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Teodor Currentzis, hier als Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters.

© r / Foto: Matthias Creuziger/SWR

Teodor Currentzis und sein neues Ensemble Utopia: Der Feuerwerker

Klangbad und Kriegsgetümmel: Der gefeierte und umstrittene Wahlrusse Teodor Currentzis gastiert mit seinem Utopia-Orchester in der Berliner Philharmonie

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So viel Glamour gab es lange nicht in der Philharmonie. Es blitzt, funkelt und schimmert, der Pracht kann sich keiner entziehen. Teodor Currentzis und sein neu gegründetes Orchester Utopia sorgen auch in Berlin mit einem furiosen Auftritt für euphorischen Jubel, auf der letzten Station ihrer ersten Tournee, nach Luxemburg, Hamburg und Wien. Kein Wunder, denn bei Strawinskys „Feuervogel“- und Ravels „Daphnis und Chloé“-Suite, dessen Walzer-Apotheose „La Valse“ und dem „Bolero“ als Zugabe handelt es sich ohnehin um elektrisierende Repertoire-Hits. Und Currentzis gibt einmal mehr den Magier, der das Kollektiv mit betörenden pantomimischen Gesten hypnotisiert.

Keine Proteste vor den Eingängen, keinerlei Missstimmung im Saal wegen Currentzis’ umstrittener politischer Haltung. Oder genauer, wegen Currentzis’ Verweigerung jeglicher politischen Äußerung und klaren Distanzierung zu Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Nun hat sich der aus Griechenland stammende Wahlrusse auch früher nie politisch positioniert, weder für noch gegen das Regime. Künstler brauchen keine Bekenntnisse abzugeben, wenn sie ihrer Arbeit nachgehen. Der 50-jährige Currentzis hat sich jedoch kompromittiert. MusicAeterna, sein anderes schon vor Jahren von ihm ins Leben gerufene freie Ensemble, wird von der russischen VTB-Bank gefördert, die die EU sanktioniert.

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Bei Utopia sind wohl keine russischen Gelder im Spiel. Echte Integrität oder Feigenblatt? Utopia-Konzertmeisterin Olga Volkova übt die gleiche Topfunktion auch bei MusicAeterna aus. Zu gerne würde man wissen, wie die 116 Musiker:innen miteinander über den Krieg reden: Das Programmheft listet bei den 30 Herkunftsländern unter anderem Russland, Serbien und Weißrussland auf, nicht die Ukraine. Aus Berlin entdeckt man die Philharmonikerin Sarah Willis bei den Hornisten.

In den Rängen der Philharmonie wird viel Russisch gesprochen, viele junge Leute sind gekommen, eine wilde, fan-basierte Publikumsmischung. Und Currentzis gibt dem Affen Zucker, hebt im gerade noch hörbaren, fast unterschwellig vibrierenden Pianissimo an, um den Feuervogel alsbald in satten exotischen Farben auszumalen und dem Höllentanz des bösen Zauberers Kaschtschei nach Strawinskys somnambulen „Pantominen“ mit teils betörenden Bläser-Soli einen derart heftigen Startschuss zu verpassen, dass einem der Schreck noch Minuten später in den Knochen sitzt.

Die Musiker:innen spielen im Stehen, mit Ausnahme der Celli und Harfen natürlich. Die Folge: irre Spielfreude, steter Körpereinsatz, großer Schwung, maximaler Bogendruck beim Fortissimo.

Der Pultstar ein Showmaster. Im Publikum sitzen viele Russen

Ja, sie klingen anders als viele Orchester im Konzertalltag. Ein aus Spitzenmusikern zusammengesetztes internationales Orchester ist allerdings keine Besonderheit. Hochkarätige Ensembles wie etwa die Berliner Philharmoniker oder die Staatskapelle setzen sich selbstverständlich aus etlichen Nationalitäten zusammen, auch existieren längst ähnliche saisonale Ensembles wie das von Claudio Abbado ins Leben gerufene Lucerne Festival Orchestra, das Festivalorchester des Schleswig-Holstein Musik Festivals oder das Bayreuther Festspielorchester.

Dennoch frappiert die Homogenität und die Tutti-Disziplin bei gleichzeitiger Lust am überbordenden, auch mal ins Schrille kippenden Sound, wenn man bedenkt, dass die Musiker:innen vor Tourneebeginn nur vier Tage lang probten. Ravels in Resonanz auf den Ersten Weltkrieg entstandene „La Valse“ schraubt sich unaufhaltsam in die maximale Dekadenz, ja den Wahnsinn hinein, dennoch bleiben die feinen Rubati, das kurze Innehalten vor der nächsten Drehung höchst akkurat.

Currentzis verspricht Kompromisslosigkeit, neue Formate. Radikal an diesem Abend ist allerdings weder die Stückwahl noch ihre Interpretation, die in allen vier Werken den Affekten und Effekten huldigt und in der radikalen Entäußerung den Moment der Gewalt nicht verschweigt. Vielleicht ist genau das ja Kunst: Entfesselung in hochkultivierter Manier, der Schrei als Non-Plus-Ultra des Virtuosen.

Dennoch wird einem zunehmend mulmig angesichts von Currentzis’ tänzerischer Eleganz noch im wüstesten musikalischen Getümmel: der Pultstar ein Showmaster. Worum geht es ihm, wenn er die Solisten am Ende einzeln nach vorne holt, Umarmungen und Küsse verteilt? Vielleicht rührt das Unbehagen auch vom Gedanken daran, dass Putin und die Opec sich im Energiekrieg gerade noch enger verbündet haben. In der Ukraine werden wieder Wohnhäuser bombardiert. Und unsereins nimmt ein üppiges Klangbad.

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