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Märchenhaft. Malerei wie Perlenstickerei von Enrico Benassi.

© Jessen Oestergaard/Haus Cajeth

Italienische Außenseiterkunst: Seite an Seite mit Jesus und Marx

Wie man einem Bild Ausdruckskraft gibt, haben diese Künstler auf keiner Akademie gelernt. Die Berliner Galerie Parterre zeigt Außenseiter aus Italien.

Wäre da nicht dieser eigensinnige langhaarige Buchhändler aus Heidelberg in der italienischen Po-Ebene und anderen Landstrichen aufgekreuzt, viele der jetzt in der Galerie Parterre ausgestellten Werke gäbe es wahrscheinlich überhaupt nicht mehr. Kunst braucht nicht nur Menschen, die sie machen, sondern auch solche, die sie wahrnehmen und wertschätzen. Zumal, wenn sie außerhalb des Mainstreams in den Randzonen des Kulturbetriebs entsteht.

Als der Fischer Dino Daolio Duren nicht länger den Fluss Po befahren konnte, weil ihn Asthmaanfälle ans Haus fesselten, begann er zu malen. Graublau in langgezogenen, changierenden Bahnen strömt das Wasser durch seine Querformate. Der unangefochtene Hauptdarsteller schimmert mal gelbgrau, mal grünlich, lässt sich von Uferzonen mit bunten Häusern und winzigen Anglern flankieren, trägt Boote und bietet auffliegenden weißen Möwen Lebensraum. Sonst passiert da nicht viel. Aber Dino Daolio Durens beharrliche Liebe zu seinem Element imprägniert die Bilder mit einer stillen Intensität.

Mit Begriffen wie Naive oder Primitive Kunst kommt man dieser Art von Bildern nicht recht bei. Auch der heute gängige Stempel Outsider Art passt nicht wirklich zu den sieben Protagonisten der Ausstellung „Bella Italia“. Der Sammler Egon Hassbecker hat ihre manchmal abenteuerlichen, oft bitteren Lebensgeschichten aufgeschrieben und ihren Bildern im seinem Museum Haus Cajeth in Heidelberg einen Platz gegeben.

Agitieren für eine bessere Welt

Der Tagelöhnersohn Pietro Ghizzardi irritierte schon als Kind sein ratloses Umfeld durch eine manische Bilderproduktion. Seine ausdrucksstarken Linienschwünge verfolgen erotische Obsessionen von vollbusigen Frauen und zerfurchen faltige Frauengesichter zu emotionalen Landschaften, die an Bacon oder Kokoschka denken lassen. Tatsächlich gelangte er zu gewissem Ruhm. Auch Albino Menozzi, der große Kolorist unter den Ausgestellten, weckte auf der Welle naiver Kunst in den 1980er Jahren mit seinen pastosen, herben Frauenakten und Tierbildern kurzzeitig Interesse. An seinen erbärmlichen Lebensumständen änderte das wenig.

Als Feldarbeiter, Friseur, Stoffhändler schlug sich Enrico Benassi durch. Auf Sperrholzbretter tüpfelte der vierschrötige Mann märchenhafte Szenen wie Perlenstickereien. Unter blumenübersäten Himmeln paradieren Reiter in roten Stiefeln vor zinnenbekrönten Schlossfassaden, so wundersam und ernsthaft, dass es trotzdem nicht kitschig wirkt. Ein Geschichtenerzähler anderer Art ist Giovanni Concettoni, der jahrzehntelang in Argentinien geschuftet hatte, bevor er mit über 70 Jahren zu malen begann.

"Gesù figlio della natura" von Giovanni Concettoni, ohne Jahr.
"Gesù figlio della natura" von Giovanni Concettoni, ohne Jahr.

© Jessen Oestergaard/Haus Cajeth

Seine plakativen Szenen agitieren für eine bessere Welt, indem sie Jesus, Marx und den Papst zu Verbündeten machen. Auf einem Bild gibt es den großen ideologischen Kehraus. Ein Besen fegt die kapitalistischen Anzug- und Zylinderträger der herrschenden Klasse kurzerhand von der Weltkugel hinab in ein orangerotes Fegefeuer. Costante Pezzani dagegen verwebte feingekläubelte Farbstiftarchitekturen aus Toren, Türmen und Gitterfenstern zu klaustrophoben Realitäten. Er verbrachte Jahrzehnte in der Psychiatrie, bevor er sich in einem Altersheim in Sabbioneta eine Werkstatt einrichten konnte.

Wie in einem Film des italienischen Neorealismo klingt es, wenn Sammler Hassbecker schildert, dass er in einem abgelegenen Bergdorf zuerst mit einer grantigen Ehefrau und deren totem Huhn konfrontiert wurde, bevor ihm der Maler Pellegrino Vignali eine Steinkate mit Hunderten von Bildern öffnete. Mit einem traumwandlerischen Gespür für die Kraft der Linien wiederholen seine Werke, einfältig und eindringlich, die immergleichen Motive: Schlange, Blume, Mann, Frau. Wie man einem Bild Ausdruckskraft gibt, haben diese Künstler auf keiner Akademie gelernt. Dass Bildermachen lebensnotwendig ist, daran lassen ihre Werke keinen Zweifel.

Galerie Parterre, Danziger Str. 101, bis 1. 4.; Mi bis So 13 – 21 Uhr, Do 10 – 22 Uhr. Katalog 20 €.

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