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Bernhards Autobiografie: Unüberwindliche Nähe

„Was reden die Leute?“ Ein Erinnerungsbuch – und die fünfteilige Autobiografie des Schriftstellers

Die Frage nach dem Tod, ob für ihn danach noch was kommt, gehörte in Interviews mit Thomas Bernhard zum Repertoire; seine Antwort war immer dieselbe. Der Schriftstellerin Asta Scheib sagte er 1987, das Leben sei wunderbar: „Doch der schönste Gedanke ist, dass es endgültig endet.“ Und kurz vor seinem Tod am 12. Februar 1989 antwortete er Kurt Hofmann auf die Frage, ob er an Wiedergeburt glaube: „Das ist doch ein vollkommener Blödsinn. Das ist für schwache Kasperl wunderbar, aber ich brauch’ das nicht.“

Sehr wohl aber kümmerte sich Bernhard darum, was nach seinem Tod mit seinem Werk und Nachlass passieren sollte. Testamentarisch verwahrte er sich gegen „jede Annäherung dieses österreichischen Staates meine Person und meine Arbeit betreffend in aller Zukunft“, kein Wort dürfe aus seinem Nachlass in Österreich veröffentlicht werden. Was nicht verhinderte, dass er zum Klassiker befördert wurde, dass etwa sein Skandalstück „Heldenplatz“ Schullektüre ist und regelmäßig aufgeführt wird.

Thomas Bernhard ist lebendiger denn je, wofür nicht zuletzt stets neue Veröffentlichungen oder Textzusammenstellungen aus dem Nachlass sorgen. Allein in den letzten zwei Jahren veröffentlichte der Suhrkamp Verlag neben der Herausgabe der gesammelten Werke zahlreiche weitere Bernhard-Bücher: die Erzählungenbände „Meine Preise“ und „Goethe schtirbt“, den aus Interviews, Reden und Feuilletons bestehenden Band „Der Wahrheit auf der Spur“ oder den Briefwechsel mit seinem Verleger Siegfried Unseld. Genau so zahlreich sind die Fotobände und Bücher seiner Weggefährten und Freunde, etwa die 1999 veröffentlichten Erinnerungen des Musikers Rudolf Brändle, der Bernhard in der Lungenheilstätte Grafenhof in den Vierzigern kennenlernte; oder der Tagebuchband „Ein Jahr mit Thomas Bernhard“ des Immobilienmaklers Karl Ignaz Hennetmair, der lange ein enger Freund war und 1972 über alle Begegnungen mit Bernhard Buch führte.

In diese Reihe passt nun auch der von dem Bernhard-Fotografen Sepp Dreissinger zusammengestellte Band „Was reden die Leute“. Dreissinger hat Menschen getroffen, interviewt und gefilmt, die mit Bernhard verbunden waren, Journalisten (wie Peter von Becker), Theater- oder Verlagsleute, Nachbarn, Gastwirte. Sie erinnern sich an erste prägende Begegnungen, liefern Anekdoten, stellen ihre Sicht der Bernhard-Skandale dar und zeichnen facettenreiche Porträts.

Auffallend ist, wie oft das Wort „Blödeln“ vorkommt, dass gerade seine Freundinnen betonen, wie fröhlich Bernhard sein konnte, wie unzugänglich, distanziert er andererseits war. So sagt die Hamburger Pianistin Ingrid Bühlau: „Intimität war ihm vollkommen unmöglich. Das kam auch von seiner Erziehung, die war so körperfeindlich (…) Er hat Freunde auch immer mit durchgestrecktem Arm begrüßt, also abweisend.“ Auf Frauen übte er jedenfalls eine große Anziehung aus. „Er hatte ja immer so einen Damenflor um sich“, erinnert sich Helga Mangl, die als Mitarbeitern des Architekturbüros von Viktor Hufnagl miterlebte, wie dessen Frau nach Bernhards Tod körperlich und seelisch zugrunde ging: „Margarete Hufnagl war eine Frau, die sich für ihn hätte vierteilen lassen.“

Stärker dagegen zeigte sich die Nachbarin Christa Altenburg, die konstatiert, „dass er immer versucht hat, die Männer rauszudrängen“; auch Bernhards Nachlassverwalter und Halbbruder Peter Fabjan sagt über Bernhard und die Frauen: „Er hat sich ihre Beziehung zunutze gemacht, sie sich gleichzeitig vom Leib gehalten, um ganz seiner Arbeit nachgehen zu können.“ Am Ende dieser Lebensbeschreibung aus 58 sehr unterschiedlichen Blickwinkeln glaubt man Bernhard zwar näher gekommen zu sein. Doch hat man auch den Eindruck, dass sein Wesen sich stets entzieht, dass die Frage, wer er wirklich war, nicht beantwortet werden kann. Zu sehr hat er Abstand gehalten, hat er sich auch in seinem sozialen Umfeld stilisiert.

Seine fünfbändige, literarisch gleichfalls hochstilisierte Autobiografie ist dazu eine zwingende Ergänzung. Von 1975 bis 1982 entstanden, erzählt Bernhard darin aus Kindheit und Jugend: von seinen frühen Jahren in „Ein Kind“; von den Krankenhausaufenthalten in „Der Atem“ und „Die Kälte“; von der Schulzeit in Salzburg, den Bombardements der Alliierten in „Die Ursache“; von der Kaufmannslehre in der Scherzhauserfeldsiedlung in „Der Keller“. Hier finden sich zwischen den hochgradig rhythmisierten, die Übertreibung und die Wiederholung zum Stilprinzip erhebenden, Nazis, Katholiken, Ärzte und Salzburg anklagenden, die stumpfsinnige Welt verhöhnenden Passagen aber auch vergleichsweise sanfte Einschübe.

In diesen treibt Bernhard seine Lebensgeschichte voran, erzählt er von seiner Familie, vor allem dem Großvater, dem er viel verdankt, von dem er sich aber auch distanziert. Geschrieben ist all das aus der Warte des erfolgreichen Schriftstellers, der mit den Fakten spielt, sie fiktionalisiert, dessen poetologischer Hintergrund es ist, die Wahrheit über sein Leben nie zu Papier bringen zu können: „Wir beschreiben etwas wahrheitsgetreu, aber das Beschriebene ist etwas anderes als die Wahrheit.“ Trotz aller Krankheits-, Krisen- und Konfliktschilderungen entfaltet diese Biografie hohes Suchtpotenzial, selbst wenn inhaltlich oft Stillstand ist, wenn die Erzählmuster undurchsichtig werden, wenn der kontrollierte Irrsinn herrscht. So kippt etwa „Der Keller“ am Ende ab, als Bernhard noch eine Art Kommentar zu seiner „Entziehung“ schreibt (so der Untertitel). Eine Sentenz jagt die andere, Sätze wie „Ein Kind ist immer ein Schauspieldirektor, und ich bin schon sehr früh ein Schauspieldirektor gewesen“ oder „Es ist das Wesen der Natur, dass alles egal ist.“

Man versteht nicht jeden dieser Sätze und Gedankengänge; sicher ist, dass man Thomas Bernhard zumindest beim Lesen seiner Bücher sehr, sehr nahe kommt.

Was reden die Leute – 58 Begegnungen mit Thomas Bernhard. Aufgezeichnet von Sepp Dreissinger. Müry Salzmann, Salzburg 2011. Mit Fotografien von S. Dreissinger und Johann Barth, 384 S., 29, 90 €.

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