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Jüdischer Friedhof Weißensee.

© imago/Rolf Zöllner

Wenn Judentum verklärt wird: Unsere Friedhöfe sind keine Erholungsoasen

Um die Totenruhe nicht zu stören, sollen selbst Angehörige einen jüdischen Friedhof möglichst selten besuchen. Ein Plädoyer gegen das Lustwandeln zwischen Gräbern von unserer Schlamasseltov-Kolumnistin.

Debora Antmann
Eine Kolumne von Debora Antmann

Stand:

Ein taz-Artikel zum jüdischen Friedhof Weißensee erregt meine besorgte Aufmerksamkeit: Ist etwas passiert? Traurig, dass dies mein erster Gedanke ist …

Aber nichts ist passiert. Stattdessen berichtet der Autor von seinen Spaziergängen auf dem jüdischen Friedhof und wie das Konzept „Ewigkeit“ dank Natur und Verfall eine„verwunschene“ Atmosphäre schafft. Seine Liebe zu diesem Ort wird deutlich und trotzdem befällt mich Unbehagen beim Lesen.

Es freut mich, dass jemand sich die Zeit genommen hat, eine Hommage an den Friedhof in Weißensee zu schreiben. Aber Begriffe wie „verwunschen“ oder der Umstand, dass der Autor regelmäßig zum Spazieren auf dem Friedhof unterwegs ist, versetzen mich in Missstimmung. Denn um die Totenruhe nicht zu stören, sollen selbst Angehörige einen jüdischen Friedhof möglichst selten besuchen. Jüdische Friedhöfe sind nicht zum „Lustwandeln“ gedacht!

Bestaunen mit faszinierter Distanz?

Mir fällt ein Ausflug mit meiner Schule zum jüdischen Friedhof Weißensee ein: Begutachtet wurde das Fremde. Der Ort wurde zur faszinierenden Attraktion, zum Gegenstand von Vorzeigen und Bestaunen. Dass es für manche Schüler*innen (wie mich) ein persönlicher Ort der intimen Trauer und des realen Erlebens ist, wurde nicht in Betracht gezogen. Meine Mutter lag damals bereits auf einem jüdischen Friedhof. Wie viele Schulklassen stampfen an ihrem Grab vorbei? Bestaunen mit faszinierter Distanz?

Die Betitelung unserer Grabstätten, als „verwunschen“ stärkt für mich das Bild eines „fremden“ Orts mit fiktiver Trauer. Wie viele Jüd*innen, die ihre Angehörigen hier begraben, würden eine Umgebung, die durch jüdische Tradition geprägt ist, als „verwunschen“ bezeichnen? Sie ist schlicht und ergreifend jüdisch … Und oft auch ein Hindernis, wenn zu den Gräbern unserer Angehörigen kein Durchkommen mehr ist oder sie im Dickicht schlicht unauffindbar sind.

Der redaktionelle Einschub „Nix wie hin“ mit dem Verweis auf das „Zielpublikum“ („Freunde von Berliner und jüdischer Geschichte, Friedhofskultur – und Ruhe im Großstadtdschungel.“) und dem Tipp, statt einer Kippa einfach eine Pudelmütze zu tragen, machen meinen Unmut noch größer. Jüdische Grabstätten sind keine touristischen Erholungsoasen!

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