zum Hauptinhalt
Agnes (Eva Victor) nimmt eine Therapiekatze, die sie auf der Straße findet, bei sich auf.

© A24

„Sorry Baby“ im Kino: Ein trockener Witz, der weh tut

„Sorry Baby“, das zarte, unglaublich komische Regiedebüt von Eva Victor, handelt von sexualisierter Gewalt und deren Folgen. Nur eines will der Film nicht sein: eine Opfergeschichte.

Stand:

Ein verschmitztes Grinsen, dazu ein ernster Blick, der dem folgenden Satz tonnenschweres Gewicht verleiht. „Bitte, stirb nicht!“ Agnes lässt sich von ihrer besten Freundin Lydie nicht aus der Fassung bringen. „Keine Sorge“, antwortet sie lachend, „wenn ich mich umbringen wollen würde, hätte ich es letztes Jahr getan. Oder vorletztes Jahr. Oder, oh Gott, ganz sicher im Jahr davor.“

Aber es hilft ja nichts, das Leben muss weitergehen, so lautet die unausgesprochene Quintessenz von Eva Victors bemerkenswertem Regiedebüt „Sorry, Baby“ – selbst wenn die von der Regisseur:in selbst gespielte Protagonistin in einem Zustand des emotionalen Stillstands verharrt.

Lydie (Naomi Ackie) dagegen ist längst weitergezogen, sie lebt mit ihrer neuen Partnerin in New York und ist schwanger. Aber der Besuch bei ihrer Freundin weckt Erinnerungen. Auch Agnes hat Karriere gemacht. Sie ist die jüngste Professorin an einer Kleinstadt-Universität an der amerikanischen Ostküste, wohnt aber immer noch in demselben Haus, das sie sich als Studentin mit Lydie geteilt hat.

Etwas Schreckliches ist ihr widerfahren, und „Sorry, Baby“ nimmt sich viel Zeit, für das taube Gefühl des Schmerzes die richtigen Worte und Bilder zu finden. Manchmal reicht auch nur eine harmlose Frage. „Gehst du manchmal auch aus dem Haus?“, will Lydie von Agnes wissen, und in ihren Worten schwingt mehr als nur eine dunkle Ahnung mit. Die Zeit heilt nicht alle Wunden.

Der sexuelle Übergriff ist nicht zu sehen, nur die Folgen

Was genau Jahre zuvor passiert ist, lässt „Sorry, Baby“ diskret aus. An jenem Nachmittag sucht Agnes ihren allseits beliebten Literaturprofessor (Louis Cancelmi) für eine Beratung in seinem Haus auf: Die Kamera verharrt auf der Fassade, während der Tag in Zeitraffer verstreicht. In den späten Abendstunden kommt Agnes wieder aus dem Haus, ihr selbstsicherer Gang ist nun deutlich zögerlicher, wie auf Autopilot fährt sie zurück nach Hause.

Lydie spürt sofort, dass mit Agnes etwas nicht stimmt. Es dauert dann etwas, bis sie mit der fürsorglichen Hilfe ihrer Freundin artikulieren kann, was ihr im Haus ihres Professors und Mentors zugestoßen ist. Die Gewalterfahrung wirkt durch das, was nicht gezeigt wird, umso schockierender. Und manchmal tröstet die Umarmung der besten Freundin mehr als tausend hilflose Worte.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Sorry, Baby“ umkreist diesen Moment mit fünf nicht-chronologisch geordneten Kapiteln; der sexuelle Übergriff ist ein so großer Einschnitt im Leben der jungen Frau, dass die zeitliche Erfahrung aus den Angeln gehoben ist. Es geht nur darum, einen Weg zurück ins Leben, in die vermeintliche Normalität zu finden. Die nicht-binäre Person Eva Victor schafft einen Raum, in dem all die widerstrebenden Gefühle, die Agnes hemmen, von denen sie sich ihr künftiges Leben aber auch nicht bestimmen lassen will, gleichrangig Beachtung finden.

Dazu gehört zum Beispiel Humor, wie das Kapitel aus der Zeit vor dem „Vorfall“, überschrieben mit dem lakonischen Titel „The Year with the Bad Thing“, deutlich macht. Agnes ist nie um einen bissigen Kommentar verlegen, eine Qualität, die sie sich weiterhin bewahrt hat – auch wenn ihr trockener Witz mitunter schmerzhaft ist. Man fühlt sich immer wieder an Michaela Coels Serie „I May Destroy You“ erinnert, die ebenso ungeschminkt die widersprüchlichen Gefühle und Alltagserfahrungen der Protagonistin nach einem sexuellen Übergriff verhandelt.

Agnes’ Humor richtet sich vor allem gegen die Menschen in ihrem Umfeld, denen es immer wieder gelingt, den falschen Ton zu treffen (wie die Hochschulleitung, die auf ihre Anschuldigungen nur mit „Wir verstehen sie, wir sind auch Frauen“ reagiert). Oder die, die ihr Leben erfolgreich einfach weitergelebt haben, ohne sich dieses Privilegs bewusst zu sein; wie eine ehemalige Kommilitonin (Kelly McCormack), die freiwillig mit dem Prof Sex gehabt hat, und Agnes ihre Professur neidet.

Agnes (Eva Victor) kann sich auf ihre beste Freundin Lydie (Naomi Ackie) verlassen.

© A24

Humor ist in „Sorry, Baby“ eine gute Überlebensstrategie. Aber es hilft auch, eine Freundin wie Lydie zu haben, die Naomi Ackie mit dem Herzen einer großen Schwester spielt: mit der man lachen und weinen kann.

Und so zeigt Eva Victor keine allgemeingültige Exit-Strategie aus dem Trauma. Agnes versucht dieses und jenes, auch etwas unbedarften Sex mit dem süßen, aber schüchternen Nachbarn (Lucas Hedges). Ein freundlicher Ladenbesitzer (John Carroll Lynch) schenkt ihr nach einer Panikattacke ein Sandwich. Es sind die kleinen Gesten, die in „Sorry, Baby“ den größten Trost spenden.

Victor verarbeitet im Drehbuch eigene Erfahrungen, vielleicht klingen die lapidaren Dialoge auch deswegen so natürlich und peinigend direkt. Es geht nicht darum, eine Opfergeschichte zu erzählen, sondern einen Menschen sichtbar zu machen, der sich aus eigener Kraft – und mit der Hilfe von Freunden – wieder ins Leben zurückkämpft.

In ihrer Klasse bespricht Agnes, die jetzt wieder etwas gefestigter wirkt, Nabokovs „Lolita“, und als ein Studierender den Roman als „ekelhaft“ bezeichnet, entgegnet sie leicht amüsiert: „Es gibt eine Welt, in der es eine Erleichterung ist, das zu hören.“ Agnes ist gerade erst wieder dabei, diese Welt zu entdecken.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })