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Die ehemalige Schalthalle des Postamts bevölkern Skulpturen des österreichischen Bildhauers Franz West.

© Valérie Sadoun

Zeitgenössische Kunst in Trondheims ehemaliger Post: Das Tor zur Welt hat sich wieder geöffnet

Das Sammler- und Investorenpaar Reitan schenkt der drittgrößten Stadt Norwegens ein neues Museum und gleich dazu ein Theater, um Besucher in den Norden zu locken.

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Seit zwei Jahren leuchtet Ugo Rondinones Neon-Schriftzug „Our Magic Hour“ in Regenbogenfarben vom Dach des einstigen Postamts in Trondheim. So lange hat die Umwandlung des gigantischen Jugendstil-Gebäudes in ein zeitgenössisches Museum gedauert. Der magische Moment ist jetzt da, Trondheim hat endlich sein PoMo bekommen. So lautet die Bezeichnung für das neue Ausstellungshaus, ein Akronym aus dem norwegischen Begriffen Posten Moderne.

Die Verwechslung mit der internationalen Abkürzung für Postmoderne wird in Kauf genommen, auch wenn das Projekt mit der wild zitierenden, eklektischen Kunstform nur wenig gemein hat. Im Gegenteil: Hier gibt es klare Ziele und eindeutige Botschaften. Die drittgrößte Stadt Norwegens soll in eine Kulturmetropole transformiert werden.

Beim Umbau des markanten Eckgebäudes aus dem Jahr 1911 kam im hinteren Teil gleich ein neues Theater hinzu, welches sich mit dem PoMo das Restaurant teilt. Auf einmal haben die international agierende Kunsthalle, das städtische Museum und das Nationalmuseum für angewandte Kunst in nur wenigen Gehminuten Entfernung Zuwachs bekommen. Der auch ihnen mehr Aufmerksamkeit bescheren dürfte, so die Hoffnung.

„Our Magic Hour“ steht in den Farben des Regenbogens auf dem Dach des neuen Trondheimer Museums, eine Installation von Ugo Rondinone.

© Valérie Sadoun

Um Besucher zum Kommen und auch Bleiben in der mehr als sieben Zugstunden von Oslo entfernten Hafenstadt zu animieren, steht auf der anderen Straßenseite vom PoMo das Fünf-Sterne-Hotel Brittania mit seinen hundert Zimmern bereit. Erbaut hat es knapp anderthalb Jahrzehnte vorher ebenfalls der Postamt-Architekt Karl Norum – damals noch als Quartier für die aus den USA und Großbritannien anreisenden Lachsfischer.

Während das Brittania weiterhin im Grandhotel-Schick schwelgt, tritt das PoMo mit der Coolness eines zeitgenössischen Museums auf, das zumindest in der ehemaligen Schalterhalle seiner Vergangenheit Reverenz erweist: Der Stuck an den Säulen wurde fein restauriert, das Kupferschild mit den Namen der Opfer des Zweiten Weltkriegs hochpoliert und auf dem Boden wieder Terrazzo ausgelegt. Darauf kringeln sich wie gigantische metallene Würmer die Skulpturen von Franz West.

An den Rändern aber beginnt ein wildes Spiel der Farben. Der Buchladen präsentiert sich bis hin zur Angebotspalette in Quietsch-Pink, die sich über drei Geschosse nach oben schraubende Stahltreppe in schreiendem Orange. Hier hat die Pariser Innenarchitektin India Mahdavi ihre Handschrift hinterlassen, inspiriert von den farbenfrohen Anstrichen norwegischer Holzhäuser. Das PoMo ist ihr erstes Museumsprojekt, nachdem sie zuvor Hotels, Bars, Clubs ausgestattet hat und für die Szenografie der Pierre Bonnard-Ausstellung in Melbourne 2023 die Auszeichnung Designerin des Jahres erhielt.

Unter dem Dach hat das niederländische Gestalterduo Gijs Frieling und Jobs Wouters einen Lesesaal ausgemalt, der die nordische Folklore als Pop interpretiert.

© Valérie Sadoun

Das Sammlerpaar Monica und Ole Robert Reitan beauftragte die iranisch-französische Gestalterin direkt, denn das PoMo ist ihr Projekt. Die beiden finanzierten den Umbau des ehemaligen Postamts, den der Osloer Architekt Erik Langdalen betreute, sowie die Erweiterung zum Theater; ihnen gehört das Hotel Britannia. Das Museum bezeichnen sie als Verwirklichung ihres persönlichen Traums als Kunstliebhaber. Dahinter mag auch Investoreninteresse an der Entwicklung weiterer Immobilien stecken.

In Trondheim begann die Erfolgsgeschichte des milliardenschweren Familienunternehmens, einer Einzelhandelskette, die heute Niederlassungen in den skandinavischen und baltischen Ländern unterhält. Mit dem PoMo hat Norwegen nach der Übergabe des Kunstsilo in Kristiansand im vergangenen Sommer, dem Astrup Fearnley Museet in Oslo und dem nahegelegenen Henie Onstad-Kunstzentrum ein weiteres Privatmuseum eröffnet, das vom Wohlstand im reichsten Land der Welt zeugt.

Dabei verläuft die Linie zwischen Museum und privater Sammlung nicht ganz klar. Monica Reitan ist zugleich die Vorsitzende und entscheidet über Ankäufe für das PoMo. Die Erstausstellung zeigt von allem etwas. Es gibt Werke aus dem noch jungen Bestand des Museums zu sehen, das als Vorbildfunktion fortan 60 Prozent seiner Erwerbungen bei Künstlerinnen tätigen will. Aus Familienbesitz stammen etwa Arbeiten von Isa Genzken oder der Zyklus kolorierter Munch-Holzschnitte. Außerdem schickten große Häuser Leihgaben zur Unterstützung beim Start. Die Fotografien von Irving Penn kommen aus dem Moderna Museet in Stockholm, Warhols „Mao“ aus dem Kopenhagener Louisiana-Museum.

Der große Parteivorsitzende blickt in Trondheim auf Bilder der chinesischen Malerin Cui Jie, der das schier ausufernde Gebäudewachstum in seiner Heimat persifliert. Ähnlich überraschend, aber erhellend ist die Gegenüberstellung von Piranesis „Carceri“ mit den zerkratzten Metallic-Flächen von Anne Imhof und ihren Glasscheiben, auf die Graffitos gesprayt sind. Verwirrende Ebenen zeigen beide.

Der dänische Kurator Rasmus Thor Christensen hat einen abwechslungsreichen Parcours mit hochkarätigen Arbeiten von Louise Bourgeois zu James Lee Byers, von Fischli & Weiss zu Sandra Mujinga eingerichtet. Was sie mit dem Oberthema „Postcards from the Future“ verbindet, leuchtet bis auf die überdimensional vergrößerten Postkarten von Katharina Fritsch nicht unbedingt ein.

So viel steht fest: Es sollte mit dem Thema Postamt zu tun haben, das um die Jahrhundertwende Trondheims Tor zur Welt war. Durch die Verwandlung in ein Museum hat es sich wieder geöffnet.

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