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Sozialistischer Realismus: Norbert Bisky befragt in zwei Ausstellungen seine eigene Biografie

Seine Bilder in der Villa Schöningen und der St. Matthäus-Kirche resümieren die Geschichte zweier Systeme.

Die Bilderprozession beginnt mit einem Stück vom Himmel. Alles ist offen, alles ist möglich. In der Ecke gegenüber aber schiebt sich die Silhouette eines Mannes vor das Blau, der sich an einem Baum erhängt hat.

Das Bild „Aschersleben – Freudenstadt“ wirft einen ersten Schatten auf die Öffnung der deutsch-deutschen Grenze. In der St. Matthäus-Kirche am Berliner Kulturforum spannt Norbert Bisky sein Panorama der Nachwendezeit über die ganze Länge des Kirchenschiffs und endet mit der Gewalt der Gegenwart. Da versinkt ein abgeschlagener Kopf im Wasser, während eine Jesusfigur aufsteigt. Ein Mann wird von einem Telegrafenmast durchbohrt, der in seiner Form dem Kreuz gleicht. Die fulminante Doppelausstellung zum 30. Jahrestag des Mauerfalls findet an zwei historischen Orten statt. Die St. Matthäus-Kirche befand sich auf westlicher Seite in Mauernähe. Die Villa Schöningen blickte von Osten auf die Grenze an der Glienicker Brücke. „Pompa“ nennt Bisky seine Installation unter der Kirchendecke – wie den antiken Festumzug oder das Totengeleit.

Die Bilder aus den letzten zwanzig Jahren sind flach an der Decke befestigt. Besucher können sie in Vergrößerungsspiegeln aus der Nähe betrachten oder den Kopf in die Höhe recken. Die Hälfte der Werke ist im Original zu sehen, die andere Hälfte als Reproduktion. Im dichten Nebeneinander der Motive falten sich die Jahre nach der Wende wie in einem Buch auf, denn Bisky spürt in seiner Malerei politischen Stimmungen nach und verwebt sie mit eigenen Erfahrungen. Auf die Ungewissheit nach dem Untergang der DDR folgt die Entgrenzung in der Ekstase. Der Farbrausch, getrieben von den Beats in den Clubs, der Bisky berühmt machte, wird schnell abgelöst von hellen Tagträumen, in denen der Rückzug in die Idylle aufscheint. Doch statt Häuschen im Gärtchen fliegen dem Maler im Selbstporträt die Brocken um die Ohren.

Angst bricht durch die dünne Haut der Zivilisation

2008 erlebt Norbert Bisky das Attentat auf das Hotel Taj Mahal in Mumbai, bei dem 170 Menschen ums Leben kamen. Wenig später stirbt sein jüngerer Bruder. An ihn erinnert ein Mantel im dunklen Zimmer. Im Zentrum der Decke brechen Angst und Schrecken durch die dünne Haut der Zivilisation. Das Biest erwacht, ein Schäferhund schüttelt sein Fell und fletscht seinen Fang. Bei einem dreimonatigen Arbeitsaufenthalt in Tel Aviv wird der Künstler 2015 mit dem Nahost-Konflikt konfrontiert. Als er zurückkehrt, verändert sich Berlin gerade. Es treffen die Flüchtlinge aus Syrien ein, Bisky gründet mit Freunden die Gruppe Hauptstadthelfer, um die prekäre Situation der Gestrandeten zu erleichtern. An der Kirchendecke überlagern sich jetzt die Eindrücke von religiösem Terror, dem Protest der Palästinenser und den Tragödien der Geflüchteten, die auf dem Mittelmeer ihr Leben riskieren.

In der Verdichtung schärft sich das Profil des Werks. Bisky bleibt seinen muskulösen Helden mit nackten Oberkörpern treu. Aber die Kirche bietet seiner Malerei einen Echoraum, lenkt den Blick hinter die poppige Oberfläche auf die Risikobereitschaft seiner Kunst. Ein Gemälde taucht in beiden Ausstellungen auf, es heißt „Rant“ wie die Hasstiraden im Internet. Denn beide Ausstellungen münden in eine Frage: Woher kommt der Sound dieser Tage, das Kampfgeheul?

Färbt die Diktatur auf den Einzelnen ab?

„Rant“ lautet auch die Überschrift des zweiten Teils der Ausstellung in der Potsdamer Villa Schöningen. In den Bildern, die fast alle dieses Jahr entstanden, spürt der Künstler der Kontinuität der Geschichte nach. Anknüpfend an die Vergangenheit des Hauses, das in der DDR als Wochenheim für Kinder diente, lässt sich Bisky zu seinen eigenen Kindheitserinnerungen leiten. Seine Malerei gelangt spürbar an die Schmerzgrenze, wenn er fragt, wie das System der Diktatur auf den Einzelnen abgefärbt hat. Die Oberfläche reißt auf, die Farben werden dünner, Aquarelle nehmen die gedämpften Töne der sozialistischen Ästhetik an.

Norbert Bisky erinnert sich an die Indoktrination während des Unterrichts, an das Wehrlager, in dem die Jugendlichen sich an einem gespannten Seil entlang hangeln mussten. „Das Verrückte ist“, erzählt er, „wenn da einer beim Hangeln am Seil nicht rüber gekommen ist, dann hat die ganze Gruppe darunter zu leiden gehabt.“

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Wiederkehr des Deutschen Schäferhunds

Er malt die Langeweile bei der NVA, der er vergeblich zu entkommen versuchte und ruft die Scheinwelt der Propaganda in Erinnerung. Die surreal geteilten Stadtpläne, auf denen in Ost-Berlin alles vorhanden war und in West-Berlin die Leere gähnte. In einer Nische hängt ein Wandteppich zum vierzigsten Jahrestag der Volkspolizei 1985. Die Schrift verspricht den Schutz der Arbeiter- und-Bauern-Macht. Das Emblem könnte ebenso gut aus dem Nationalsozialismus stammen. „Das ist die Ästhetik, mit der ich großgeworden bin“, stellt Bisky fest.

Der Deutsche Schäferhund taucht wieder auf. Die Nationalsozialisten setzten ihn in den Konzentrationslagern ein, für die DDR bewachte er die deutsch-deutsche Grenze. „Es hat niemanden gestört, dass es die gleiche Hunderasse ist, die davor schon in der Nazi-Zeit eingesetzt wurde.“ Das Kapitel in der Villa Schöningen hat nichts Versöhnliches. Der Rückblick endet mit dem Bild „Rant“ das schon in der St. Matthäus-Kirche zu sehen war. Da brüllt ein Hooligan mit gefletschten Zähnen vor einem Hochhaus in Marzahn. Hier, im 13. Stock, ist Bisky aufgewachsen.

[„Rant“, bis 23. Februar in der Villa Schöningen, Potsdam, Do 18–21 Uhr, Fr bis So 11- 19 Uhr. „Pompa“, bis 16. Februar in der St. Matthäus-Kirche, Matthäikirchplatz, täglich außer montags 11–18 Uhr.]

„Ich will zeigen“, sagt der Künstler, „dass ich mich mit dem Blick von 2019 aus mit der DDR beschäftige und das nicht historisierend meine.“ Wie kommt es also, dass Hass, autoritäres Verhalten und Fremdenfeindlichkeit wieder erwachen? Die Antwort fällt illusionslos aus: Die Gespenster der Vergangenheit waren nie verschwunden.

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