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Wehrhaft: Die zehnjährige Lise Leplat Prudhomme spielt Jeanne d'Arc als Kind und als Teenager.

© Grandfilm

Zwei neue Filme über Jeanne d’Arc: Gitarrensolo für Johanna

Als Nationalikone angestaubt, als Kinderaktivistin aktueller denn je: Bruno Dumont verfilmt mit zwei „Anti-Musicals“ die Kindheit und Jugend von Jeanne d’Arc.

Von Andreas Busche

Renitente Teenager begehren gegen die Erwachsenen und deren gesellschaftliche Institutionen auf, weil sie sich um ihre Zukunft betrogen fühlen. Es braucht nicht erst den französischen Filmemacher, Provokateur und Krypto-Soziologen Bruno Dumont, um der Geschichte von Jeanne d’Arc Aktualität zu verleihen. Allerdings hat die Grande Nation mit den „Gilets jaunes“ auch längst zeitgemäßere Volkshelden gefunden, die im übrigen auch die politische Querfront von recht bis links problemlos schließen.

Das Bauernmädchen aus Domrémy hat in Frankreich inzwischen ein etwas angestaubtes Image, auch weil sich der Mythos politisch leicht von allen Seiten vereinnahmen lässt. Das Präfix „National-“, das ihr reflexhaft vorangestellt wird, bedient heute eigentlich nur noch Folklore, die seit dreißig Jahren vor allem der Front National ausschlachtet: wenn einmal im Jahr, am 1. Mai, die innere Stärke Frankreichs gegen Eindringlinge von Außen beschworen wird.

Dumont reizt an Jeanne d’Arc ihre Ambivalenz als Projektionsfläche

Perfekt für einen notorisch unbequemen Regisseur wie Dumont, der gezielt am Zeitgeist vorbeifilmt und sich in seinen religiös aufgeladenen Sozialstudien immer wieder auch in gewagte Prämissen versteigt (in „Hadewijch“ von 2009, betitelt nach der niederländischen Mystikerin, fühlt sich eine verstoßene Klosterschülerin zum radikalen Islam hingezogen). Für ihn ist die Projektionsfläche Jeanne d’Arc gerade wegen dieser Ambivalenz so reizvoll, auch sein eigenes Frühwerk ist geschärft von Ambiguität.

Dumont interessiert in seiner filmischen Dublette „Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc“ (2017) und „Jeanne d’Arc“ (2019), die im Abstand von einer Woche ins Kino kommen, an der kindlichen Heldin aber noch etwas ganz anderes, viel grundsätzlicheres: der naive Glaube an das Gute – im Umkehrschluss: die Ablehnung der Wahrheit der Erwachsenen –, gepaart mit dem revolutionären Geist der Jugend. Natürlich ist Jeanne d’Arc keine Greta Thunberg, über solch banale Gleichsetzungen funktioniert das Epische Theater Dumonts nicht. Doch seine Faszination an der Performance einer politischen Erweckung weist auffallende Ähnlichkeiten mit den einschlägigen Memes zur Zeit auf: Greta vor der UN, mit ernstem Blick über den Zustand der Welt referierend.

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Bei Dumont steht Lise Leplat Prudhomme im gotischen Mittelschiff der Kathedrale von Amiens mit erhobenem Kinn vor ihren männlichen Anklägern der Kirche und des Staates; der Laizismus liegt noch ein paar hundert Jahre in der Zukunft. Die Männer, allesamt Laien, sind wie in seinen Filmen nicht anders zu erwarten mit einem sicheren Händchen für die physiognomischen Deformationen und den entgleisten Sprachduktus der Macht besetzt. Gegen sie bringt er die Arroganz der Jugend in Stellung: Die Kläger, verkündet Jeanne, hätten nicht die Autorität, die göttlichen Worte, die ihr im Zwiegespräch überliefert worden seien, aus ihrem Mund zu hören.

Lust am Absurden und an der physischen Komödie

Bruno Dumont ist der Trickser des französischen Kinos. Seit seinem Debüt „Das Leben des Jesu“ (1997) stand sein Kino für einen unerschütterlichen Realismus, schonungslos, aber in seiner Drastik auch radikal humanistisch. Mit der vierteiligen Provinzkrimiserie „Kindkind“ entdeckte Dumont 2014 seine Lust am Absurden und an der physischen Komödie. Zwei Jahre später folgte im selben Modus mit „Die feine Gesellschaft“ eine Klassenfarce im sumpfigen Norden Frankreichs, in der Nähe von Dumonts Geburtsort. Vom Absurden zum Epischen Theater in seinen „Jeanne“-Filmen ist es nur ein kleiner Schritt.

