
© Robauix
Französische Filmwoche im Stream: Weihnachten in der Schneekugel
Die Französische Filmwoche findet digital statt. Besonders besinnlich geht es dieses Jahr auf der Leinwand nicht zu.
Stand:
Das Weihnachtsfest fällt trist aus in der nordfranzösischen Kleinstadt Roubaix, auch ohne Corona. Die Region nahe der belgischen Grenze gehört zu den ärmsten des Landes; überdurchschnittlich viele Menschen sind hier arbeitslos, die Verbrechensrate ist hoch.
Weihnachten sieht auf der Polizeiwache wie ein ganz normaler Arbeitstag aus: eine Vergewaltigung, Vandalismus, eine ausgerissene 17-Jährige, ein Brandanschlag, eine getötete Rentnerin.
Der neue Ermittler Cotterel (Antoine Reinartz) bekommt zum Dienstantritt die ganze Wucht der Realität vor den Latz geknallt. Sein Vorgesetzter Yakoub Daoud (Roschdy Zem) leitet das Revier mit einem größtmöglichen Maß an Menschlichkeit, einen Anflug von Melancholie kann er dennoch nicht verbergen.
Das Polizeidrama „Roubaix, une lumière“ des Regie-Feingeistes Arnaud Desplechin ist einer von zwei untypischen Weihnachtsfilmen im Programm der Französischen Filmwoche, das coronabedingt abgespeckt wurde und ab Donnerstag online, über das Streamingportal Sooner, zu sehen ist.
Inzwischen hat man die vielen Stunden am heimischen Bildschirm ja etwas über, aber ein Desplechin ist natürlich immer ein Grund – erst recht wenn er so aus dem Rahmen fällt wie „Roubaix“, mit dem der Regisseur von „Kings & Queen“ an seinen Geburtsort zurückkehrt. Zu gleichen Teilen Sozialstudie und Polizeifilm, der weniger auf Action als auf die kleinteilige Ermittlungsarbeit fokussiert, unterspielt Desplechin seine visuelle Brillanz zugunsten nüchterner Beobachtungen.
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Der Polizeichef ist die interessanteste Figur, Roschdy Zem spielt ihn mit weltmüdem Ausdruck, als laste auf ihm alle Verantwortung für die Menschheit. Er ist der einzige seiner Familie, der nicht nach Algerien zurückgekehrt ist; ein Neffe sitzt im Gefängnis, weigert sich aber, mit dem Onkel zu reden.
Ein Versuch eskaliert, für den Jungen verkörpert Daoud alles, was in Frankreich schiefläuft. In Momenten wie diesen finden beide Genres zusammen, doch Desplechin scheint sich mehr für den Kriminalfall zu interessieren.
[Vom 26.11. bis 2.12. auf sooner.de]
In der zweiten Stunde rücken die Mordermittlungen in den Mittelpunkt, der Fokus zieht sich zu einem Kammerdrama zu: Das Verhört auf der Wache wird zum Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Polizisten und den beiden Hauptverdächtigen (Léa Seydoux, Sara Forestier), ohne dass Desplechin an die psychologische Finesse eines Klassikers wie Claude Millers „Das Verhör“ anknüpfen kann.
Als Gesellschaftsporträt kaum aussagefähig
Was der Regisseur aus den Frauen an biografischen Verwerfungen herausarbeitet, erscheint für das Gesellschaftsporträt des gegenwärtigen Frankreichs auch weniger aussagekräftig als die Fragmente, die man aus Daouds Leben erfährt.
„Roubaix“ hinterlässt einen flüchtigen Eindruck aus einem entlegenen Winkel der Republik. Am Ende wird die Weihnachstdeko wieder von den Häuserfassaden abgehängt, von Besinnlichkeit keine Spur.
Der zweite Weihnachtsfilm ist „Zimmer 212“ von Christophe Honoré. Passenderweise lässt Frankreichs Lieblingsautorenfilmer seine Komödie gleich in einer Schneekugel spielen. Leise rieselt der Schnee, während Maria (Chiara Mastroianni) und Richard (Benjamin Biolay) über ihre 20-jährige Ehe sinnieren.
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Ihre Affäre mit ihrem Studenten Asdrubal Electorat (was für ein Name, eine „athroponymische Fantasie“ nennt Maria ihn) ist durch eine dumme SMS aufgeflogen, für eine Nacht zieht sie in das gegenüberliegende Hotel, wo sie ihre Lebensentscheidungen rekapituliert.
Der erste Schritt: Sie geht mit dem jüngeren Alter Ego Richards ins Bett, Richard erträumt sich ein Leben mit seiner ersten Liebe Irene, seiner Klavierlehrerin. Honoré ist hier ungewöhnlich boulevardesk gestimmt, für die Charles-Dickens-Variation einer Ehe in der Midlife-Krisis bleibt „Zimmer 212“ aber ganz französisch-wolkig. „Nicht die Gegenwart, die Vergangenheit lässt uns die Gewissheit einer Liebe beschwören.“
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