zum Hauptinhalt
Nice to meet you. Networken gehört bei Berlinale Talents zum Pflichtprogramm.

© Peter Himsel

Dokumentarfilme bei Berlinale Talents: Wo die Berlinale ihren Nachwuchs pflegt

Und demnächst vielleicht ein Goldener Bär? In der Talentschmiede der Berlinale arbeiten junge Regisseure an ihren Projekten. Sie haben Potenzial. Ein Werkstattbesuch.

Es ist eine Geschichte, wie gemacht für die große Leinwand, wahr obendrein. Drei Brüder aus einem kleinen israelischen Dorf, arabische Minderheit, blind von Geburt an – die absoluten Außenseiter. Doch als sie in den 80er Jahren Zugang zu einem Telefon bekommen, sehen sie die Chance, ihre Nachteile auszugleichen. Am Telefon sind sie plötzlich nicht mehr blind. Ihr feines Gehör verleiht ihnen fast übernatürliche Kräfte. Die Brüder werden die größten Telefonbetrüger der israelischen Geschichte.

„Das ist ein erster Trailer für den Dokumentarfilm – ist aber ziemlich schlechte Qualität“, sagt Adam Bizanski ein wenig entschuldigend. Der 33-jährige Filmemacher aus Israel sitzt inmitten junger Regisseure, vor ihnen die Leinwand, auf der gleich Bizanskis Trailer zu sehen sein wird. Sie alle sind Teilnehmer des Dokumentarfilm-Workshops von Berlinale Talents, der wie die anderen Veranstaltungen des Nachwuchsgipfels in den Räumen des Hebbel am Ufer (HAU) stattfindet. In nur fünf Tagen sollen sie mit ihren Projekten einen großen Schritt weiterkommen. Am Mittwoch fand die öffentliche Abschlusspräsentation statt.

Vielversprechende Projekte

„Warum legst du Musik unter die Stimmen der Brüder, wenn sie etwas erzählen“, fragt Workshop-Koordinatorin Sirkka Möller, nachdem Bizanskis Trailer durchgelaufen ist. „Interessiert es dich nicht, was sie erzählen?“ „Der Trailer ist ja kein Teil des Films“, entgegnet Bizanski. „Da habe ich nur ein wenig rumprobiert.“ „Ich würde überhaupt keine Musik benutzen“, wirft ein US-Regisseur ein.

So unfertig die Projekte der zehn Teilnehmer sind, so vielversprechend sind sie auch. Die jungen Regisseure, die etwa aus Mexiko, Serbien und Schweden kommen, wurden aus 130 Bewerbern für die „Doc Station“ ausgewählt. Einige von ihnen haben schon angefangen zu drehen, andere befinden sich noch im Ideenstadium. „Wir suchen nach Projekten, die man in einer Woche nach vorne bringen kann. Und nach Leuten in den ersten zehn Jahren ihrer Karriere, die bereit sind, Feedback und Input anzunehmen“, sagt Koordinatorin Möller. Beispiele wie der chinesische Dokumentarfilm „Wu Tu“ („My Land“), der nach der Doc Station in diesem Jahr im Panorama läuft, zeigen, dass es funktioniert.

Problem: Was zeigt man auf der Leinwand?

Insgesamt sind in diesem Jahr 300 junge Filmemacher bei Berlinale Talents dabei. Sie lernen sich beim „Speed Matching“ kennen, hören Vorträge, verfolgen Podiumsdiskussionen, belegen Seminare und arbeiten an ihren Projekten. Neben der Doc Station gibt es die Short Film Station und die Script Station für Drehbuchautoren.

Adam Bizanski.
Adam Bizanski.

© Tobias Freye

Adam Bizanski sitzt nach der Trailer-Runde inmitten pinker Sitzsäcke im Aufenthaltsbereich für die Talents. Er muss das Gehörte erst einmal verdauen. Schwächt es seine Helden, die blinden Brüder, wenn er sie in Nahaufnahme zeigt? Wäre es nicht stärker, nur ihre Stimmen zu hören, sich auf ihre Eloquenz zu konzentrieren? Ein Teilnehmer, auch aus Israel, hatte das angeregt.

Er hofft auf Antworten in Berlin

„Ich habe die Geschichte der drei Brüder schon einmal als Podcast für einen Radiosender produziert. Da entsteht jetzt das Problem: Was zeigt man denn auf der Leinwand? Was kann man noch hinzufügen?“, erklärt Bizanski und fährt sich durch die braunen gelockten Haare. Es bereitet ihm außerdem Schwierigkeiten, dass die Geschichte größtenteils vor 20 Jahren spielt und er vieles nicht einfach drehen kann. Wo soll das Filmmaterial herkommen? Es sind Fragen, auf die er sich in Berlin Antworten erhofft.

Wie für viele der jungen Regisseure des Workshops ist es auch für Bizanski der erste Dokumentarfilm. Er hat zuvor vor allem animierte Musikvideos und Werbefilme gedreht. Sein Kurzfilm „Paul“ wurde 2012 beim Chicago International Film Festival mit einem Silbernen Hugo prämiert. Derzeit arbeitet er außerdem an einem Pilotfilm für eine israelische Krimiserie.

"Als Doku ist die Geschichte einfach stärker"

Warum jetzt erneut ein Genrewechsel? „Die Geschichte der drei Brüder hätte man natürlich als Spielfilm erzählen können. Aber als Doku ist sie einfach stärker.“

Einen Tag später – Bizanski hat nicht nur die Trailer-Kritik, sondern auch intensive Gespräche mit einem Mentor hinter sich – stehen Expertentreffen an. Der 33-Jährige schart sich mit den Talenten aus den USA, Bosnien-Herzegowina und Israel um Jakob Kirstein Høgel, einen dänischen Produzenten. „Lasst uns über Hybriden sprechen, also Mischungen zwischen Fiktion und Dokumentation. Was denkt ihr darüber?“, will er von den Teilnehmern wissen. Für Bizanski eine spannende Frage – möglicherweise muss er in seinem Film Szenen nachstellen, von denen er nicht wissen kann, ob sie sich so zugetragen haben. „Dass die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion ein bisschen verwischen, ist viel natürlicher als diese künstliche Zweiteilung“, sagt er. Der andere Israeli widerspricht: „Meinst du nicht, dass es ethische Probleme damit geben könnte, diese Grenzen komplett zu vergessen?“

Letztendlich wird Bizanski sich nun durch die Ermittlungsakten wühlen und nur Szenen nachstellen, die es zweifelsfrei gegeben haben muss. Die Gespräche helfen ihm. „In dieser Atmosphäre ist man bereit, Kritik anzunehmen und bereits getroffene Entscheidungen zu überdenken.“ Auch wenn es bis zum fertigen Film noch dauert: Seine Geschichte, da ist Bizanski sich jetzt schon sicher, wird die Zuschauer fesseln. „Jeder liebt doch Charaktere, die das System unterwandern.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false