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Kultur: Zum Tod von Karl Mickel: Plötzlich geht alles dahin - Frechheit und Klassizität

Nun hat er sich geschlossen, der "unersättliche Kreislauf Leichen und Laich", von dem das Gedicht "Der See" respektlos spricht. Und das allzu früh: Am Dienstagabend ist der Lyriker und Essayist Karl Mickel in Berlin einer langjährigen Krankheit erlegen.

Nun hat er sich geschlossen, der "unersättliche Kreislauf Leichen und Laich", von dem das Gedicht "Der See" respektlos spricht. Und das allzu früh: Am Dienstagabend ist der Lyriker und Essayist Karl Mickel in Berlin einer langjährigen Krankheit erlegen. Am 12. August wäre er 65 Jahre alt geworden. In einsamer, klirrender Kälte steht es nach wie vor da, Mickels berühmtes Gedicht "Der See" von 1963. Es handelt sich um eine mythologisch verbrämte, doch in Wahrheit beinahe höhnische Verifizierung des Materialismus: "Ich saufe, ich saufe, ich sauf - wohin mit den Abwässern! / See, schartige Schüssel, gefüllt mit Fischleibern: / Durch mich durch jetzt Fluß inmitten eurer Behausungen! Ich lieg und verdaue den Fisch". Eine derart radikale und subjektive Interpretation des dialektischen Geschichtsprozesses hatten die SED-Kulturpolitiker jener Jahre nicht erwartet, schon gar nicht von einem der hoffnungsvollen Vertreter der 1962 entbrandeten "Lyrikwelle". Der zum Verriss abgestellte Ideologe Hans Koch sprach von einem "krankhaften Text" und diffamierte den Autor als Anarchisten. Damit war eine jener hitzigen kulturpolitischen Debatten losgetreten, zu denen Karl Mickel mit seinen formvollendet klassischen Versen immer wieder Anlass bot.

Der Arbeitersohn aus Dresden studierte Volkswirtschaftsplanung und Wirtschaftsgeschichte in Berlin, bei seinem verehrten und in Versen gepriesenen Lehrmeister Hans Mottek ("Mottek sagt"). Von 1965 bis 1971 war Mickel Assistent und Dozent an der Hochschule für Ökonomie in Berlin-Karlshorst, später Redakteur der Zeitschrift "Junge Kunst" und Dramaturg am Berliner Ensemble. "Er ist gebürtiger Sachse und lebt als Marxist in Preußen", charakterisierte Rainer Kirsch den Weggefährten aus der Sächsischen Dichterschule. Waren die Anfänge der DDR-Dichtung noch von großen Einzelnen wie Peter Huchel, Johannes Bobrowski oder Mickels Vorbild Georg Maurer geprägt, so trat mit den sechziger Jahren eine verstärkte Gruppenbildung ein. Die von Sarah Kirsch so benannte "Truppe", der neben anderen Volker Braun, Inge Müller und Heinz Czechowski angehörten, belebte nicht zuletzt mit zahlreichen Porträt- und Widmungsgedichten wie Mickels "Porträt A.E." (Adolf Endler) oder "Bier" (für Richard Leising) die Tradition des Göttinger Hainbunds neu.

Kühnheit und Klassizität, das waren die Pole von Karl Mickels lyrischem Schaffen. 1963 debütierte er mit dem frechen, durchaus staatstreuen und stramm antiimperialistischen Band "Lobverse & Beschimpfungen", den er später nur noch in Teilen gelten lassen wollte. Das Jahr 1966 wurde zum Schlüsseljahr: Der Aufbau-Verlag publizierte die bahnbrechende Sammlung "Vita nova mea", zugleich gab Mickel mit Endler die epochemachende Lyrikanthologie "In diesem besseren Land" heraus. Hinter dem affirmativen Titel verbarg sich eine sozialistische Utopie, deren Sprengkraft von den Behörden mit gewisser Panik erkannt wurde.

Theoretisch versierter als viele andere, erarbeitete sich Karl Mickel die Überlieferung, um seinen künstlerischen Blick zu schärfen. Die Orientierung an Brecht, Goethe, Wieland und vor allem Friedrich Gottlieb Klopstock, dem Verfasser der aufklärerischen "Deutschen Gelehrtenrepublik", verlieh seinen eigenen Versen zuweilen etwas Sprödes, auch Gravitätisches. Ein großer Publikumsautor wurde er nie, weder zu DDR-Zeiten noch nach 1989. Und das, obwohl die im Frühjahr erschienene zweite Fassung seiner Essaysammlung "Gelehrtenrepublik. Beiträge zur deutschen Dichtungsgeschichte" von der Kritik mit wohlwollender Aufmerksamkeit bedacht wurde. So schwärmte Fritz J. Raddatz in der "Zeit" vom "Kenner und Könner aller Stile, ein traurig Lachender mit der Bajazzo-Lefze und ein kühn Zögernder mit dem Geparden-Dompteurstab: Karl Mickel ist ein Zauberer, der das Konkrete verschwinden lässt, um es hintenherum als das Zerspellte wieder hervorzuholen."

Mehr als fünf Gedichte pro Jahr bringe er nicht zu Papier, hatte der zurückhaltende Karl Mickel bekannt. Späte Texte wie das sportiv selbstironische Gedicht "Das Alter" schwirren disparat in Literaturzeitschriften herum oder harren noch ihrer Veröffentlichung. Dem könnte der Mitteldeutsche Verlag abhelfen. Er bewahrt die Zauberkunststücke seines Stammautors in einer hervorragenden Werkausgabe.

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