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Der 2016 verstorbene Regisseur Michael Cimino im Jahr 2014 beim Lumiere Film Festival in Lyon,

© Reuters

Mit Michael Cimino Boot fahren: Yannick Haenels Roman "Halt deine Krone fest"

Hommage an die Liason von Film und Literatur: Yannick Haenels Roman „Halt deine Krone fest“.

Jagdgewehre der Marke Haenel gelten als zuverlässig und leicht zu handhaben. Ein Clou des neuen Romans von Yannick Haenel besteht darin, dass sich der Protagonist Jean ausgerechnet vor einem Gewehr fürchtet, das den Namen des Autors trägt. Es scheint ihn aus der Vitrine eines Waffenschranks heraus anzustarren.

Dieser gehört einem Nachbarn, dessen Wohnung und Dalmatiner namens Sabbat der Ich-Erzähler, ein Drehbuchautor, hüten soll.

Eigentlich keine allzu schwere Aufgabe; doch Jean befindet sich in einer tiefen Existenzkrise: „Die Gesamtbilanz war nicht gerade glänzend: Ich war neunundvierzig, ich lebte zurückgezogen in einer Wohnung von zwanzig Quadratmetern und verbrachte meine Tage damit, Filme zu sehen und Alkohol zu trinken.“

Dennoch ist „Halt deine Krone fest“ (Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. Rowohlt Verlag, Hamburg, 2019.320 Seiten, 22 €.) keineswegs ein larmoyanter Roman, ganz im Gegenteil.

Vielmehr geht es dem 1967 im bretonischen Rennes geborenen Yannick Haenel um die Illumination eines Außenseiters, um jene strahlenden Glücksgefühle, wie sie echten Cineasten vorbehalten sind. Das Buch ist eine Hommage an das Kino und insbesondere an den 2016 verstorbenen italo-amerikanischen Regisseur Michael Cimino.

Cimino wurde durch den Film "The Deer Hunter" berühmt

Berühmt wurde er durch den Anti-Kriegsfilm „The Deer Hunter“ („Die durch Hölle gehen“) mit Robert De Niro in der Hauptrolle. Ciminos folgender Film „Heaven's Gate“ („Das Tor zum Himmel“) entwickelte sich zu einem der schlimmsten Misserfolge von Hollywood. Daraufhin verschwand der zarte, feminin wirkende Mann mit der dunklen Sonnenbrille als Persona non grata aus der Öffentlichkeit.

Michael Cimino ist jedoch Jeans Lichtgestalt und der einzige, dem er die Realisierung seines wahnwitzigen Projekts zutraut. Denn der idealistische Einzelkämpfer hat sich monatelang von der Außenwelt isoliert, um sich ganz einer Hommage an den Schriftsteller Herman Melville zu widmen.

Das Ergebnis ist das siebenhundert Seiten starke Drehbuch „The Great Melville“, das allein wegen seines Umfangs als kaum verfilmbar erscheint: „Ich hatte dieses Drehbuch geschrieben, um hörbar zu machen, was in der Einsamkeit eines Schriftstellers steckt; ich wusste natürlich, dass sich so etwas nicht darstellen lässt: Niemand ist imstande, für das Denken eines anderen zu zeugen, weil das Denken ja gerade ohne Zeugen existiert; trotzdem hatte ich versucht, das in meinem Drehbuch hörbar zu machen: das Denken von Herman Melville – die Population seiner Gedanken.“

"Dieser Mann stand bis zu den Fingerspitzen in Flammen"

Als es den Einzelgänger in die Welt hinaus trägt, entdeckt er in einer rauschhaften Kaskade von Ereignissen das Leben wieder neu.

Über einen Filmproduzenten, der sich ebenfalls für amerikanische Literatur begeistert, gelingt es Jean tatsächlich, Michael Cimino zu kontaktieren. Sie verabreden sich in New York, wo Jean den Regisseur zunächst nicht erkennt, da er ihn für eine Frau hält.

Zu Jeans freudiger Überraschung beginnt sein Idol gleich auf einer Parkbank mit der Lektüre des Drehbuchs, das ihm gefällt. Bei einer Bootsfahrt im Hafen kommt Melville ins Spiel, der hier einst als Zollinspektor gearbeitet hatte.

So vermischen sich für Haenels eigentümlichen Helden die Zeiten und Namen zu einem einzigen Glücksmoment, befeuert durch die allgegenwärtige Lichtmetaphorik: „Genau das hatte ich bei Cimino immer geliebt: Er hatte das Feuer. Sogar wenn er sich auf einer Bank am East River mit einem durchreisenden französischen Schriftsteller Wodka einflößte, stand dieser Mann bis zu den Fingerspitzen in Flammen. Er lebte nach seinen Göttern, und er grüßte sie immer und überall.“

Neben Michael Cimino lässt Yannick Haenel weitere Berühmtheiten der Filmbranche auftauchen, etwa den polnischen Regie-Großmeister Jerzy Skolimoswki oder die unendlich wandlungsfähige Schauspielerin Isabelle Huppert.

Die slapstickhafte Situationskomik macht diesen Roman zu einem Lesevergnügen

Ihr begegnet Jean bei einem Abendessen in einem Pariser Luxusrestaurant, das gehörig aus dem Ruder läuft. An diesem 23. September feiert er mit dem Produzenten Pointel seinen 50. Geburtstag. Bevor dieser eintrifft, hat das angeheiterte Geburtstagskind schon Ärger mit dem blasierten Personal: „Um zwanzig Uhr kam ich zu Bofinger. Es war ein Sonnabend, es war voll, ich erklärte, ein Tisch sei auf den Namen Pointel reserviert. Der Oberkellner, ein nervöser junger Mann mit frühzeitiger Glatze, ein Doppelgänger von Emmanuel Macron, antwortete, Monsieur Pointel werde in der Tat hier speisen, unter der Glaskuppel, an seinem Stammtisch, aber nicht mit einem Hund.“

Es ist diese slapstickhafte Situationskomik, die den Roman in der Übertragung von Haenels bewährter Übersetzerin Claudia Steinitz zum Lesevergnügen macht, wegen der Leinwand-Reminiszenzen insbesondere für Filmfans.

Yannick Haenel hat einen Abenteuer- und Künstlerroman eigener Art geschaffen, rund um einen solipsistischen Helden, der kompromisslos seinen Traum verwirklicht, dadurch an Selbstachtung gewinnt und eben seine Krone festhält.

Nebenbei verliebt sich Jean in die Leiterin des Pariser Jagdmuseums, verliert dabei aber den liebgewonnenen Dalmatiner aus den Augen. Die krisenhafte französische Wirklichkeit mit ihren Momenten des Aufruhrs dringt allerdings kaum in diesen Erzählkosmos durch.

Nur selten gibt sich der Protagonist als jener Jean Deichel zu erkennen, der in Haenels letztem Roman „Die bleichen Füchse“ von 2013 seine bürgerliche Existenz aufgab, um im Auto zu leben und sich anarchistischen Aufständigen anzuschließen. Nun resümiert er: „Das war die letzte Chance, die letzte kollektive Freude gewesen, bevor alles plattgemacht wurde. Nun lag Paris im Tiefschlaf.“

Gesellschaftskritische Absichten verfolgt Yannick Haenel dieses Mal eindeutig nicht. Der jetzige Jean lebt viel zu sehr in seiner cineastischen Traumwelt, als dass ihn die Realität noch ernsthaft interessieren würde. Und so ist dieser utopische, lichtgleißende Paris-Roman eine hinreißende Hommage an die Liaison des Films mit der Literatur und an das Glück, das diese beiden narrativen Künste schenken.

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