
© Christina Höhn/Suhrkamp Verlag
Familiäre Bande: Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld war Mitglied der NSDAP
Der große Verleger Siegfried Unseld ist 1942 auf eigenes Betreiben in die NSDAP eingetreten, wie der Historiker Thomas Gruber im Bundesarchiv herausfand. Gibt es nun einen „Fall Unseld“?
Stand:
Ob diese Entdeckung wirklich zu einem „Fall“ wird, einem „Fall Unseld“, wie die „Zeit“ das in ihrer neuesten Ausgabe orakelt? Die Wochenzeitung berichtet, dass der Historiker Thomas Gruber bei Forschungen im Bundesarchiv in der dort aufbewahrten NSDAP-Mitgliederkartei die Karte des großen Suhrkamp-Verlegers gefunden habe, des Verlegers der von den Nazis ins Exil getriebenen jüdischen Intellektuellen Theodor W. Adorno, Max Horkheimer oder Gershom Sholem, von jüdischen Autoren wie Paul Celan, Nelly Sachs oder Amos Oz.
Unseld wurde demnach am 1. September 1942 als Nummer 9.134.036 in die Partei aufgenommen, vermutlich auf eigenes Betreiben, und zwar soll er am 8. Juni 1942 einen Antrag gestellt haben. Diese Entdeckung erinnert an die NSDAP-Mitgliedschaften von Martin Walser, Siegfried Lenz oder Dieter Hildebrandt, die erst in den späten nuller Jahren herauskamen und von denen die Betroffenen nach eigenen Bekunden nie etwas gewusst hatten, und natürlich auch an die SS-Mitgliedschaft von Günter Grass, deren späte Offenbarung in seinem autobiografischen Buch „Beim Häuten der Zwiebel“ 2006 die Republik monatelang in Atem hielt.
Unseld hat seine NSDAP-Mitgliedschaft nie bekannt
Unseld, der 2002 starb, hat über seine Parteimitgliedschaft nie ein Wort verlauten lassen, zumindest nicht öffentlich und auch nicht so, dass jemand aus seinem engsten Umfeld meinte, das offenbaren zu müssen; er hat darüber geschwiegen, im Grunde wie die allermeisten Deutschen, die noch viel weniger bekannt waren als er. Aus Scham, auch weil ihn niemand danach gefragt hat, und weil seine biografischen Spuren im Nationalsozialismus einigermaßen ausgeleuchtet schienen.
Der Vater brannte 1938 Synagogen nieder
Geboren 1924 in Ulm als Sohn des Kreisinspektors Ludwig Unseld und seiner Frau Maria Magdalena, wurde er 1940 Fähnleinführer bei der Hitler-Jugend und hatte dort das Kommando über 600 Jungen. Sein Vater, so steht es auch in der Siegfried-Unseld-Chronik auf der Website des Suhrkamp Verlags, war ein strammer NS-Anhänger und trat im Mai 1933 in die NSDAP ein. Er „soll“, wie es dort zurückgenommen heißt, „in der Pogromnacht im November 1938 als Mitglied der SA am Niederbrennen zweier Synagogen im Umland von Ulm beteiligt gewesen sein - was er bestritt, ihm jedoch eine Verurteilung zu zehn Monaten Gefängnis eintrug.“
Ende 1942 wurde Unseld zur Wehrmacht einberufen, im lettischen Libau bildete man ihn zum Marinefunker aus. Als solcher befand er sich dann im Kriegseinsatz in Osteuropa, unter anderem auf der Krim, wo er der sowjetischen Armee entkam, in dem er sich von den Steilfelsen vor Sewastopol ins offene Meer fallen ließ, stundenlang um sein Leben schwamm und schließlich von einem deutschen Schnellboot gerettet wurde.
1944 mehrere Stunden im Meer überlebt
Es ist dies eine Geschichte, die Unseld immer wieder erzählt hat, das Schwimmen wurde danach zu seiner Passion, wenn man so will: Überlebensobsession. Den Krieg erlebte er bis zum Ende zunächst in Bulgarien und Griechenland und schließlich in Flensburg.
Unseld, so die Lesart nach dem Zweiten Weltkrieg und während seines Aufstiegs zum bedeutendsten Verleger der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte, zum Paten der „Suhrkamp Culture“, dieser Unseld war halt bei der Wehrmacht gewesen und kam aus einer, wenn man so will, typisch nationalsozialistischen Durchschnittsfamilie. („Der Nationalsozialismus drang den vorliegenden Dokumenten zufolge bis in die Familie vor“, heißt es wieder sehr zurückgenommen in der Chronik des Suhrkamp Verlags.)
Wie sehr Unseld aber in Ulm erst auf dem Blauring-Realgymnasium und dann an der Hans-Schemm-Oberschule ideologisch bearbeitet worden ist, wie viel Einfluss die NS-treuen und antisemitischen Eltern auf seine politisch-geistige Entwicklung hatten, danach ist von den fünfziger Jahren bis zu seinem Tod nie gefragt worden. Dazu zu gab es schließlich auch bei dem vorbildlichen, dezidiert für Aufklärung, Humanismus und Antifaschismus stehenden Wirken von Unseld keinen Anlass.
Spaß als Fähnleinführer
Nur ist es bei der Herkunft Unselds, dem Spaß, den er anscheinend als Fähnleinführer bei der Hitler-Jugend hatte, der ihn überhaupt umgebenden nationalsozialistischen Ideologisierung auch kein so überraschender Schritt, wenn er sich schließlich selbst um die Aufnahme in die NSDAP bewarb. Die hohe Mitgliedsnummer spricht da zusätzlich Bände.
Dass Thomas Gruber seine Entdeckung von Unselds NSDAP-Mitgliedschaft so kurz nach den großen, ausdauernden Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des Verlegers im September des vergangenen Jahres gemacht hat, steht noch einmal auf einem anderen Blatt.
So interessant scheint da niemand mehr die jungen Jahre Unselds gefunden zu haben, um sie noch einmal präziser in den Blick zu nehmen. Das wird nun in den nächsten Wochen geschehen, aber vermutlich ohne, dass daraus ein „Fall Unseld“ wird oder gar seine verlegerischen Leistungen, seine moralische Integrität in Frage gestellt werden könnten.
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