Kultur: Respekt vor dem Ziegel
Der Kampf um die Museumsinsel: Ohne Neubau geht es nicht
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Über Berlins Akropolis ist neuerlich Streit entbrannt. Diesmal ist es die Initiative „Rettet die Museumsinsel“, die ein Volksbegehren gegen das geplante Eingangsgebäude initiiert und mit prominenten Unterstützern, voran TV-Liebling Günther Jauch, für die erforderlichen 20 000 Unterschriften wirbt.
Doch in Wirklichkeit geht es um weit mehr. Es geht im Kern – wieder einmal – um die Frage „Alt oder Neu“, um das Gegeneinander von zeitgenössischer Architektur und historischer Rekonstruktion. Da spielt die Initiative nur eine Nebenrolle. Denn die Diskussion „Alt oder Neu“ begleitet Berlin seit der Wiedervereinigung, am stärksten zugespitzt bei der Frage der Wieder- oder Neuerrichtung des Schlosses, dem Lustgarten und damit dem Museumsinsel genannten Teil der Spreeinsel gegenüber gelegen.
Zwei Dinge werden in der Hitze des jetzt aufwallenden Protestes vermengt: die Frage des zentralen Eingangsgebäudes und die Wiederherstellung des Neuen Museums. Dass für beide Vorhaben derselbe Architekt, der Londoner David Chipperfield, mit der Planung beauftragt wurde, macht den Zorn gewissermaßen personalisierbar. Chipperfield ist im Übrigen als Museumsbaumeister erst unlängst für seine Erweiterung des Schiller-Nationalmuseums in Marbach mit Lob überschüttet worden, und vorgestern wurde ihm der Auftrag für den Neubau des Essener Folkwang-Museums erteilt.
Chipperfield steht in der Tradition großer Baumeister, die die Museumsinsel geprägt haben. Stets waren es führende Architekten, die für die Bauten der „Freistätte für Kunst und Wissenschaft“, die König Friedrich Wilhelm IV. 1841 anordnete, erwählt wurden. Karl Friedrich Schinkel machte mit dem zunächst schlicht „Museum“ genannten, gestalterisch äußerst wagemutigen Bau am Lustgarten 1830 den Anfang. Sein Schüler, August Stüler begann bereits 1843 – so schnell war Schinkels Bau überfüllt – mit dem Neuen Museum jenseits der hinter dem Alten Museum verlaufenden, heutigen Bodestraße. Stüler war seinerseits ein Neuerer, er erfand runde Hohlziegel, um die Last des Gebäudes auf dem wenig tragfähigen Untergrund zu vermindern, und er spannte seine Decken und Dächer über gusseiserne Träger, wie sie Schinkel bereits für seine Bauakademie von 1835 erträumt, aber seinerzeit in Preußen nicht hatte erhalten können.
Die über 100-jährige Baugeschichte der Museumsinsel ist ungemein verwickelt und von mehreren Brüchen in der Gesamtkonzeption, die Stüler 1841 vorlegte, gekennzeichnet. Erst wurde 1882 die Stadtbahn brachial über die Insel getrieben, später das 1930 als bis heute letzter Neubau eröffnete Pergamon-Museum von der Inselmitte abgewandt und auf den Kupfergraben bezogen. Die Insel war zum einen nie die homogene Einheit, als die sie Verfechter des Historischen gern sehen wollen. Zum anderen war die Insel stets Experimentierfeld für kühne Baumeister und vor allem auch Ingenieure. Gerade Stüler mit seinen gusseisernen Deckenbindern und den Topfziegeln steht die für unbedingte Zeitgenossenschaft, für die Moderne seiner eigenen Zeit.
Als Schinkel sein Altes Museum plante, entwarf er zugleich an der Kupfergrabenseite den Neuen Packhof: ein schlichtes Lagergebäude. Der Packhof verschwand wenige Jahrzehnte später. Aber der Kopfbau an der Bodestraße, ein niedriges, aber nobles Hofgebäude, blieb und diente fortan als Wohnhaus des Generaldirektors der preußischen Museen. 1938 musste es abgetragen werden, weil der Baugrund sank – und dann erst war das Neue Museum in seiner Gänze zu sehen. Allerdings die von Stüler spartanisch gehaltene Rückseite, denn der Haupteingang lag zur Inselmitte hin.
