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Günther Uecker im Schweriner Dom, für den er vier bis zu zwölf Meter hohe Bilder entwarf.

© dpa/Markus Scholz

Zum Tod des Objektkünstlers Günther Uecker: Tausende Nägel für die Ewigkeit

Er gehörte zu den wichtigsten Künstlern der Nachkriegszeit. Mit seinen Nagel-Werken setzte er Zeichen. Nun ist Günther Uecker im Alter von 95 Jahren in Düsseldorf gestorben.

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Es ist ein ewiges Streichen und Verstreichen der Linien im kreisförmig auf dem Boden ausgestreuten Sand. An zwei Stangen hängen mit Bindfäden befestigte Steine, die den Sand in permanenter Rotation durchfurchen. Die meditative Arbeit – ansonsten auf dem Campus der Ruhr-Universität installiert – ist gegenwärtig im Bochumer Museum Unter Tage zu sehen, eine der vielen monumentalen „Sandmühlen“, die Günther Uecker schuf.

Das Kommen und Gehen, das Auf und Ab, der beständige Wechsel der Gezeiten – das waren die großen Themen von Günther Uecker, der doch vor allem als Nagelkünstler bekannt geworden ist. Die prosaische handwerkliche Geste des Hämmerns, die weiße Latzhose, die er immer hemdsärmelig trug, täuschten darüber hinweg, dass hier jemand sehr viel empfindsamer war und höchst sensibel auf die Veränderungen seiner Umgebung reagierte.

Gleichzeitig hat man Uecker immer auch als Zero-Künstler identifiziert – und auch das stimmt nur bedingt. Gemeinsam mit Otto Piene und Heinz Mack gehörte er zwar zu den Protagonisten, die nach den wieder aufkeimenden Ideologien und politischen Parolen einen Nullpunkt in der Nachkriegskunst markieren wollten und das Heil in der Sonne, dem Licht, dem Nichts suchten. Mit seiner Kunst setzte er sich trotzdem ab.

Die letzten Kriegstage prägten

Dabei war Günther Uecker keineswegs ein unbeschriebenes Blatt. Erst spät hat er darüber gesprochen, wie ihn die Erfahrungen der letzten Kriegstage prägten, dass ihn die Erinnerung an die am Strand der Halbinsel Wustrow angeschwemmten Leichen aus den versenkten Booten weiterhin begleiteten.

Lange Zeit galten seine auf Leinwände, Hölzer und schließlich Möbel eingeschlagenen Nägel nur poetisch als Blicke auf durchwehte Ährenfelder, die der Junge aus Mecklenburg-Vorpommern vermisste. Dass sich damit auch das Bild der wogenden Ostsee und ihrer Toten verbindet, behielt er bis vor wenigen Jahren für sich.  

Geboren als Sohn eines Bauern waren künstlerische Ambitionen beim Vater schlecht angesehen; der wollte einen ganzen Kerl und verdrosch deshalb das Kind. Uecker ließ sich nicht unterkriegen, machte eine Lehre als Werbegestalter und malte meterhohe Stalinporträts. Trotz Kaderschulung fiel dem Agitpropkünstler der Bruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit zunehmend auf. „Ich merkte, wie ich immer lügenfähiger wurde. Das hat mir Angst gemacht“, erzählte der Künstler zuletzt in einem Gespräch mit der „Zeit“.

1953 ging er in den Westen, schnurgerade durch das Brandenburger Tor und durfte erst nach Verhören mit den Alliierten, die sich über drei Monate hinzogen, weiter nach Düsseldorf, wo er unbedingt an der Kunstakademie bei Otto Pankok studieren wollte. Der figurative Maler und Bildhauer war davon wenig begeistert und hätte den 25-Jährigen am liebsten zurückgeschickt. Uecker setzte sich durch und ließ sich zunächst mitsamt Matratze im Klassenzimmer nieder. Später sollte er selbst dort als Professor lehren.

Nägel auf Leinwänden und Möbeln

Schon 1951 hatte sich der junge Uecker bei Besuchen im West-Teil Berlins, obwohl er eigentlich für die Weltjugendfestspiele nach Ost-Berlin gekommen war, für abstrakte Kunst zu interessieren begonnen. An der Düsseldorfer Kunstakademie war es endgültig um ihn als gegenständlichen Maler geschehen. 1955/56 schuf er die ersten Nagelbilder: dreidimensionale, weiß bemalte Reliefs aus Nägeln, die sich zunehmend auch über Möbel und Alltagsgegenstände ausbreiten sollten.

Der Künstler hatte damit seine Bildsprache gefunden und war fortan als „Nagel-Uecker“ rubriziert. Gegen diese Festlegung ging er selbst nicht wirklich an, sondern ließ seine Reliefs überall dort sprießen, wo Nachfrage bestand. Auf Auktionen rangieren seine frühen Werke heute im sechsstelligen Bereich.

Ich stelle mich der Welt. Ich will mich mit allen Sinnesorganen entsetzen.

Günther Uecker

Eine Wende führte die Begegnung mit Otto Piene und Heinz Mack herbei, den beiden Gründern der Künstlergruppe Zero, zu der er 1961 stieß. Auch wenn Uecker wie sie Weiß als bevorzugte Farbe einsetzte, waren seine Werke nie von Kühle geprägt, sondern hatten einen ganz eigenen expressiven Ausdruck.

Welche Radikalität er besaß, lernten die Düsseldorfer 1965, als Uecker kurzerhand eine Scheune in Oberkassel verbrannte, die er für 50 Mark bei der Stadtverwaltung auf der anderen Rheinseite gemietet hatte. Den angekündigten Rauswurf wollte er sich nicht gefallen lassen. Ein Foto von damals zeigt ihn inmitten der verkohlten Trümmer.

Einen ähnlich radikalen Gestus wiederholte er nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl, indem er sich selbst unbekleidet auf eine Leinwand legte und sie rundum mit Asche bemalte. Seit den 1980er Jahren hat sich Uecker mit seiner Kunst immer wieder politisch engagiert, hat auf die Verhältnisse im Irak verwiesen, Umweltprobleme angeprangert und sich 1984 mit seinem „Black Mesa Zyklus“ eindrucksvoll mit den Hopi solidarisch erklärt, deren Kultberg im Reservat von Utah durch Uranabbau bedroht war. „Ich stelle mich der Welt. Ich will mich mit allen Sinnesorganen entsetzen“, hat er dazu gesagt.

Die Summe von Ueckers Schaffen ist in Berlin dauerhaft im Andachtsraum des Bundestags zu betrachten. Dort gestaltete er 1998/99 die Einrichtung samt Altar und Sitzmöbel, zu der außerdem an die Wand gelehnte Tafeln gehören mit Nägeln, Farbe, Sand, Steinen und Asche darauf. Als die Abgeordneten das fehlende Kruzifix monierten, ergänzte der Künstler das Ensemble um eine siebte Tafel. Darauf ist in Form eingeschlagener Nägel ein Kreuz zu erkennen, das sich nach oben hin auflöst. Am 10. Juni ist Günther Uecker in Düsseldorf im Alter von 95 Jahren gestorben.

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