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„Wokes“ Casting und Nahost-Konflikt: Kann „Schneewittchen“ den Kontroversen trotzen?
1937 war „Schneewittchen“ Disneys erster abendfüllender Zeichentrickfilm, jetzt gibt es eine Neuauflage. Das Projekt war von zahlreichen Skandalen geplagt, die auch im Film zu spüren sind.
Stand:
Alle Zeichen deuteten darauf hin, dass Disneys Remake von „Schneewittchen“ ein Desaster epischen Ausmaßes werden würde. Der Konzern ist seit langem dabei, die alten Zeichentrick-Klassiker mit echten Menschen in den Hauptrollen neu aufleben zu lassen – mit gemischten Resultaten und oft begleitet von jeder Menge Kontroversen.
Finanziell scheint sich das aber zu lohnen, denn Disney macht unbeirrt damit weiter. Dass die Debatten um die Neuauflage von „Schneewittchen“ so eskalieren und selbst der Nahostkonflikt eine Rolle darin spielen würde, damit hätte wohl in den Disney-Headquarters niemand gerechnet.
Problem Nummer eins ist, dass es diesmal um einen echten Klassiker geht. „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ war 1937 der erste abendfüllende Zeichentrickfilm von Disney. Er fehlt auf keiner Liste der besten animierten Filme aller Zeiten, ein Meilenstein der Filmgeschichte mit berühmten Fans wie Sergej Eisenstein und Charlie Chaplin.
Der Film sieht auch heute immer noch toll aus, die Story aber, basierend auf dem Grimmschen Märchen, kommt hoffnungslos veraltet daher – 30er Jahre eben. Schneewittchen hat darin nichts zu sagen, sie putzt hauptsächlich Häuser und wartet auf ihren Prinzen, der sie retten soll. Diese Message kann Disney heutzutage natürlich nicht mehr verbreiten, die Geschichte umzuschreiben ist wiederum Gotteslästerung für die Aficionados der alten Stunde.
Rassistische Reaktionen auf das Casting von Rachel Zegler
Der Sohn einer der Macher des Originals, David Hand, gab in Interviews zum Besten, sein Vater und Walt Disney würden sich „im Grabe umdrehen“, wenn sie wüssten, was mit ihrem Film geschieht. Disney würde „radikal“ die Klassiker umschreiben.
Fast schon erwartbar waren auch die rassistischen Kommentare als Reaktion darauf, dass mit Rachel Zegler, dem Star aus „West Side Story“, eine Latina für die Hauptrolle gecastet wurde. Schneewittchens Haut solle schließlich „weiß wie Schnee“ sein.
Ähnlich ging es bereits beim Remake von „Arielle, die Meerjungfrau“ zu, wo sich einige Menschen in den sozialen Medien darüber aufregten, dass mit Halle Bailey eine Afroamerikanerin die Rolle von Arielle übernahm. Unter dem Meer scheine schließlich nicht die Sonne, so eines der bestechenden Argumente.
Diese Kritik hatte der Konzern wahrscheinlich schon eingepreist, ist das „woke“ Casting für die Disney-Remakes Konservativen und Rechten in den USA doch schon lange ein Dorn im Auge. Doch die Kontroversen um „Schneewittchen“ rissen damit nicht ab.

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Die 23-jährige Rachel Zegler machte sich weitere Feinde, indem sie in Interviews das Original von 1937 als „weird“, also merkwürdig, bezeichnete, insbesondere die Storyline des Prinzen, der Schneewittchen ihrer Meinung nach gestalkt hätte. Nach der US-Wahl schrieb sie dann auch noch „Fuck Donald Trump“ auf Instagram und verurteilte seine Anhänger.
Für den Disney-Konzern, der notorisch bemüht ist, sämtliche Amerikaner und Amerikanerinnen anzusprechen, ein PR-Gau. Kommentator:innen auf Fox News riefen dazu auf, Zegler als Disney-Prinzessin zu canceln, sie entschuldigte sich kurz darauf für ihre Worte.
Kritik von kleinwüchsigen Schauspielern
Derweil stand Disney auch in der Kritik der Kleinwüchsigen-Community. „Game of Thrones“-Star Peter Dinklage, einer der bekanntesten kleinwüchsigen Schauspieler Hollywoods, nannte das Märchen in einem Podcast eine „rückschrittliche Geschichte“ und stellte das gesamte Projekt infrage.
Andere kleinwüchsige Schauspieler waren wiederum sauer, dass die sieben Zwerge im Remake computeranimiert sein würden und ihnen somit aus falsch verstandener Political Correctness die ohnehin spärlichen Rollen verlorengehen würden.
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Nur einer der Zwerge wurde im englischen Original des Remakes von einem kleinwüchsigen Schauspieler gesprochen, Martin Klebba, bekannt etwa aus den „Pirates of the Caribbean“-Filmen. Er hätte sich gewünscht, dass alle Zwergen-Rollen mit Kleinwüchsigen besetzt worden wären, erzählte er in Interviews.
Es lief bereits alles schief, was aus PR-Sicht schieflaufen konnte, und dann kam auch noch der Nahost-Konflikt ins Spiel. Rachel Zegler trat öffentlich mehrfach als Unterstützerin der Palästinenser auf, während ihr Co-Star Gal Gadot („Wonder Woman“), die aus Israel kommt, sich hinter ihr Heimatland gestellt hat und ihre Berühmtheit nutzt, um sich etwa für die Rückholung der Geiseln vom 7. Oktober einzusetzen.

