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Kultur: Über diese Brücke musst du gehen

Gegenwartskunst für Berlin: Vor zehn Jahren gab Friedrich Christian Flick seine Sammlung als Leihgabe an den Hamburger Bahnhof.

Als Friedrich Christian Flick am 9. Januar 2003 den Leihvertrag für seine Kollektion der Gegenwartskunst mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz unterschrieb, brachte der in der Schweiz lebende Sammler ein Werk von Martin Kippenberger mit. Es trug den anspielungsreichen Titel „Acht Bilder zum Nachdenken, ob’s so weitergeht“. Damals war keineswegs klar, wie sich die Beziehung zwischen dem Mäzen und den Staatlichen Museen zu Berlin weiter entwickeln würde: Der Vertrag hatte zunächst eine Laufzeit von sieben Jahren.

Selten war eine Leihgabe so umstritten wie diese. Ein Sturm der Entrüstung brach los, als bekannt wurde, dass der Enkel von Friedrich Flick, einem der wichtigsten Rüstungsunternehmer im nationalsozialistischen Deutschland, seine 2500 Werke umfassende Sammlung nach Berlin geben würde. „Göring Collection“ gehörte noch zu den milderen Bezeichnungen für das Konvolut, das schon am Wohnsitz des Sammlers für heftige Abwehr gesorgt hatte. Vom Bau eines Privatmuseums in Zürich musste Flick wegen anhaltender Proteste Abstand nehmen. Prompt wurde ihm auch in Berlin vorgeworfen, er habe die Sammlung mit „Blutgeld“ aufgebaut und wolle sie nun reinwaschen.

Der damalige Stiftungspräsident KlausDieter Lehmann, heute Präsident des Goethe-Instituts, und Museums-Generaldirektor Peter Klaus Schuster aber blieben standhaft: Die Sammlung passte zu gut in den Hamburger Bahnhof, der sich in seit seiner Eröffnung 1996 – dominiert von der Sammlung Marx mit ihrem Schwerpunkt bei Beuys, Warhol, Twombly und Rauschenberg – kaum zum Museum der Gegenwart entwickelt hatte. Mit den in Aussicht gestellten Werkgruppen von Kippenberger, Bruce Nauman, Jeff Wall, Jason Rhoades, Sol LeWitt, Robert Ryman, Nam June Paik, Polke, Richter und Baselitz sollte das Haus nun endlich den eigenen Ansprüchen genügen und Anschluss an die Zeitgenossenschaft gewinnen.

Für die Neue Nationalgalerie, zu der der Hamburger Bahnhof als Dependance gehört, war es ein Coup. Denn mit ihrem geringen Ankaufsetat hätte sie niemals Werke erwerben können, die der heute mit 300 Millionen Euro bezifferten Sammlung ebenbürtig wären. Um die gewonnene Fülle angemessen präsentieren zu können, wurden die benachbarten Speditionshallen umgebaut und durch einen Brückengang mit dem historischen Bahnhofsgebäude verbunden – finanziert vom Sammler selbst, mit 8 Millionen Euro.

Auf diese Weise wuchs das Museum auch räumlich, um 12 000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Im Fahrwasser der Umwandlung entwickelte sich das ehemalige Bahngelände hinter dem Hamburger Bahnhof zum neuen Hotspot der Szene: Internationale Künstler bezogen hier ihre Ateliers, Galerien zogen ein und begründeten die Halle am Wasser. Erst in jüngster Zeit haben sich neue Verschiebungen ergeben, als Szene-Standort hat das Quartier bald ausgedient.

Die Flick-Collection aber bleibt eine feste Adresse. Ihre Erstpräsentation im Herbst 2004 in sämtlichen Sälen des Hamburger Bahnhofs geriet zu einem furiosen Auftakt, der vielen Kritikern den Wind aus den Segeln nahm. Flick hatte sich derweil zur Gründung einer millionenschweren Stiftung gegen Rassismus, Intoleranz und Fremdenfeindlichkeit mit Sitz in Potsdam durchgerungen. Es war ein Kompromiss: Als Nachfahre des Großindustriellen Flick wollte er sich nicht in „Sippenhaft“ nehmen und zu Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter nötigen lassen.

Am Ende aber sprach alles nur noch von der Kunst und welches Glück Berlin mit der Leihgabe beschieden sei. Das ist seitdem so geblieben. In den vergangenen neun Jahren hat sich die vornehmlich in den Rieck-Hallen untergebrachte Sammlung durch Einzelausstellungen nach und nach in ihrer ganzen Breite präsentiert. Die Kuratoren können aus dem Vollen schöpfen. Geschickt werden immer wieder neue Schwerpunktthemen gesetzt, mal zu Video, zu Minimal Art oder in Soloshows, denn Flick pflegt in ganzen Werkblöcken zu kaufen. Allein von Bruce Nauman besitzt er hunderte Werke. Dessen Retrospektive 2010, wieder auf das gesamte Haus verteilt, offenbarte den Reichtum.

Aber die Beziehung zwischen Museum und Sammler bleibt ein heikles Thema. Flick und Berlins Staatliche Museen haben zu einem einvernehmlichen Verhältnis gefunden. 2008 schenkte der Sammler der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 166 Werke, die umfassendste Gabe an die Nationalgalerie seit 1945. Die Stiftung nahm es als Vertrauensbeweis und durfte sich Hoffnung auf Verlängerung des Leihvertrags für die übrigen Werke der Sammlung machen. 2011 unterschrieb Flick für weitere zehn Jahre. Proteste regten sich keine mehr.

Wie kompliziert die Verhandlungen mit Privatsammlern verlaufen können, zeigt sich an der gegenwärtigen Diskussion um die Gründung einer Galerie der Gegenwart am Kulturforum, in die auch die Surrealistensammlung des Ehepaars Pietzsch Eingang finden soll. Entweder es entsteht ein Neubau für die Moderne oder die Alten Meister ziehen von der Gemäldegalerie zur Museumsinsel um, wo allerdings ebenfalls erst ein Neubau errichtet werden müsste. Der Wunsch eines Privatsammlers wird damit nicht nur zum Auslöser einer Museumsrochade, sondern – so fürchteten deren Kritiker im Sommer – auch dafür, dass in der Zwischenzeit womöglich etliche Altmeister im Depot verschwinden.

Allmählich glätten sich die Wogen. Kulturstaatsminister Neumann hat vor wenigen Tagen einen Neubau in „fünf, sechs Jahren“ in Aussicht gestellt. Eine Machbarkeitsstudie im Frühjahr soll das Procedere klären. Just zu dem Zeitpunkt findet im Hamburger Bahnhof eine große Kippenberger-Ausstellung statt – nicht zuletzt auf Grundlage der Flick-Collection. Von Kippenberger stammt der Satz, dass sich die Wirkung eines Werks, eines Künstlers nach 20 Jahren erweist. Bei Sammlungen geschieht dies manchmal früher. Nicola Kuhn

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