Die Freifläche, die dadurch entstand, ist der einzige noch freie Baugrund auf der Museumsinsel. Nur hier kann ein Neubau entstehen. Und ein zentrales Eingangsgebäude für die seit Stülers Zeiten vervielfachte und künftig auf vier Millionen geschätzte Besucherzahl ist angesichts der heutigen Publikumsbedürfnisse schlechthin unverzichtbar. Die Frage ist jedoch, wie groß es dimensioniert sein darf – in den Dimensionen des Schinkelschen Direktorenhauses oder jenen, innerhalb derer David Chipperfield auch noch Vortrags- und Ausstellungsräume unterbringen soll, für die sich womöglich anderenorts Platz fände, etwa an den Museumshöfen gegenüber dem Bode-Museum. Das Eingangsgebäude wird derzeit neu entworfen, und es ist zu erwarten, dass es nicht der allzu kantig geratene Glaskubus sein wird, der vor Jahren präsentiert wurde. Die neueste 3-D-Animation der Preußenstiftung zeigt nur mehr einen Umrissschemen, eine Strichzeichnung ohne Inhalt.
Brisanter noch ist die Rekonstruktion des Neuen Museums selbst. Gegenüber der Tabula-rasa-Mentalität der frühen neunziger Jahre hat die Bauforschung unendlich viel an Originalsubstanz zutage gefördert – und damit die Einstellung gegenüber dem lange als bloß historistisch verachteten mittleren 19. Jahrhundert positiv verändert. Das Neue Museum war ein Gesamtkunstwerk, das nicht nur antike Objekte ausstellte, sondern diese Antike durch Fresken und die exotisch anmutende Gestaltung der beiden Innenhöfe sinnlich erlebbar machen wollte. Der auf die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse gestützte Historismus, der sich nicht scheute, sich in vergangene Zeiten zurückzuversetzen und Originalobjekt und Gestaltung aufeinander abzustimmen, spiegelt sich in Stülers Bau.
Das unterscheidet ihn von dem vorangegangenen Idealismus eines Schinkel. So beispielsweise die ausgeprägte Farbigkeit des Neuen Museums, die man nach den Erkenntnissen der Archäologie der Antike zuerkannte – ganz gegen das Winckelmannsche Ideal reinweißer Tempel.
Das Museum nicht als neutrales Behältnis, sondern zugleich in seiner Gesamtheit als historisches Zeugnis seiner Epoche zu begreifen, haben sich die Verantwortlichen der Stiftung bei der Alten Nationalgalerie getraut, wie auch beim geradezu schwelgerisch wiedererstandenen Bode-Museum, dessen Prunkräume ohnehin mehr Palast- als Museumssäle sind. Die Erwartung, die die Öffentlichkeit an das Neue Museum richtet, werden von diesen Prachtbauten beeinflusst werden. Die spartanische Ästhetik, die Chipperfield dem mit ungemein verschiedenartigen Räumen aufwartenden Neuen Museum angedeihen lässt, dürfte auf viele Besucher verstörend wirken.
Das Grundkonzept, auf das sich die Preußenstiftung 1994 – also lange vor der Beauftragung Chipperfields – mit dem Segen der Landesdenkmalpflege verständigte, ist ein Wagnis. Es wird erhalten, was an dem Bau architektonisch erhalten blieb – aber die verlorenen Fresken bleiben die Fragmente, als die sie auf uns gekommen sind. Andererseits sind Tausende von Werksteinen, die verschiedenenorts lagerten, wieder eingebaut worden. Vor allem sind zahllose, meist aus Abbruchhäusern stammende Ziegel verwendet worden, um beschädigte oder fehlende Wände, Nischen und Kuppeln wieder aufzumauern. Der Respekt vor dem Ziegel ist überhaupt ein Grundmotiv – und der vor den technischen Meisterleistungen wie den gußeisernen Säulen, die in einem der Säle fächerartig Flachkuppeln aus Topfziegeln tragen. Martin Reichert, der Projektleiter des Neuen Museums, spricht von der „Wertschätzung der materiellen Substanz“ und zugleich der „Akzeptanz der Verwitterung“.
Als Verlust wird wohl das riesige Treppenhaus empfunden werden – aber dieser Verlust besteht vor allem im Fehlen der verbrannten Wandbilder Kaulbachs. Gleichwohl gilt, was Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen, so formuliert: „Wir sind sehr darauf bedacht, dass die Räume in Dekor und Ornament eine homogene Anmutung aus den historischen Vorgaben heraus erhalten.“ So sieht er das neu gestaltete Treppenhaus als architecture parlante, als Aufstieg aus der Frühzeit Ägyptens über Griechenland – der frühere Abguss der Korenhalle von der Akropolis soll erneut den Treppenaufgang krönen – bis hin ins Christentum, in die den ravennatischen Basiliken abgeschaute Holzkonstruktion des Dachstuhls.
Es wird dieses Haus nicht jene tief beeindruckende Mahnung sein, die Hans Döllgast 1957 mit seiner Ziegelausbesserung der teilzerbombten Alten Pinakothek in München ausgesprochen hat. Es wird vielmehr, dem Geist seiner eigenen Entstehung gemäß, die Archäologie als einen beständigen Dialog mit der Vergangenheit vorführen – ein Haus, das Fundstücke zeigt und selbst ein Fundstück ist.
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