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"Frau Paula Trousseau" von Christoph Hein: Weiß ist meine Sehnsucht

Kunst, Glück, Hass und Tod: Christoph Hein erzählt in „Frau Paula Trousseau“ von einem Malerinnenleben in der DDR

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Das Buch beginnt wie ein Kriminalroman. In einer Provinzstadt an der Loire ist die Leiche von Paula Trousseau, einer Deutschen, gefunden worden. Der Fall ist rasch geklärt: Selbstmord. Vor dem Suizid hat Paula ihr Leben aufgezeichnet. Die Autobiografie – von einem Freund zugänglich gemacht – ist in der Ichform erzählt, doch werden zahlreiche retrospektive Passagen aus der Kindheit objektivierend in der dritten Person Singular berichtet. Dadurch wird erzähltechnisch der Graben verdeutlicht, der sich zwischen der fremdbestimmten Kindheit und dem selbstverantworteten Leben der erwachsenen Protagonistin auftut.

Im Roman wird auf die Bedeutungen des französischen Wortes „Trousseau“ nicht eingegangen, doch ist seine symbolische Valenz nicht zu übersehen. Es heißt so viel wie „Ausstattung“ und „Aussteuer“, ist aber auch die Bezeichnung für eine selten gewordene Rebsorte, die noch im Jura anzutreffen ist, weil diese Landschaft von den großen Anbauflächen isoliert ist, wo modischere Weine produziert werden. Es fällt einem auch Armand Trousseau ein, der Mediziner aus dem 19. Jahrhundert, Spezialist für die Erforschung somatischer Verkrampfungen. Aber in „Trousseau“ steckt im Wortsinne noch mehr, nämlich der Name Rousseau, der an den Philosophen Jean-Jacques mit seinen zündenden Ideen von Natur und Freiheit gemahnt, doch auch an Henri erinnert, einen Vertreter der modernen Malerei. So Unterschiedliches der Portemanteau-Name „Trousseau“ enthält, verweist doch alles auf Eigenschaften der Protagonistin.

Paulas Kindheit in der sächsischen Provinzstadt: Der kalte Krieg der Eltern zerrt an den Nerven, die Mutter wird vom fremdgehenden Vater unterdrückt, der ältere Bruder ist körperlich und seelisch schon als junger Mann zum Krüppel geworden, und die ältere Schwester übt sich ein in die emotionale Vereisung. Klavierspiel und Malen sind Freiheitszonen, die Paula während der Schulzeit entdeckt, Aktivitäten, die ihr ein Gefühl von Glück vermitteln. Der Vater, ein autoritärer Charakter und angepasster Untertan, verbietet das Klavierspiel. Es bleibt das Zeichnen, aber auch hier soll es keine Entfaltung geben: Die Eltern zwingen ihr eine Lehre als Krankenschwester auf. Aus dem Regen der familiären Hasshölle gerät sie in die Traufe der von vornherein zum Scheitern verurteilten Ehe mit dem ungeliebten Architekten Hans Trousseau.

Auf die Zumutungen der Umwelt reagiert die junge Frau mit immer größerer Härte. Gegen den Willen des Mannes und der Eltern besucht sie in den frühen 1970er Jahren die Kunstakademie in Berlin. Von jetzt an nutzt sie alles, was der Verwirklichung ihres Traums, Malerin zu werden, förderlich ist. Im Scheidungsprozess legt sie keinen Wert darauf, das Erziehungsrecht für die Tochter zu erhalten, denn das Kind würde beim Studium nur stören. Sie zieht in die Villa eines ihrer Kunstprofessoren, der mehr als doppelt so alt ist wie sie; flunkert ihm etwas von Liebe vor, wo es doch nur um Protektion und Privilegien geht. Sobald ihr Studium beendet ist, verlässt sie ihn. Bindungen an Männer gibt sie auf; Momente erotischer Erfüllung und seelischer Gleichgestimmtheit erlebt sie in zwei lesbischen Freundschaften.

