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Von preußischer Souveränität: Jürgen Engert

© picture alliance / dpa

Der Journalist Jürgen Engert ist tot: Wahrheit in Klarheit

SFB-Chefredakteur, Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios, Berliner-Kenner: Jürgen Engert ist mit 85 Jahren gestorben. Ein Nachruf.

Wer zu Jürgen Engert ins Büro kam, der kam an der Preußen-Fahne nicht vorbei. Da stand sie, ein Ausrufezeichen. Aber sie war kein Signal zu Habacht und Unterwerfung, bei Gott nicht, sie vermittelte nur das, was das Arbeitsethos des Büro-Nutzers war. Oh ja, Jürgen Engert war ein Preuße, seine Autorität kam nicht aus der Befehlsgewalt, sondern aus der Souveränität seiner Entscheidungen.

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Tatsächlich wurde der Journalist in Dresden geboren, wo er auch aufwuchs. Weil ihm ein Studienplatz in der DDR verwehrt wurde, ging er nach München und immatrikulierte sich an der Ludwig-Maximilians-Universität. Später wechselte er nach West-Berlin und studierte an der Freien Universität Geschichte, Germanistik und Philosophie. Schon da war klar, dass Jürgen Engert nicht von Erfurcht vor Fürstenthronen geprägt war. Gerne sagte er, „da geht es zu wie bei Hofe“, wenn er Untertanengeist und selbstherrliche Attitüde witterte. Seine Stirn schob sich in Falten und er fand Formulierungen, die bei aller analytischen Klarheit zwischen viel Sarkasmus und einigem Zynismus schwankten.

Mensch des gesprochenen und geschriebenen Worts

Jürgen Engert war ein Mensch des gesprochenen und des geschriebenen Wortes, er stammte aus einer öffentlich-rechtlichen Journalisten-Generation, die ihre Karriere bei der Zeitung begann, ehe sie, zumeist steiler, in den Funkhäusern fortgesetzt wurde. So auch Jürgen Engert, er arbeitete von 1974 an erst als politischer Redakteur und dann als Chefredakteur der Zeitung „Der Abend“ in Berlin. Die Absicht war gehobener, intelligenter Boulevard, aber als das Blatt einem Teppichhändler in die Hände fiel, ging Engert. Das war 1980. Ausgezeichnet mit dem Theodor- Wolff-Preis 1994 und nach wenigen Jahren freiberuflicher Arbeit kam Engert 1983 als Hauptabteilungsleiter Politik zum Sender Freies Berlin (SFB), 1987 wurde er Chefredakteur des SFB-Fernsehens. Einem breiten Publikum wurde er als Kommentator und durch die Moderation des Politik-Magazins „Kontraste“ bekannt, die er 1986 übernommen hatte und bis 1998 behielt.

Journalismus mit Aufklärung

Der aufklärerische und die demokratischen Prozesse befördernde Journalismus, gepaart mit kritischem Bewusstsein, hatte in Jürgen Engert einen entschlossenen Verfechter. Und er war der richtige Mann an der richtigen Stelle in den Monaten und Jahren von Mauerfall und Wiedervereinigung. Seine Beiträge im ARD-Fernsehen, gestaltet mit Fritz Pleitgen, Intendant des Westdeutschen Rundfunks und ehemaliger Korrespondent in der DDR, „sind im Gedächtnis des Landes verankert“, wie Patricia Schlesinger, Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, sehr zu Recht anmerkte. Er gehörte zu den prägenden Fernsehjournalisten der Bundesrepublik.
Journalist mit redaktionellem Gestaltungswillen, Drehbuchschreiber („Einmal Ku'damm und zurück“), Buchautor („Mein Gott Berlin“) – mit der Wende kam für den Berlin-Kenner eine weitere, gewichtige Aufgabe hinzu. Der SFB-Chefredakteur wurde Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios, das 1999 eröffnet wurde. Engert war kein Mann der halben Sache. Diese Aufbauarbeit übernahm er mit Verve, mit seinen Kolleginnen und Kollegen etablierte der Teamplayer das Haus als Instanz bundespolitischer Berichterstattung.

Stilwillen

2001 verabschiedete sich Jürgen Engert in den Ruhestand. Aber er blieb auch für diese Zeitung ansprechbar, so erinnerte er an 50 Jahre „Kontraste“ im Ersten, einem Magazin, dem deutsch-deutsche Politik und Widerstand in der DDR eine Mission waren. Engerts Beiträge waren stets ein Gewinn, weil von Wahrheit in Klarheit durchdrungen. Mit Stilwillen wusste er die Worte zu wählen und die Sätze zu platzieren.
Am Sonntag ist Jürgen Engert mit 85 Jahren gestorben.

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