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Als erste israelische Schauspielerin erhielt die 39-Jährige an diesem Dienstag einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame, die Zeremonie wurde von Protestierenden gestört. Gadots Engagement hat auch „Schneewittchen“ bereits Boykott-Aufrufe eingebracht.
Angesichts all dieser Skandale ist es kein Wunder, dass bei der Weltpremiere in Los Angeles nur die freundlich gesinnte Presse-Crew von Disney zugelassen war, keine anderen Journalist:innen. Die Erwartungen an „Schneewittchen“ waren im Keller. Und wenigstens lässt sich sagen: Am Film von Regisseur Marc Webb ist nicht alles schlecht.
Er überzeugt optisch größtenteils, Kostüme und Set Design sind hübsch anzuschauen, genau wie die aufwendigen Choreografien. Aus dem Original haben es nur drei Songs ins Remake geschafft, die neuen Musical-Nummern aus der Feder von Benj Pasek und Justin Paul, die unter anderem für „La La Land“ komponierten, funktionieren überwiegend gut. Schneewittchens neue Hymne heißt „Waiting on a Wish“ anstelle von „Someday My Prince Will Come” und geht sofort ins Ohr.
Mehr Girlboss, weniger Jungfrau in Not
Rachel Zegler singt toll und scheint geboren, um eine Disney-Prinzessin zu spielen, mit ihrem ausdrucksstarken, kindlichen Gesicht. Auch Gal Gadot hat sichtlich Spaß als böse Königin, die Schneewittchen aus Eifersucht über ihre Schönheit umbringen will – diese doch recht fragwürdige Storyline wurde nicht verändert. Sie bekommt mit „All Is Fair“ einen eigenen Song und einen deutlich größeren Auftritt als im Original.

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Am Drehbuch sollte eigentlich „Barbie“-Regisseurin Greta Gerwig mitschreiben, die dann aber wieder von der Bildfläche verschwand. Als Autorin steht allein Erin Cressida Wilson, die auch „Girl on the Train“ schrieb, in den Credits. Der Stalker-Prinz aus dem Original hat sie mit einem Robin-Hood-artigen Love Interest Jonathan (Andrew Burnap) ersetzt, der mit der Prinzessin auf Augenhöhe ist und nicht nur dafür da, sie aus dem ewigen Schlaf wachzuküssen, was er aber auch tut.
Für Schneewittchen wurde eine Storyline dazugedichtet, wie sie den Mut findet, in die Fußstapfen ihrer verstorbenen Eltern zu treten und eine faire Herrscherin zu werden. Im Gegensatz zu ihrer bösen Stiefmutter, die in Luxus schwelgt und ihr Volk hungern lässt. Mehr Girlboss, weniger Jungfrau in Not. Wahnsinnig überzeugend ist das nicht, aber Rachel Zeglers Charme macht diese Selbstfindung der jungen Prinzessin einigermaßen unterhaltsam anzuschauen.
Es bleibt Ratlosigkeit
Größtes Manko des Filmes sind die CGI-Zwerge, die merkwürdig fehl am Platz wirken im Zusammenspiel mit den echten Menschen. Mehrmals wird betont, dass es sich bei den Zwergen um Märchenfiguren handelt, um magische Wesen, die mehrere hundert Jahre alt sind. Dass einer von Jonathans Räuberbanden-Mitgliedern mit einem kleinwüchsigen Schauspieler besetzt wurde, wirkt eher wie ein verzweifelter Versuch von Seiten Disneys, es allen recht zu machen, als ein echtes Statement.

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Ein Versuch, der vor allem in der zunehmend gespaltenen Gesellschaft der USA von Vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Was den einen zu radikal „woke“ ist, geht anderen längst nicht weit genug. Immerhin bekommen die Zwerge einen coolen Auftritt in ihrer Diamanten-Mine, ihre Arbeitshymne „Heigh Ho“ ist einer der wenigen Original-Songs, die es ins Remake geschafft haben.
Es hätte alles deutlich schlimmer kommen können, aber viel Eindruck hinterlässt „Schneewittchen“ nicht. Eher eine gewisse Ratlosigkeit angesichts der Frage, ob dieser Film den ganzen Ärger wirklich wert war. Fast hätte man sich ein Desaster epischen Ausmaßes gewünscht, um wenigstens irgendetwas zu spüren, und sei es nur Fremdscham. So ist der Diskurs um das jüngste Disney-Remake spannender als der Film selbst.
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