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Ostalgie. Szene aus dem Film „Leninland“ von Askold Kurov, 2013.

© Arsenal

Russische Doku-Filmreihe: Revolution fällt aus

Die Perestrojka und was danach kam: Das Arsenal zeigt russische Dokumentarfilme von 1991 bis 2015.

Nicht nur in den USA ist alles größer. Lenins sogenannte Datsche jedenfalls in Gorki vor den Toren Moskaus hat für unsereins die Anmutung eines neoklassizistischen Herrenhauses. Nach seinem Tod wurde der Ort, wo Wladimir Iljitsch seine letzten Lebensmonate verbrachte und starb, ein seinem Andenken gewidmetes Museum. 1987 – im Aufbruch der Perestroika – kam ein aus klobigen Kuben zusammengesetzter Neubau hinzu, dessen Foyer um eine riesige Leninstatue mit windbewegter roter Fahne zentriert ist. Dazu eine Bespielung, die mit hydraulischen Spiegelsystemen und Spulen-Tonbändern Schlüsselszenen der bolschewistischen Bewegung in sprechenden Bildern vergegenwärtigt. Eine technische und begriffliche Zeitmaschine, die trotz großem Besuchereinbruch Anfang der 1990er Jahre bis heute überlebt hat.

Zu sehen ist das in einem Film des russischen Regisseurs Askold Kurov („Leninland“, 2013), der sich der sowjet-nostalgischen Szenerie mit erfreulich wenig Häme und großer Genauigkeit widmet. Zweieinhalb Jahre hat er in Gorki gedreht und sich dafür sogar vom Museum als Mitarbeiter anstellen lassen. Jetzt kommt der auf vielen Festivals gezeigte Film als Teil einer großen Retrospektive mit russischen Dokumentarfilmen der letzten fünfundzwanzig Jahre ins Kino Arsenal: eine Blütezeit des Genres zwischen den neuen publizistischen Freiheiten und unübersehbarer materieller Verelendung.

Zwischen Holzhäuschen, Ziegenstall und russischen Weiblichkeitserwartungen

So waren die ärmlichen Lebensverhältnisse zwischen Holzhäuschen und Ziegenstall in der russischen Provinz ein zentraler Topos vieler Filme, dem mit Viktor Kossakovskys „The Belovs“ (1992) oder „Bread Day“ von Sergei Dvortsevoj auch ein Schwerpunkt der von Tatiana Kirianova kuratierten Retrospektive gewidmet ist. Das städtische und jung-weibliche Gegenbild zu diesen eher behäbigen Bestandsaufnahmen dürfte der in Russland höchst kontrovers aufgenommene 2005 entstandene Debütfilm „Devochki/ Girls“ der damals selbst erst neunzehnjährigen Filmemacherin Valeriya Gai Germanika abgeben, die mit nervöser Kamera eine Moskauer Mädchenclique zwischen Drogen und Straßenleben zeigt, gegen russische Weiblichkeitserwartungen.

Eröffnet wurde die Reihe am Freitag mit einem Dreifachprogramm, das zwei Filme von Sergei Loznitsa mit einem Boris Jelzin gewidmeten Kurzporträt (Example of Intonation, 1991) von Alexander Sokurow zusammenbrachte, wobei der Regisseur auch selbst in leicht zwielichtiger Position als Präsidentenberater zu sehen ist. In die gleiche Zeit geht auch der neue Film von Sergei Loznitsa, der nach seiner Premiere in Venedig nun in Berlin vorgestellt wurde und mit Archivbildern dem Putsch Moskauer Generäle gegen Gorbatschow und Jelzin im August 1991 an einem scheinbaren Nebenschauplatz nachspürt: In Leningrad, wo die Bevölkerung in Massen auf den Straßen protestierte. Acht Kameraleute des dortigen Dokumentarfilmstudios hatten die Ereignisse auf 35mm-Schwarz-Weiß-Material gefilmt. Für „Sobytie“ hat Loznitsa 72 Minuten zusammengeschnitten und so kunstvoll mit Ton unterlegt, dass die Manipulation schwer zu bemerken ist.

Bilder von Putins Aufstieg - er stellt sich gerne aus

Auch wenn einem das nicht gefallen mag, ist „The Event“ ein wichtiger Film als markanter Hinweis auf den Moment, in dem die Perestroika in eine neue Diktatur hinübergleitet. Dabei kommt in einer kurzen Komparsenrolle auch Wladimir Putin ins Bild, der damals im Umfeld des Leningrader Bürgermeisters Anatoli Sobtschak seine von Korruptionsvorwürfen umwitterte politische Karriere begann. Genau da schließt Vitaly Manskys „Putin. The Leap Year“ an, der schon 2001 den jäh aufgestiegenen Geheimdienstmann mit unverhohlener Neugier durch erste Amtshandlungen und Selbstdarstellungsaktionen begleitet. Der stellt sich als Patriot und Macher dar, der es vor lauter Zielstrebigkeit nicht einmal nötig findet, die Vorhänge in seinem Arbeitszimmer zu öffnen und sagt in die Kamera, es sei „eine der Meisterkünste des politischen Kampfes, Sündenböcke zu finden und ganz natürlich aussehen zu lassen“.

Zwei Filme im Programm widmen sich der politische Opposition dieses Jahrtausends und zeigen dabei, wie schnell sich die Situation derzeit bewegt. So sind die in dem titelgebenden „The Revolution that wasn't“ (Regie: Aliona Polulina, 2008) in düsteren Farben porträtierten Nationalbolschewisten heute als Partei zumindest offiziell aufgelöst. Und auch die 2014 veröffentlichte Kollektivarbeit „The Term“ um die Proteste des Jahre 2012 ist nicht nur durch die Ermordung von Boris Nemzow und die Krimkrise Geschichte geworden. Die Macher des aus einem oppositionellen Blog hervorgegangenen clip-artigen Films wurden selbst zum Opfer staatlicher Übergriffe. So scheint sich das Zeitfenster für dokumentarisches Filmemachen gerade wieder zu schließen. Gut, dass mit Sergej Loznitsa, Antoine Cattin, Aliona Polunina und Askold Kurov einige Filmemacher persönlich anwesend sein werden, um auch hierzu aktuelle Auskunft aus erster Hand zu geben.

Russische Dokumentarfilme 1991 bis 2015. Kino Arsenal, bis 30. April. Info: www.arsenal-berlin.de

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