zum Hauptinhalt
Notärztin Judith (Julia Franz Richter) überfallen im Haus der verstorbenen Eltern Visionen.

© Berlinale/Lotus Filmproduktion, Senator Film Produktion

„Welcome Home, Baby“ auf der Berlinale: Polanski reloaded

Im Eröffnungsfilm des Panoramas erzählt der österreichische Genrespezialist Andreas Prochaska von den Schrecken der Provinz.

Stand:

Heimat als Horror, na Servus. Es ist die Umkehrung eines Mythos, den der Regisseur und Drehbuchautor Andreas Prochaska in „Welcome Home Baby“, dem Eröffnungsfilm der Sektion Panorama, betreibt. Alles, was heimelig und idyllisch ist an Dörfern, Wäldern und Seen der österreichischen Provinz, erscheint in diesem Psychothriller mit Horror-Appeal als doppelbödig, als belastet mit dunklen Geheimnissen, gar als paranormal.

Das, was die Berliner Notärztin Judith erlebt, als sie das Haus ihres verstorbenen Vaters erbt, mit dem sie nie Kontakt hatte, ist mehr als eine Entfremdung durch Heimkehr. Es ist ein heißer Abriss der ganzen Heimat-Idee.

2013 hat der Genre-Spezialist Andreas Prochaska mit dem packenden Alpenwestern „Das finstere Tal“, einer düsteren Rachesaga mit Sam Riley und Paula Beer in den Hauptrollen, seinen Einstand auf der Berlinale gegeben. Nun ist er nach vielen Fernsehprojekten ein zweites Mal da. Und man stellt fest, dass Prochaska, früher mal Cutter von Michael Haneke, in der Wahl seiner filmischen Mittel nicht zimperlicher geworden ist.

Menschen in Flammen, Katakomben voller Totenschädel, Tod durch Ertrinken, bluttriefende Rehbockschädel und ein dröhnender Grusel- und Suspense-Sound, der beim Erreichen der Handlungsklimax fast einen Hörsturz auslöst, halten den Blutdruck oben. Meine Güte, ist die provinzielle Stille in Österreich laut. Gleich in den ersten Filmminuten folgt auf einen Tod eine Geburt und man ahnt: Prochaska dreht ein mächtiges Schicksalsrad.

Wie es die Konventionen des Horrorgenres vorschreiben, fängt Judiths Höllenfahrt mit dem Fehler an, überhaupt in den Ort zu reisen, aus dem ihre Eltern sie mit vier Jahren fortgaben. Fahr‘ da bloß nicht hin, geh‘ bloß nicht in den Keller, denken Zuschauer von Thrillern höchst vergeblich. Kaum, dass Judith (Julia Franz Richter) und ihr Mann Ryan (Reinout Scholten van Aschat) im geerbten Haus ankommen, häufen sich die Seltsamkeiten.

Wohin Judith auch immer mit dem Auto flieht, die Dörfler um Tante Paula (Gerti Grassl, Mitte) stehen wie eine Wand dagegen.

© Berlinale/Lotus Filmproduktion, Senator Film Produktion

Ihr Vater war Arzt, genau wie Judith, noch dazu Jäger – mit Trophäensammlung und Waffenschrank – er starb im Alter. Doch was ist eigentlich mit der Mutter geschehen? Die unheimliche Tante Paula (Gerti Grassl in einer Paraderolle) scheint mehr zu wissen, hüllt sich aber in Schweigen. Merkwürdig auch, dass die netten Tanten und Nachbarinnen, die fürsorglich für die Neuankömmlinge kochen und backen, allerhöchstes Interesse daran haben, dass Julia und Ryan im Dorf bleiben. Sicher, Dorfverjüngung tut Not.

Polanskis Schwangerschaftshorror lässt grüßen

Mit Judiths Schwangerschaft, die sie auch am Tage in wilde Alpträume stürzt, verwandelt sich Prochaskas Nervenerschütterungsszenario endgültig in „Rosemaries Baby“ im dunklen Tann österreichischer Wälder. Raum und Zeit geraten durcheinander, auf der Bildebene entsteht ein rechter Visionensalat und dazu donnert unablässig der expressive Sound.

Vor lauter Gruselgewusel bleibt die Psychologie auf der Strecke. Aber dass die Frauen, gar die alten Frauen, im Dorf die wahren Satansbraten sind und die Männer rein gar nichts zu melden haben, das erfreut und weckt Hoffnungen auf einen schön schrecklichen Hexensabbat.

Dass fremde Mächte die Kontrolle über das eigene Bewusstsein erlangen, ist ein Horror- und Science-Fiction-Topos, der bei Protagonisten zuverlässig zur Persönlichkeitsauflösung führt. Zumal Judith – wie bei Polanskis Rosemarie – auch ihr Mann in den Rücken fällt.

Mütterlichkeit, also die Bindung zum eigenen Kind, erweist sich einmal mehr als das stärkste Band. Ein in der Filmgeschichte gerade von männlichen Regisseuren überstrapazierter Topos der Conditio humana, der „Welcome Home Baby“ nicht gelungener macht.

Das ewige Gewese um Schwangerschaft und Geburt im Arthouse wie im Fernsehfilm scheint gefühlt in seltener Blüte zu stehen. Ein Phänomen, dass mutmaßlich mit der niedrigen Geburtenrate korreliert. Je seltener geboren wird, desto kostbarer jedes Kind. Was die beliebte, naturalistische Darstellung der für jede Aufladung nutzbaren Geburt angeht, ist auf Prochaskas Heimathorror immerhin Verlass.

In der Gebärhöhle mit See schlagen die Wogen beim heidnischen Ritus so dramatisch hoch, dass man kaum begreift, was man eigentlich sieht. Statt dem gewollten Verunsicherungsmoment hängen Fragezeichen im Kopf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })