
© Sven Darmer / Sven Darmer
Theatergeschichte auf schmalen Brettern: Rundes Jubiläum: 100 Jahre Renaissance-Theater Berlin
Stars waren hier in Charlottenburg immer zu Hause, schon in den Zwanzigerjahren. Und Risiko gehörte hier immer auch zum Bühnengeschäft.
Stand:
Oskar Kaufmann war ein Gigant der Theaterarchitektur. In Berlin baute er die – im Zweiten Weltkrieg zerbombte und später abgerissene – Krolloper und die beiden Kudamm-Bühnen, die 2019 einem Neubau weichen mussten. Von Kaufmann (1873–1956) stammen die Volksbühne, das Hebbel Theater und das Renaissance-Theater. Dort wird heute überall noch gespielt – im Charlotteburger Renaissance-Theater seit exakt einem Jahrhundert.
Die Geschichte des Hauses beginnt am 18. Oktober 1922 mit einer Aufführung von Lessings „Miss Sara Sampson“. Da war das Renaissance-Theater noch ein Allerweltsraum. Erst mit dem Umbau durch Kaufmann, 1927 vollendet, bekommt es den Art-Decó-Touch mit den zauberischen Intarsien im Balkon, die der Berliner Künstler César Klein entwarf. Das Interieur strahlt, ungewöhnlich für ein Theater, wohnzimmerliche Wärme aus.
Nach dem Umbau kommt schon bald die Pleite
Ein gewisser Theodor Tagger leitet die Bühne, er wird als Dramatiker bekannt unter dem Pseudonym Ferdinand Bruckner („Krankheit der Jugend“, „Die Rassen“). Tagger hat Strindberg und Pirandello auf dem Spielplan, aber auch erste Revuen von Friedrich Hollaender. Und er hat die Stars der Zeit: Carola Neher, Tilla Durieux, Valeska Gert, Helene Weigel, Alexander Granach, Heinrich George.
Ein finanzieller Reinfall führt 1929 zur Schließung und Wiedereröffnung als Gastspielhaus. Von 1933 bis 1943 heißt der Intendant Alfred Bernau, es wird Unterhaltung angeboten, die das NS-Regime zulässt, mit bekannten Namen wie Adele Sandrock, Rudolf Platte, Hubert von Meyerinck. Nach dem Krieg übernimmt Kurt Raeck das Haus, er bleibt bis in die späten siebziger Jahre. Auf der Ahnentafel stehen O. E. Hasse. Elisabeth Flickenschildt, Grete Weiser. Aus dem Exil kommen Elisabeth Bergner, Blandine Ebinger und Curt Goetz zurück.
Das Haus zieht spezielle Typen an
Knesebeck/Ecke Hardenbergstraße: Berliner Theatergeschichte ist hier auf relativ schmalen Brettern konzentriert. Kurz und heftig verläuft die Intendanz des – 2016 verstorbenen – Schauspielers und Regisseurs Heribert Sasse in den achtziger Jahren. Sein irrer Ehrgeiz kommt bei der Kulturpolitik so gut an, dass er als Generalintendant an die Staatlichen Schauspielbühnen berufen wird. Deren Untergang ist damit eingeläutet.
Chefdramaturg Knut Boeser übernimmt das kleine, bis heute vom Senat geförderte Renaissance-Theater – mit Riesenplänen. Er will mit einer eigenen „Bettleroper“ den Broadway nach WestBerlin holen und sucht bei Ingrid van Bergen, Ingrid Caven, Mario Adorf und Hardy Krüger das Boulevardglück.

© dpa / Stefan Hesse
Das Renaissance-Theater bleibt auch danach mit seinen Unternehmungen speziell. Risiko gehört zum Geschäft. Intendant Gerhard Klingenberg, der von 1986 bis 1995, amtiert, bringt Harald Juhnke. Das klingt wie eine todsichere Nummer, aber Juhnke wünscht sich den „Entertainer“ von John Osborne, ein hartes englisches Stück, das den Verfall und Alkoholismus eines alternden Komikers zeigt. Juhnke ist ganz bei sich und hat endlich Erfolg jenseits der flacheren Gebiete.
Riesenerfolg mit der „Kunst“
Von 1987 bis 2011 laden die Berliner Festspiele zu ihren sonntäglichen „Berliner Lektionen“ ins Renaissance-Theater. Eine Institution: Wer da nicht auftrat, hatte in der Welt wenig vorzuweisen.
Das Renaissance-Theater zieht leidenschaftliche Charaktere an. Auf Klingenberg folgt Horst-H. Filohn. Er ist seit den Siebzigern als Technischer Leiter im Haus und bleibt eine sagenhaft lange Zeit Theaterchef, bis 2020. Filohn gelingen einige Coups, vor allem mit der Übernahme der Yasmina-Reza-Komödie „Kunst“ von der Schaubühne. Das Stück mit Udo Samel, Peter Simonischek und Gerd Wameling erlebt eine Renaissance. Er öffnet die Türen für heimatlose Stars, pflegt einen internationalen Spielplan.
Filohns Nachfolger Guntbert Warns kann daran anknüpfen. Er hat hier, mutig genug, einen „König Lear“ inszeniert. Jüngste Premiere war „Das Halsband“, eine Backstage-Komödie. Zum 100. Geburtstag steht Elisabeth Hauptmanns „Happy End“ auf dem Programm, mit Musik und Texten von Kurt Weill und Bertolt Brecht. Die definitive Geburtstags-Gala soll am 29. Oktober steigen.
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