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Wir waren Heldinnen

© Bärbel Wohlleben

Wie Frauen den Fußball eroberten: Beworfen, bepöbelt, und trotzdem gespielt

Torsten Körner beschreibt in seinem Buch „Wir waren Heldinnen“ die teils unglaubliche Geschichte der Anfänge des Frauenfußballs in Deutschland.

Stand:

Im November 1957 wird im Berliner Poststadion eine „Fußball-Europameisterschaft“ der Frauen ausgetragen. Ein recht vollmundiger Titel, es nehmen vier Mannschaften teil. Die deutsche Mannschaft verliert 1:3 gegen England, „was die Mädchen später mit ,Formverschleierung’ entschuldigten“, wie der Tagesspiegel damals schrieb, wobei mal nicht die Frauenkörper thematisiert, keine Vergleiche à la Jayne Mansfield oder Gina Lollobrigida gezogen werden.

Eine seltene Ausnahme in der Adenauer-Zeit. Fußball? Das ist doch Männersport! Frauenfußball wurde verächtlich betrachtet. Der Autor Torsten Körner (das Merkel-Porträt „Im Lauf der Zeit“, „In der Männer-Republik“, „Die Unbeugsamen“), nimmt uns in „Wir waren Heldinnen. Wie Frauen den Fußball eroberten“ (Kiepenheuer & Witsch) mit auf eine Zeitreise in die frühen Jahre der Bundesrepublik.

Torsten Körner liest am 4. Juni in der Literarischen Buchhandlung Der Zauberberg in Friedenau aus seinem Buch „Wir sind Heldinnen“. Der Film dazu läuft am 4. Juli in der ARD.

© Mia Horlemann

Er erzählt die teils unglaubliche Geschichte der Anfänge des Frauenfußballs, nicht nur von spärlich besuchten Länderspielen im Poststadion, sondern von Frauen, die, wie Christa Kleinhans, Bärbel Wohlleben (Foto oben) oder Anne Haarbach in den fünfziger Jahren inoffizielle Länderspiele austrugen, alle geprägt vom „Wunder von Bern“.

Von Pionierinnen, die einem Fußballverbot (!) für Frauen die Stirn boten, die sich heimlich Plätze zum Bolzen suchen mussten. Von der ersten Torschützin des Monats. Von Irmgard Stoffels, die sich 1977 nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft mit Bergisch-Gladbach im ZDF-„Sportstudio“ vom Moderator Harry Valérien noch beinahe hat als „Fräulein“ anreden lassen müssen.

„Dort, wo die Fußballfrauen das erste Mal antraten, galt es immer wieder, Vorurteile und Ressentiments zu überwinden“, schreibt Körner über die 60er Jahre. „Fast immer überwiegt am Anfang die Sensationslust, doch kaum hat das Spiel begonnen, werden die Menschen von seiner Qualität und Dramatik gepackt. In zahlreichen Schilderungen klingt das an.“

„Es war eine Wucht!“, hieß es etwa: „Was nahezu 3000 Zuschauer am Samstag auf dem Platz des SV Schwetzingen erlebten, wagten wir in unserer Vorschau schon zu prophezeien: was man zu sehen bekam, hatte mit einem Revueauftritt einer Girltruppe so wenig zu tun, wie die Darbietungen eines Elefantenorchesters bei einer Mäusehochzeit.“

Kann es sein, dass Frauen es besser schaffen, Fußball zu leben, ohne ihm zum Tyrannen des eigenen Lebens werden zu lassen?

Torsten Körner

„Was man nicht sah, waren raffinierte Fußballbikinis, ondulierte Sexbomben, Bewegungen im Stile ,Glauben und Schönheit’, was man nicht hörte, waren girrende Laute von männermordenden Vamps, Blödeleien mit dem Publikum, Zurufe à la St. Pauli. Was man sah, war Sport, echter, sauberer Sport und was man hörte, war … Beifall auf allen Rängen.“

Wobei natürlich auch auffällt, dass hier die sexistischen Vorurteile und Fantasien vom Reporter aufgerufen, dann abserviert und zugleich doch im Spiel gehalten werden.

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So etwas hat sich lange gehalten. Noch bei der (Männer-)WM 1990 beschimpfte Franz Beckenbauer seinen Stürmer Jürgen Klinsmann als „Mädchen“, weil der sich zu oft schauspielernd auf dem Rasen herumwälze. Von wegen Jayne Mansfield oder Gina Lollobrigida.

Ein recherchereiches Buch mit vielen aha-Erlebnissen. Man vergisst das ja fast, wenn demnächst wieder die Fußball-EM der Frauen mit viel Mediengedöns stattfindet: König Fußball regiert die Welt, der König war Jahrzehntelang ein Mann. Bei kaum einer Sportart verteidigte die Männerwelt ihr Revier so unerbittlich wie beim Fußball.

Bis 1970 war Frauenfußball offiziell in der Bundesrepublik verboten. Christa Kleinhans oder Anne Haarbach spielten trotzdem. Sie eroberten Fußballplätze, selbst wenn man sie davonjagte, mit Steinen bewarf, beschimpfte.

Das Buch erzählt die Lebensgeschichten dieser Pionierinnen, die im Fußball ihr größtes Glück fanden, gegen autoritäre Funktionäre, sexistische Vorurteile und dumpfe Rollenbilder.

Ein Glück, dass Fußballfan Torsten Körner (und den Leser) am Ende zur erstaunlichen Frage bringt: „Kann es sein, dass Frauen es besser schaffen, Fußball zu leben, ohne ihm zum Tyrannen des eigenen Lebens werden zu lassen? Fußball zu lieben, ohne andere durch diese Liebe kränken zu müssen?“

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