Die Abschnitte über das Studium an der Berliner Kunstakademie gehören mit zum Besten, was in der Erzählliteratur über den akademischen Betrieb in der DDR geschrieben worden ist. Nirgendwo beherrscht man wie dort das Jonglieren mit den vielen Bällen des Offiziellen und des Offiziösen, des amtlich Gewünschten und des persönlich Ironisierten. Die Parteilinie wird beschworen, wenn missliebige Kollegen benachteiligt oder gar vernichtet werden sollen. Ansonsten gibt man sich weltoffen und leger. Mit der Nonchalance ist es allerdings vorbei, wenn die Moderne zur Sprache kommt: „Abstrakt“ ist „westlich“ und gleichbedeutend mit einem Angriff auf das Realismus-Dogma bzw. den Sozialismus überhaupt. Ein Verirren ins Nichtgegenständliche muss auch bei der schönen Paula verhindert werden. Von den Zentren der Kunst isoliert, weiß sie nur wenig über neuere Entwicklungen in ihrem Gebiet.

So entdeckt sie für sich selbst das monochrome Malen, das im Westen mit Bildern von Yves Klein und Raimund Girke bereits zur Avantgarde von Gestern gehört und durch neue – dem Figuralen geöffnete – postmoderne Tendenzen abgelöst wird. Paulas weiße Schneelandschaft darf nicht vorgezeigt, geschweige denn ausgestellt werden. Für ihr Experiment wird sie bestraft: Mit knapper Not besteht sie die Prüfung, und ein Künstlerstipendium wird ihr verweigert. Nach ihrem Studium hat Paula als freischaffende Künstlerin nur mäßigen Erfolg. Sie hält sich mit Illustrationsaufträgen von Buchverlagen über Wasser. Die Wiedervereinigung erlebt sie als Katastrophe, weil ihre Auftraggeber Pleite machen bzw. von westdeutschen Verlagen übernommen werden, die mit ihren Bildern nichts anzufangen wissen. Die Folge ihrer Arbeitslosigkeit sind Depressionen und Todeswünsche. Heins epischer Realismus steht in ironischer Beziehung zum Realismus in der Malerei, wie ihn die DDR-Professoren im Roman so aggressiv verteidigen. Zwar fehlt bei Hein der dogmatische Gestus, aber er hat nie etwas von revolutionären formalen Versuchen gehalten: Fontane steht ihm näher als Joyce. Damit kommt er heutigen Leseerwartungen entgegen. Zu den überraschenden Wendungen in der Rezeption gehört, dass ausgerechnet der zeitgenössische amerikanische Roman eine Aufnahmebereitschaft für die Art des Realismus von Christoph Hein verstärkt hat. Es war die Postmoderne in den USA, die ein erneutes Ausprobieren traditioneller Erzählstile begünstigte.

Paula erinnert an zwei bekannte Figuren aus der DDR-Literatur: Sie ist eine entfernte Verwandte der Christa T. aus dem „Nachdenken“-Roman von Christa Wolf wie auch der Ärztin Claudia in Christoph Heins eigener Novelle „Der fremde Freund“. Paula besteht wie Christa T. auf der Erfüllung ihrer subjektiven Wünsche, folgt einem individualistischen Lebensentwurf. Christa T. jedoch ist sensibel, gehört in die Kategorie empfindsam-deutscher Frauengestalten, hat nichts von der Härte und dem rücksichtslosen Egoismus der Paula Trousseau. Mit diesen Charaktereigenschaften erinnert sie eher an Claudia im Fremden Freund, wenngleich auch hier die Unterschiede nicht zu übersehen sind: Claudia ist im DDR-Alltag angekommen und fühlt sich in ihm wohl – jedenfalls behauptet sie das. Paula kann ihre Künstlerexistenz – das einzig Sinngebende in ihrem Leben – in der DDR nur mit großen Schwierigkeiten aufrechterhalten und nach 1989 nicht fortsetzen.

Nach „Willenbrock“ und „Landnahme“ hat Christoph Hein mit „Frau Paula Trousseau“ erneut einen psychologisch subtilen Gesellschaftsroman geschrieben, der Schicksale aus der DDR erfindend erkundet: Biografien, die den symptomatischen Bruch verdeutlichen, den die politische Wende herbeiführte.

Christoph Hein: Frau Paula Trousseau. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007. 537 Seiten, 22,80 €.

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