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Ausstellungseröffnung von „Three Doors“ mit Çetin Gültekin, dessen Bruder Gökhan bei dem Anschlag in Hanau ermordert worden ist.

© Haus der Kulturen der Welt / Miguel Brusch / HKW

Rassistische Anschläge in Hanau: Angehörige der Opfer führten durch die Berliner Ausstellung

Die Recherchegruppe Forensic Architecture übt Kritik an der Aufklärungsarbeit der Polizei und präsentiert Beweise im Haus der Kulturen der Welt.

Armin Kurtović ist da, gemeinsam mit seiner Frau Dijana. Im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt springt er ohne lange Vorrede gleich ins Thema. Er ist an diesem Donnerstagnachmittag derjenige, der durch die Ausstellung „Three Doors“ führt. Und - er ist ein Vater, der seinen Sohn bei einem rassistischen Attentat verloren hat.

Am 19. Februar 2020 hält sich ein Mann am Hanauer Heumarkt auf, erschießt drei Menschen, danach einen Mann, der versucht, ihn aufzuhalten, sowie fünf weitere Menschen in einem Kiosk und in der Arena-Bar. Danach fährt der Attentäter nach Hause ins Reihenhaus, in dem er mit seinen Eltern lebt und das etwa 500 Meter entfernt vom letzten Tatort liegt.

Warum die Polizei fünf Stunden braucht, bis sie das Haus des Täters stürmt, der in der Zwischenzeit sich selbst und seine Mutter erschossen hat, ist nur eine von vielen Fragen, die Armin Kurtović und die Angehörigen der Ermordeten quälen. Der Polizeieinsatz weist unzählige Ungereimtheiten auf, die bisher nicht aufgeklärt worden sind. Kurtović berichtet über rekonstruierte Tathergänge, offene Fragen, Ermittlungsfehler, nicht funktionierenden Notruf-Leitungen, nicht verwendete Zeugenaussagen und über strukturellen Rassismus im hessischen Polizeiapparat.

Blick in die Ausstellung „Three Doors“, die neben dem rassistischen Attentat in Hanau auch den Fall des in einer Gefängniszelle verbrannten Oury Jalloh darlegt.
Blick in die Ausstellung „Three Doors“, die neben dem rassistischen Attentat in Hanau auch den Fall des in einer Gefängniszelle verbrannten Oury Jalloh darlegt.

© Silke Briel / HKW

Die Ausstellung „Three Doors“ präsentiert in Schautafeln und forensischen Videoanalysen die investigative Arbeit der am Londoner Goldsmith College gegründeten Recherchegruppe Forensic Architecture und deren Berliner Schwestergruppe Forensis. Forensic Architecture und Forensis wurde von der „Initiative 19. Februar Hanau“ und in einem anderen, ebenfalls in der Ausstellung dargestellten, Fall von der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ beauftragt, zu ermitteln: neue Beweise zu sammeln, Aussagen von Polizisten zu überprüfen, Tathergänge zu rekonstruieren, Ermittlungslücken und Ungereimtheiten in der Polizeiarbeit nachzugehen.

Eigentlich ist das Sache staatlicher Institutionen. Wenn deren Aufklärungsarbeit nicht zufriedenstellend oder einseitig ist, braucht es Akteure und Expert:innen aus der Zivilgesellschaft. Die Londoner Rechercheagentur hat es sich zur Aufgabe gemacht, weltweit Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverbrechen und rechtsradikale Anschläge wie in Hanau zu untersuchen und die Ergebnisse öffentlich zu machen.

Geschlossene oder offene Türen entscheiden über Leben und Tod

Ein der Besonderheiten ist, dass sie ihre Erkenntnisse nicht nur vor Gericht verwenden, sondern auch im Kunstkontext präsentieren. Unterschiedliche Öffentlichkeiten sorgen für mehr Aufmerksamkeit, können dazu beitragen, dass staatlichen Versagen aufgrund öffentlichen Drucks nachgegangen wird. Die Ausstellung kam vom Frankfurter Kunstverein ans Haus der Kulturen der Welt, und ist nun, - nur wenige Meter Luftlinie vom Bundeskanzleramt entfernt -, zu sehen, wie Kurtović während seiner Führung betont. Das Ziel der Initiative 19. Februar Hanau ist es, Politik, Behörden und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass das Verfahren erneut vor Gericht gehört.

„Three Doors“ heißt die Ausstellung deshalb, weil sie drei Untersuchungen darstellt, in denen jeweils eine Tür im Zentrum steht. Im Fall von Hanau geht es zum Beispiel um den Notausgang in der Arena Bar. Armin Kurtović und zwei der Überlebenden des Anschlags haben 2021 Strafanzeige beim Generalbundesanwalts wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung gestellt. Wäre der Notausgang nicht verschlossen gewesen, sagen sie, hätten die Anwesenden, darunter Kurtovićs Sohn Hamza, die Möglichkeit gehabt, sich zu retten.

Die Polizei spricht von widersprüchlichen Zeugenaussagen, aufgrund derer unklar sei, ob die Tür am Abend des 19. Februar 2020 geschlossen oder geöffnet gewesen sei. Forensic Architecture / Forensis liefern im Rahmen ihrer Untersuchungen eidesstattliche Erklärungen von Zeugen, die aussagen, die Fluchttür sei verschlossen gewesen.

Eine von Forensic Architecture durchgeführte Analyse der räumlichen Situation und der zeitlichen Abläufe zeigt außerdem in einer Videoanimation: als sich der Täter mit der Pistole in der Hand dem Kiosk und der Bar näherte, hätten mindestens vier der in der Arena Bar befindlichen Personen Zeit gehabt, sich über den Notausgang in Sicherheit zu bringen. Die Gäste der Bar rannten, als sie die ersten Schüsse des Attentäters hörten, nicht zum Notausgang sondern in den hinteren Bereich der Bar und damit in die Falle.

Forensic Architecture und Forensis legen außerdem Hinweise vor, wonach bekannt gewesen sein soll, dass der Notausgang abgeschlossen war. Es soll eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Wirt und der örtlichen Polizei gegeben haben, um zu verhindern, dass Gäste bei Razzien entfliehen können.

Die Ausstellung zeigt außerdem einen wandfüllenden Zeitstrahl, der die Geschehnisse in der Tatnacht sekundengenau rekonstruiert. Man kann sogar ein Exemplar mit nach Hause nehmen. Die Informationen zum Ablauf der Ereignisse auf dem Heumarkt gehen hauptsächlich aus den Aufnahmen verschiedener Überwachsungskameras vor Ort hervor und aus Notrufen an die Polizei.

Fast alle Überwachsungskameras, so die Recherchen der Hanauer Initiative, waren jedoch auf eine falsche Zeit eingestellt, was die polizeilichen Ermittler zwar vermerkten, aber nicht mit der Realzeit synchronisiert haben. Forensic Architecture / Forensis synchronisierten die Zeiten anhand eines Fußballspiel, das in der Arena Bar an dem Abend auf einem der Fernseher lief. Auch das eine Arbeit, die die staatlichen Ermittler hätten leisten müssen.

Auch die Eltern weitere Ermordeter haben in den vergangenen Woche, zuletzt an diesem Sonntag, durch die Ausstellung geführt. Man merkt ihnen an, wie unerträglich es ist, dass ihnen Gerechtigkeit verwehrt wird. Die Ausstellung läuft noch bis 30. Dezember.

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