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Ressourcenverschlingender Konsum. Die Zeit der billigen Rohstoffe ist vorbei. Was wir verbrauchen, hat einen wirklichen Wert – das sei eine zentrale neu-sachliche Einsicht der Stunde, sagt unser Autor.

© David Monje

Solare Sachlichkeit: Wie wir an der Umweltkrise wachsen können

Krieg, Klima- und Energiekrise: Wie geht es nun weiter? Einige Verhaltenslehren der stetig zunehmenden Wärme. Ein Gastbeitrag.

Von Jörg Metelmann

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Jetzt haben es auch die Letzten ausgeschwitzt: Der Klimawandel ist da, die Hitze ist da: die Trockenheit bei den einen, die Starkregen bei den anderen sind da. Alles ziemlich genau wie vorhergesagt. Zusammen mit der kriegsbedingten Energiewende, die den Ausstieg aus russischem Gas anstrebt, stellt sie die europäischen Gesellschaften mitten hinein in das schon lange angekündigte Gefühl: So geht es nicht weiter. Dabei wollten alle nach Corona, dem dritten großen Stresstest der vergangenen Jahre, gerade nichts lieber als das: zurück in die Normalität.

Nicht Verbote werden es in einer liberalen Welt dauerhaft richten

Und wie geht es nun weiter? Politisch kommen nach kurzer Post-Merkel-Aufbruchstimmung, nicht unähnlich der rot-grünen Starteuphorie 1998, die üblichen Reflexe: Meine Atomkraft ist dein Tempolimit, Abstandsregeln für Windräder weg hier, Tankrabatte und Gasbremse da, Chaos bei den Förderungen für energetische Sanierung hier, Infrastruktur-Desaster dort (der Bahn-Chef weint laut Interview-Selbstaussage jeden Abend).

Es ist, kurz gesagt, wie in den vergangenen 50 Jahren seit der Veröffentlichung des Club-of-Rome-Berichts: Auf das vorausschauende Handeln der Politik über Partei- und Landesgrenzen hinweg ist wirklich nicht zu bauen.

Zurück zu den Sachen selbst, zu ihrem Wert, ist ein erster Baustein einer neuen Haltung für das Anthropozän.

Jörg Metelmann

Was kommt, sind die hohen Preise. Menschen heulen vor den Tanklastern, die gegen das letzte Gesparte das Öl für den Winter bringen. Trotz der schnell anberaumten Entlastungen wird es teuer und es dämmert auch hier den Letzten: Die Zeit der billigen Rohstoffe ist vorbei – der billige Fusel ist aus, wäre die Entsprechung im Bild der alkoholkranken Profitsucht-Welt, das für die ressourcenverschlingende Konsumwirtschaft gern mal gebraucht wird.

Was man verbraucht, hat nicht mehr nur einen billigen Preis, sondern einen wirklichen Wert, das ist eine zentrale neu-sachliche Einsicht der Stunde.

Nicht Verbote werden es in einer liberalen Welt dauerhaft richten und auch nicht Wissen – Club of Rome-Bericht, Brundtland-Report, IPCC-Protokolle ... und leider auch nicht Moral. Die Menschen reagieren genau dann, wenn ihnen das Preis-Wasser bis zum Hals steht – jetzt ist es so weit. Zeit, den wahrnehmbaren Problemen ins Auge zu blicken und mit nüchterner Haltung zu reagieren.

Was wir aus Helmut Lethens „Verhaltenslehren der Kälte“ heute lernen können

Zurück zu den Sachen selbst, zu ihrem Wert, ist ein erster Baustein einer neuen Haltung für das Anthropozän. Die paradiesischen Wünsche, welche die Geschichte der Utopie bisher befeuerten, haben sich für viele Menschen im globalen Norden schon realisiert – aber auf Kosten vieler anderer Menschen, anderer Regionen, der Umwelt.

„Neben uns die Sintflut“ hat Stephan Lessenich diese koloniale (neo-)liberale Lebenspraxis mal genannt. Das ist letztlich nichts anderes als die Matrix der Utopie, wie sie Thomas Morus 1516 erfand: Eine Insel lebt in Wohlstand, Ordnung und Glück, aber es gibt Sklaven und nach außen führen Söldner Kriege. Genau so ist es gekommen.

Lange vor „Babylon Berlin“ hat der Germanist Helmut Lethen in seinem 1994 erschienenen Klassiker „Verhaltenslehren der Kälte“ die 1920er Jahre als faszinierendes Laboratorium der Moderne beschrieben. Man experimentiert mit Haltungen, Geschlechterverhältnissen und einem distanzierten Blick auf eine kaputte Welt. Ohne Sentimentalität, im Nachbeben der Kriegskatastrophe, denken Künstler und Intellektuelle eine Welt ohne bürgerliche Moral.

