
© IMAGO/Nicolas Economou
Treffen mit Stalin : Eine seltsame Begegnung im Urlaub in Griechenland
Unser Autor ist zum sommerlichen Willkommensdrink eingeladen und erlebt einen Rücksturz in die kommunistische Vergangenheit.

Stand:
Urlaub auf einer griechischen Insel. Ich bin im Haus unseres Gastgebers zu einem Willkommensdrink eingeladen. Es wird auch gleich frischer Fisch serviert. Und Gemüse aus dem Garten. Gepflegtes Grundstück, angenehme Menschen, der Blick geht übers Meer. Schöner wird es nicht in diesem Leben.
Das Haus ist aus Naturstein, da lässt es sich aushalten, auch ohne Klimaanlage. Katzen streifen durch die Küche, das Wohnzimmer wirkt sympathisch unaufgeräumt, Bücher stapeln sich am Boden, Zeitschriften, Schallplatten und DVDs. Früher sahen Studentenbuden so aus, aber der Hausherr ist längst im Rentenalter, und ehe ich mich versehe, dreht sich das Gespräch um Politik.
Todfeind USA
Merkel und Schäuble, die EU-Sanktionen damals in der Finanzkrise, die hässlichen Deutschen ... ? Aber es geht dem Mann um Größeres. Schuld an allem seien die USA. Und die Konzerne. Das kapitalistische System. Sie hätten im Balkankrieg das Meer verseucht mit chemischen Bomben. Verschwörungstheorien vom Allerfeinsten, meine Nachfragen gehen ins Leere.
Ich versuche, vorsichtig das Thema zu wechseln und deute auf ein großes Gemälde an der Wand. Fidel Castro und Ché Guevara in herzlicher Umarmung. Sieht man nicht allzu oft. Und über dem Kamin Stalin in vollem Ornat. Beim Zeus!
Erinnerungen an die Junta
Wo habe ich zuletzt ein Porträt von Stalin an der Wand gesehen? Es muss im Intendanzzimmer der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gewesen sein, damals, in den alten Castorf-Zeiten. Also lange her. Dieser Stalin konnte als ironische Geste verstanden werden, das Castorf-Theater spielte mit den Insignien der Diktatoren.
Aber hier ist es offensichtlich ernst. Der alte Mann sagt stolz, er sei Kommunist. Die Familie sei immer schon bei den Kommunisten gewesen. In den sechziger Jahren, erzählt er, sei ein Verwandter von den rechten Putschisten ermordet worden. Die USA hätten die griechische Militärdiktatur unterstützt, wegen der Stützpunkte am Mittelmeer.
Das stimmt, es lässt sich nicht leugnen. Der alte Mann lebt in seiner vergangenen Welt, mit felsenfesten Ansichten. Seine Leute haben schwer gelitten unter den Obristen, und irgendwie kann ich ihn verstehen. Bis er mit dem Krieg in der Ukraine anfängt, nach Stalin ruft und ich mich höflich verabschiede.
Es war ein wunderbarer Urlaub. In den folgenden zwei Wochen begrüßten wir einander höflich, jeder in seiner eigenen Zeit, die Worte waren aufgebraucht.
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