ich mache es trotzdem, judget mich, ist mir scheißegal, ich bin um fünf Uhr morgens auf und mache meinen Kindern Frühstück, was wollt ihr?“.
Danach gibt es noch eine kleine Beerenlese, Tipps, wie die sich besser halten, einen Hefezopf, der aus dem Ofen geholt wird, und fertig ist die Jule-Lobo-Erzählung, der Frühstücks-Vlog. So wie es Rainald Goetz beschrieben hat, „hallo da bin ich, ich bin gerade da, das habe ich gesehen, erlebt, gegessen, gefeiert, es war toll“.
Fortsetzung folgt, und es wird wieder ums Essen gehen, knapp 1000 Likes geben und so einige begeisterte Kommentare. Von Schönheit, wie Rainald Goetz, sie sich in der Tradition alter Meister vorstellt, wird diese Fortsetzung weit entfernt sein. Kunst und soziale Medien vertragen sich in ihrer Erscheinungsform eben doch nur schwer.
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