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Zwischen Kiefern gelegen: das Haus Niemeyer in der Zehlendorfer Klopstockstraße.

© Jan Bitter

Wohnen in der beigen Moderne: Wo die Getränkewanne einbetoniert auf der Terrasse steht

Aus den 1920-er Jahren in die Gegenwart gerettet: Das Haus Niemeyer in Zehlendorf ist ein Schmuckstück. Nun haben Architekt und Restauratoren es wieder hergerichtet.

Stand:

Es gibt in Berlin nur wenige Einfamilienhäuser der „Weißen Moderne“ aus den 1920er Jahren, die einigermaßen authentisch erhalten sind. Authentisch heißt: ohne Umgestaltungen und Umbauten und mit der bauzeitlichen Ausstattung an Fenstern, Beschlägen, Einbaumöbeln, Böden, Fliesen und dergleichen.

Ein besonderer Glücksfall ist in dieser Hinsicht das Haus Schweide in Schlachtensee, das längere Zeit leer stand und seit seiner Bauzeit kaum Veränderungen erfahren hat. Inzwischen nach seinem Architekten Johannes Niemeyer (nicht verwandt mit dem berühmten brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer) „Haus Niemeyer“ benannt, ist es mit denkmalpflegerischem Sachverstand und erheblichem Aufwand mustergültig saniert.

Johannes Niemeyer (1889-1980) arbeitete zwar als bildender Künstler, entwarf und realisierte aber auch einige wenige Häuser. Drei davon entstanden im Stil der neuen Sachlichkeit, darunter sein eigenes in Halle. Dann wandte er sich dem von den Nationalsozialisten verordneten Heimatstil zu.

Noch als prototypisches Projekt der klassischen Moderne tritt die Villa vor Augen, die er 1929/30 für den argentinischen Historiker und Journalisten Iso Brante Schweide in Zehlendorf erbaute. Die Familie Schweide war 1929 nach Berlin gekommen, konnte sich des neuen Hauses aber nur vier Jahre lang erfreuen und musste 1933 das Land wieder verlassen.

Das versteckt liegende Haus mit seiner hellen Kubatur auf ledergelbem Ziegelsockel wirkt zwischen den knorrigen Kiefern wie ein Feriendomizil in südlichen Ländern. Rund 180 Quadratmeter Wohnfläche auf drei Geschossen werden von Balkonen und großzügigen Terrassen auf allen Ebenen ins Freie erweitert. Das Haus öffnet sich dem Licht und der Sonne.

180
Quadratmeter Wohnfläche auf drei Geschossen 

Mehr als damals in Deutschland üblich wollten die aus Südamerika kommenden Bewohner möglichst im Freien leben. Die Terrasse der oberen Etage ließ sich zum Teil mit Vorhängen gegen Sonne und Einblicke schützen und als Sommerschlafzimmer nutzen. Gefeiert wurde auf der oberen Terrasse vor dem Studio, wo es einen gedeckten Cateringplatz und eine betonierte Eiswanne zum Kühlen der Getränke gab.

Dort kann man heute wieder feiern, denn die Eiswanne wurde ebenso restauriert wie die filigranen Geländer, die gemauerten Brüstungen und der zeichenhafte Schornstein, der in die skulpturale Baukomposition einbezogen ist. Der schadhafte Originalputz konnte wegen der Beschichtung nicht erhalten werden. Minderwertiges Füllmaterial wie Heraklit- oder Schlackeplatten wurden herausgenommen.

Die Aufarbeitung der versenkbaren grünen Panoramafenster aus Stahl stellte eine Herausforderung für die Handwerker dar.

© Jan Bitter

Die Aufarbeitung und Ertüchtigung der grünen Stahlfenster stellten die Handwerker vor größere Herausforderungen. Insbesondere die versenkbaren Panoramafenster im Wohnbereich hatten sich verzogen, wurden gerichtet und die Mechanik sowie alle Beschläge wieder gangbar gemacht.

Die Restauratorin Silvia Koch untersuchte die Putz- und Farbschichten mehrerer Bewohnergenerationen, ermittelte die originale Farbgebung der Fassaden und Innenräume und gab Hinweise für die Neufassung. Niemeyer, der nicht mit dem Bauhaus verbunden war, sondern eine Dozentur an der konkurrierenden Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, der heutigen Kunsthochschule Halle bekleidete, bediente sich zwar als Architekt der Formensprache des Bauhauses, übernahm aber nicht dessen mondrianschen Farbkodex, der eine Kombination von Reinweiß mit den Primärfarben Rot, Blau und Gelb vorsah. Vielmehr entwickelte er eine Farbkombination aus gebrochenen Weiß- und leichten Beigetönen, die er in feinen Farbnuancen und –abstufungen gegeneinandersetzte. Das reine Weiß der „Weißen Moderne“ vermied er.

Luft und Licht und viel Natur für den Bauherrn, der aus Südamerika kam.

© Jan Bitter

Der im Medienbereich tätig Bauherr hatte zunächst einen Generalunternehmer mit der Sanierung beauftragt, der falsche Weg für ein solches Projekt, wie sich zeigte. Zu viele zeitraubende und aufwändige Detaillösungen waren zu entwickeln und mit dem Denkmalamt abzustimmen. Der in Sachen Denkmalpflege versierte Architekt Dirk Homann und Dietrich Becker nahmen sich der Aufgabe an und führten das Projekt in coronabedingt etwas längerer Bauzeit zu Ende.

Es bedurfte einer an diesem bestens erhaltenen Baudenkmal erster Güte interessierten Bauherrschaft mit einem etwas längeren Atem, um mit der Unterstützung des Denkmalamts die Inkunabel der frühen Moderne aufs Feinste zu restaurieren und zu einem außergewöhnlichen Familienheim zu machen. Dabei kommt der Familie zugute, dass der Architekt vor hundert Jahren moderne, gut geschnittene Räume geschaffen hat, die auch heutigen Wohnansprüchen gerecht werden. Das „Wohnen im Baudenkmal“ verlangt ihnen also wenig Zugeständnisse an das museale Ambiente ab, sieht mal davon ab, dass in die schmale Garage kein SUV passt. Aber ein kleineres Elektroauto ist ohnehin viel zeitgemäßer.

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