Um historische Genauigkeit geht es Dumont nicht, „Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc“ spielt wie alle seine letzten Filme an der nordfranzösischen Küste, wo die Bunker des Zweiten Weltkriegs noch eine andere nationale Befreiungsgeschichte fortschreiben. Die Schafe, die die achtjährige Jeannette (Lisa Leplat Prudhomme, später von Jeanne Voisin gespielt) hütet, stehen ausdruckslos zwischen den Dünen, unbeeindruckt von dem, was die Kinder und Erwachsenen um sie herum auch treiben.

Headbangen mit Nonnen

Jeannette leidet unter einer kindlichen Depression. „All unsere Wohltaten sind umsonst. Nichts erzeugt mehr Leiden als der Krieg.“ Um ihrem Unmut über die Not der französischen Bevölkerung während des Hundertjährigen Krieges Luft zu verschaffen, bittet sie die Nonne Madame Gervaise um Rat (von den Zwillingen Aline und Elise Charles als eine Person gespielt). Ihr Dreigesang ist ein hinreißendes Libretto, auf dessen dramatischem Höhepunkt sich die Schwestern ihre Hauben vom Kopf reißen und an der Seite von Jeanette mit wehenden Mähnen eine lupenreine Headbanger-Nummer hinlegen. Für die heftigeren Musikeinlagen hat Komponist Igorrr passenderweise den Gitarristen der Blackmetal-Legende Mayhem engagiert.

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Die Texte, denen Dumont hier eine Schwermetalllegierung verpasst, basieren ebenfalls auf einer historischen Quelle: dem Drama des Dichters Charles Péguy über die frühen Jahre Jeannes, das Ende des 19. Jahrhunderts eine Renaissance der französischen Nationalheiligen einleitete. Péguy ist selbst eine zwielichtige Gestalt, von rechts wie links verehrt. Zunächst ein glühender Sozialist, später ein überzeugter Katholik, am Ende ein Franzose bis aufs Blut, starb er gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs.

Péguys zeitlose Sprache trifft auf kindlichen Bewegungsdrang

Dass Dumont die Form des Musicals nicht ganz ernst nimmt, zumindest nicht im selben Sinne wie die Großen des Genres Busby Berkeley, Vincente Minnelli und sein Landsmann Jacques Demy, versteht sich von selbst. Dennoch verbindet sein Film zwei vollkommen gegensätzliche Formen des kreativen Ausdrucks auf stupende Weise: die Eleganz und Melodik von Péguys zeitloser Sprache und den kindlichen Bewegungsdrang, inklusive Radschlagen und Ententanz. Dumont war immer ein polarisierender Regisseur, aber selbst seine größten Verächter können sich dem Charme von „Jeannette“ unmöglich entziehen.

[„Jeannette – Die Kindheit der Jeanne d’Arc“ läuft ab Donnerstag in den Kinos, „Jeanne d’Arc“ ab dem 2. Januar.]

Wirklich schlüssig aber wird sein „Kindheits“-Film, den man für sich genommen als Kuriosum abtun könnte, erst zusammen mit dem Inquisitionsfilm „Jeanne d’Arc“. Das „Sequel“ folgt, nach einem Prolog in den Dünen Nordfrankreichs, wo Jeanne dem König ihre Niederlage eingestehen muss, der Dramaturgie eines Gerichtsdramas. Und verfällt im Sakralbau von Amiens, Schauplatz des Hohen Gerichts, auch ein wenig dem Pathos des Heldinnendramas, das – mehr als der „Kinderfilm“ – die unbefangenen, wasserhellen Gesichtszüge von Prudhomme (diesmal als ältere Jeanne) ikonenhaft ins Bild setzt.

Dumonts Blick auf seine Heldin erinnert an Maria Falconettis Märtyrerin bei Dreyer (1928), doch der heroische Text ist schon durch die Verfremdungseffekte des „Anti-Musicals“ gebrochen. Wenn Prudhomme aufblickt, schaut sie nicht leidend in die Kamera. Sondern direkt in die Augen Gottes.

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