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Kultur: Schloss mit lustig

Die Rumänen kommen: Der Neue Berliner Kunstverein und die Galerie Plan B präsentieren Werke von Ciprian Muresan

Am Vernissageabend nippt Ciprian Muresan an der Getränkedose, deren Inhalt Flügel verleihen soll. Sofort kommt sein Video „Choose ...“ (2005) in den Sinn, in dem sein kleiner Sohn Coke und Pepsi in ein Glas schüttet und das markenneutrale Gemisch dann genussvoll austrinkt. In der Werkschau im Neuen Berliner Kunstverein ist allerdings nicht dieser, sondern ein anderer Muresan-„Klassiker“ zu sehen, die spöttische Fortsetzung von Yves Kleins Fotomontage „Sprung ins Leere“. Drei Sekunden später, erzählt die Neuversion, endet der Traum vom Fliegen auf dem harten Asphalt einer Straße im rumänischen Cluj. Die Moderne ist ausgeträumt. „Jetzt“ ist anders.

Ciprian Muresan, der 2009 den rumänischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielte, ist ein Mann der Gegenwart. Er schaut nicht gern zurück, und selbst der vorwiegend retrospektive Charakter der Soloschau bereitet dem 1977 in Cluj geborenen Künstler eher Unbehagen. Kunstvereinsdirektor Marius Babias, selbst gebürtiger Rumäne, will ihn „in einen kunsthistorischen Kontext“ stellen, wobei der Künstler das teilweise selbst erledigt, indem er existierende Werke als Readymade einsetzt. Ebenso wie er Kleins „Sprung“ zeitlich um drei Sekunden verschiebt, rückt er Maurizio Cattelans skandalträchtige Papst-Johannes-Paul-Figur, soeben von einem Meteoriten niedergestreckt (1999), räumlich gen Osten: in Muresans Reinszenierung von 2004 fällt der Patriarch Teocist dem außerirdischen Geschoss zum Opfer.

Nein, sagt Ciprian Muresan, es habe, bis auf den Ärger um ein fingiertes Einschlagloch in der Hallendecke, keinen Tumult gegeben, als er die Skulptur mit dem Titel „The End of Five-Year Plan“ in Cluj ausstellte. Der 2007 verstorbene Teocist war durch seine Nähe zu Ceaucescu in Rumänien sowieso unten durch.

Der Palast des Diktators in Bukarest hat bei vielen Besuchern Erinnerungen an Franz Kafkas „Schloss“ geweckt. Muresan setzte deshalb das Romanfragment in einigen seiner Arbeiten ein. Vor kurzem „vollendete“ er etwa den Roman in einer unverfrorenen Geste: „Ein lausiges Schlusskapitel“, bekennt der Künstler, der darin von der Eroberung des Schlosses fabuliert und einen Unterprivilegierten beim Sturm auf den Bau die Fahne der Revolution schwenken lässt. „Gott ist zurück, er zeigt uns sein Gesicht“, ruft dieser Barnabas. Wer Muresans Haltung zur Kirche kennt, ahnt das Problem. Der Kafka-Band ruht anstelle der Bibel auf einem Altar im Kunstverein, davor stehen Kirchenbänke im Grundschülerformat. Statt Staatsbürgerkunde wird im heutigen Rumänien Katechismus gelehrt. Sogar die kreationistische Schöpfungslehre gehört an staatlichen Schulen zum Unterricht. „Furchtbar“, meint der selbst betroffene Vater.

Warum scheint er trotzdem von Kirchenritualen und Liturgien besessen? „Religion ist nicht wirklich Ciprians Thema“, stellt Mihaela Lutea klar. Gemeinsam mit dem Kunsthändler Mihai Pop leitet sie die Galerie Plan B, die mit Räumen in Cluj und Berlin zum wichtigsten Verstärker rumänischer junger Kunst geworden ist. Überall sieht man rumänische Künstler zurzeit: In der Akademie der Künste zeigt Ion Dumitrescu als Stipendiat seine Installation; die Berlin-Biennale präsentiert Ion Grigorescu prominent, dem parallel in der Berliner Galerie Gregor Podnar eine Einzelausstellung gewidmet ist. Im Film war das Phänomen schon früher zu beobachten. Den Höhepunkt seiner Renaissance erlebte das rumänische Kino mit dem Erfolg von Regisseur Cristian Mungiu, der für seinen Film „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ (2007) die Goldene Palme von Cannes und den Europäischen Filmpreis erhielt. Das Land, das lange mit sich selbst beschäftigt war, darf nun auch im Westen mit aufs Karussell.

Die große Mursesan-Ausstellung im Kunstverein wird von einer Schau mit neuen Arbeiten in der Galerie Plan B flankiert. Einmal mehr kommt sein großes Talent, Problemfelder in seinem Land mit Ironie und Witz zu pointieren, zur Geltung. Auch hier spielt der Paradigmenwechsel von staatlicher zu kirchlicher Doktrin hinein, eindrucksvoll etwa in der mit Video aufgezeichneten orthodoxen Taufzeremonie, in welcher der Priester durch einen albern kostümierten Nikolaus mit Nylonbart ersetzt ist und die „Kapelle“ an einen White Cube erinnert. Eine Ideologie nimmt den Platz der anderen ein. Und auch der Konsum eignet sich wunderbar als Ersatzglaube.

Anders als ältere Landsleute wie Ion Grigorescu oder Dan Perjovschi, die beide auch schon auf der Documenta in Kassel und auf der Biennale in Venedig zu sehen waren, hat sich Muresan nie am Totalitarismus abgearbeitet, denn er war erst 13, als 1989 das Regime zusammenbrach. Im Neuen Berliner Kunstverein sind drei seiner ruckelnden Zeichentrick-Loops zu einem Triptychon vereint, indem sie sich zum ABC des postkommunistischen Rumänien fügen: Links eine Taufszene, rechts das Bild eines Mannes, der Essen aus einer Mülltonne fischt, in der Mitte ein Junge, der Klebstoff aus einer Tüte schnüffelt, ein endloses Ein- und Ausatmen. Doch beim Aufpusten zwinkert der Junge dem Betrachter zu. Für einen Moment scheint denkbar, dass er die Tüte zum Platzen bringt. Mit solchen Volten sollte man bei Ciprian Muresan jedenfalls immer rechnen.

Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestr. 128/129, bis 22. 8.; Di-So 12-18, Do bis 20 Uhr; Katalog (Buchhandlung Walther König) 19,80 €. Galerie Plan B, Heidestr. 50, bis 31. 7.; Do-Sa 12-18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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