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Werkschau Stephanie Rothman: Nackte Utopien jenseits von Hollywood
Sex, Gewalt und das Gefühl von Freiheit: In den 1970er Jahren drehte Stephanie Rothman Exploitationkino mit einer feministischen Perspektive. In Berlin sind ihre Filme jetzt zu sehen.
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Die Filme von Stephanie Rothman kommen sicherheitshalber mit einer Handlungsanweisung für das (traditionell männliche) Publikum der amerikanischen B-Movie-Regisseurin. Die schönste und vielleicht aufschlussreichste gibt es in ihrem letzten Film „The Working Girls“ von 1974 über drei junge Kalifornierinnen und die Unvereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und persönlicher Selbsterfüllung im Kapitalismus.
Jura-Studentin Jill (Lynne Guthrie) landet bei der Jobsuche in einem Stripclub, doch kurz vor ihrem Debüt überkommt sie die Panik. Der Rat einer erfahrenen Kollegin erweist sich als Gold wert. Sie solle sich einfach die Gäste nackt vorstellen, das helfe gegen Lampenfieber. Der männlich konnotierte Blick kehrt sich also gegen die Betrachter: Plötzlich sitzen die grölenden Männer nackt im Publikum, und Jill kann ihre Krankenschwester-Tanznummer abziehen.
Die Hinterfragung des Blickregimes, ohne dafür automatisch die frivole Lust an den essenziellen Themen des Unterhaltungskinos – Sex und Gewalt – aufzugeben, durchzieht das überschaubare Œuvre der 1936 geborenen Rothman. „The Working Girls“ war der Hoch- und gleichzeitig viel zu frühe Schlusspunkt einer der interessantesten Karrieren im amerikanischen Genrekino.
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Roger Corman hatte die junge Regiestudentin Ende der 1960er Jahre im Filmprogramm der University of Southern California entdeckt und ihren ersten Film „The Student Nurses“ produziert, der perfekt in den südkalifornischen Zeitgeist zwischen Post-Hippietum und Frauenbewegung passte.
Rothmans Regiedebüt bereicherte den Begriff von Exploitatationkino um eine ganz neue, nämlich dezidiert weibliche Perspektive, die bis dahin allenfalls noch in den „Nudie“-Filmen von Doris Wishman zu finden war. „The Student Nurses“ bediente mit seinen hedonistisch-promiskuitiven Protagonistinnen einerseits die Erwartungen an einen „Mitternachtsfilm“, thematisierte gleichzeitig aber auch schon dieselben Ausbeutungsverhältnisse, die den Film zum ersten kommerziellen Erfolg von Cormans Produktionsfirma New World Pictures machen sollten.
Der Film folgt vier jungen Krankenschwestern in der Ausbildung in teils komischen, teils erotischen Eskapaden lose-episodisch durch den Alltag, der nicht nur in der Darstellung der Arbeitsbedingungen (weibliche Care-Arbeit) politisch perforiert ist. Eine der Protagonistinnen schließt sich einer Bürgerrechtsbewegung an und beginnt illegale Abtreibungen für mittellose junge Frauen vorzunehmen.
Rothmans Kino fußt in seiner rohen, mitunter auf rührende Weise durchlässigen Inszenierung zwischen Dokumentarfilm und einer „California Dreaming“-Ästhetik stets in den Lebensrealitäten der 1970er Jahre, was besonders ihre „Arbeitsfilme“ zu noch heute bemerkenswerten Zeitdokumenten macht.

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Und selbst, wenn sie wie in dem Horrorfilm „The Velvet Vampire“ (1971) und dem Gefängnisdrama „Terminal Island“ (1973) innerhalb klassischer Genreformate arbeitete, blieben Rothmans Handschrift und Themen stets erkennbar. In „Terminal Island“ plant eine Gruppe Frauen mithilfe einiger solidarischer Männer die Flucht von einer Gefängnisinsel, um abseits von staatlichem Recht und Ordnung eine Enklave ohne sozialen Hierarchien zu gründen.
In „The Velvet Vampire“ findet Rothmans Prinzip der umgekehrten Blickverhältnisse seine genremäßig konsequenteste Form. Die Vampirin Diane (Celeste Yarnall) lockt ein junges Paar in ihr luxuriöses Wüstendomizil, um zunächst Lee, später auch das eigentliche Objekt ihrer Begierden, Susan, zu verführen. Zentrales Utensil in diesem bizarren california gothic camp ist ein Einwegspiegel, durch den Diane im Zimmer nebenan das Liebesspiel des Paares beobachtet.
Mit der blutdurstigen Voyeuristin schuf Rothman eine im unabhängigen Genrekino beispiellose Figur, die ihrer Zeit weit voraus war – zu weit anscheinend. Denn anders als die männlichen Protegés aus der Corman-Schule (Francis Ford Coppola, Martin Scorsese, James Cameron, Peter Bogdanovich, George Lucas) schaffte Rothman nie den Sprung nach Hollywood. Das macht ihr kleines Gesamtwerk umso entdeckenswerter.
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