Von diesen Experimenten kann man sich für die „Verhaltenslehren der Wärme“ den kühlen Kopf abgucken, den das unversöhnte Leben zwischen den beiden Weltkriegen hervorbrachte. „Wie man sich bettet, so liegt man“, formulierte Brecht. Und wir Wohlstandsgewinnler der globalen Lieferketten müssen einsehen, dass ebendieses kein Modell für die Welt ist, weil es letztlich noch nicht einmal für uns funktioniert: Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer, man kann mit seiner Hände und Köpfe Arbeit niemals die Renditen erzielen, die das Finanzkapital erwirtschaftet, das wissen wir seit Thomas Pikettys „Das Kapital im 21. Jahrhundert“. Was das für eine demokratische Gesellschaft bedeutet, sieht man täglich in der landesweiten Bildungsmisere, dem Pflegenotstand und im Fachkräftemangel.

Es gibt 2022 andere wirtschaftliche Handlungsspielräume, auch wenn sie enger werden. Es gibt stabile Institutionen – und es gibt Solidarität.

Jörg Metelmann

Illusionslosigkeit ist also ein weiterer Baustein, aber kein Zynismus. Hier ist der entscheidende Unterschied zwischen Lethens Verhaltenslehren der Kälte und jenen aktuellen der Wärme. „Es deckt einen da keiner zu“, ging es bei Brecht weiter und das war dem Gefühl der kapitalistischen Ausbeutungswucht ebenso geschuldet wie der Fragilität des politischen Systems und der Zerstörungswut der Waffen.

Auch wenn heute wieder die Waffen sprechen, die Kassen der Großkonzerne teils mit Übergewinnen prall gefüllt sind und das politische System oft nicht angemessen liefert: Es gibt 2022 andere wirtschaftliche Handlungsspielräume, auch wenn sie enger werden. Es gibt stabile Institutionen, auch wenn sie manchmal unglücklich agieren. Es gibt Solidarität, auch wenn sie nicht für alles aufkommen kann.

Die Pointe der Weimarer Epoche für unsere Zeit

Die „kalte Persona“ der 1920er, die im Alltag identitätslos verschiedene Masken trägt und machtopportunistisch reagiert, passt nur auf den ersten Blick perfekt in unsere Welt der ausgestellten Diversitäten und abgekoppelten Social-Media-Blasen. Die Pointe der Weimarer Epoche für unsere Zeit ist eine andere: Im Gegensatz zu ihrem Sozialklima sind Teilen und Trösten keine Fremdwörter von Naivlingen und Sentimentalen, sondern durchdachte, nobelpreisgewürdigte wirtschaftliche Alternativen (wie etwa der Allmende-Ökonomie). Und auch kulturell stehen sie auf der Tagesordnung, wie im Sommer die kollektive Trauer um die verbrannten Wälder in der Sächsischen Schweiz zeigten.

Nur durch Sharing und Kooperation lassen sich nachhaltige Lösungen finden.

Jörg Metelmann

Eine neue, zeitgemäße Haltung der solaren Sachlichkeit weiß den wahren Wert der Sachen zu schätzen, kann nüchtern die Gefräßigkeit der Konsumwelt hinter sich lassen. Sie ist dem Gemeinwohl vor Ort verpflichtet, weil der Näheraum der lokalen Politik die Keimzelle eines „Wir“ der Zukunft ist. Und sie steht im Licht einer postressentimentalen Wärme, die in Hatespeech und Cancel Culture den Kältetod der Demokratie erspürt.

Dieses Licht ist wie bei Albert Camus grell, heiß und oft unerträglich, aber auch von großer Klarheit und Stärke, Eigenschaften, die das Handeln im Anthropozän dringend benötigt. Das Solare steht so für eine menschliche Haltung im Angesicht einer erdgeschichtlichen Konstellation: kontrastreich, entschieden, mit pragmatischem Pathos der Distanz.

Eine solare Ethik der Sachlichkeit verbindet Teilen, Trösten und Trenden. Nur durch Sharing und Kooperation lassen sich nachhaltige Lösungen finden. Nur im Anerkennen der enormen Verluste, die unser mitunter obszöner Wohlstand für die Natur und viele andere bedeutet, kann ein demütiges Fundament für eine Lebensweise im gemeinsamen Wohnraum Erde liegen. Und nur mit Vorbildungskraft, die gute Ideen mit konkreter Haltung und Praxis verbindet, werden sich die vielen überzeugen lassen, die die lebendige Demokratie braucht, um nicht endgültig ihre Legitimation zu verlieren. Es gibt all diese Alternativen, sie sind an manchen Orten schon im Entstehen, nicht außer der Welt. Und eines sind sie bei gleißendem Licht betrachtet ganz sicher: alternativlos.

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