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Szene aus "Mir ist es egal wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen".

© Grandfilm

Satire über den Holocaust in Rumänien: Zwischen Rekonstruktion und Wirklichkeit

Radu Judes Politsatire „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ erzählt vom Dilemma der Erinnerungsarbeit.

Von Andreas Busche

Die Nazi-Uniformen in der Requisite stammen noch aus einer US-Produktion. „Zombies gegen Wehrmacht“ hieß der Film, der der Kostümbildnerin Respekt abnötigt. Die Amerikaner, bemerkt sie anerkennend, ließen sich bei historischen Re-Enactments nicht lumpen. Selbst wenn es sich bloß um ein lausiges B-Movie handelt. Das deutsche Kino, möchte man ergänzen, schafft es ja nicht einmal bei seinen Prestigeproduktionen, die Geschichtskulisse „Drittes Reich“ nicht wie Fernsehen aussehen zu lassen.

Mit einem Streifzug durch die Ausstellungsräume des Militärmuseums in Bukarest beginnt Radu Judes „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“. Und der rumänische Regisseur gibt gleich zu Beginn zu verstehen, dass die Grenzen von Wirklichkeit, Rekonstruktion und Fiktion in seiner gar nicht mal so komischen Politsatire fließend verlaufen. Die Schauspielerin Ioana Iacob spielt die junge Theaterregisseurin Mariana Marin, die gerade mitten in den Proben für eine öffentliche Inszenierung steckt, die an das Massaker des rumänischen Militärs an über 20.000 Juden im Oktober 1941 in Odessa erinnert.

Die eigene Schuld wird bis heute kleingeredet

Zunächst aber tritt die Darstellerin Iacob noch kurz hinter ihrer Rolle hervor und macht ihre Sprecherposition gewissermaßen selbst zur Diskursmasse. Zu der gehören außerdem noch Originalaufnahmen von der Eroberung Odessas durch rumänische Soldaten und von Exekutionen in Litauen, historische Fotos sowie Texte von Hannah Arendt und dem früheren Diktator Ion Antonescu, der die Deportation und die Vernichtung der rumänischen Juden verantwortete. Sergiu Nicolaescu förderte 1993 mit seinem revisionistischen Biopic „Der Spiegel“, der einmal kurz auf Marianas Laptop läuft, den Personenkult um den „antibolschewistischen Helden“.

Judes Filmtitel bezieht sich auf einem berühmten Ausspruch Antonescus, von dessen Pflichtbewusstsein selbst die Nazis geschwärmt haben sollen. Sein Beitrag zur Schoah und die Rolle Rumäniens im Vernichtungskrieg an der Ostfront sind von der Wiesel-Kommission Anfang der 2000er-Jahre zwar aufgearbeitet worden, die eigene Schuld wird von der Politik aber bis heute kleingeredet. In den Nachwirren der postkommunistischen Revolution, die 1989 Nicolae Ceaușescu gewaltsam aus dem Amt entfernte, hatte das Volk wieder eine Identifikationsfigur gesucht – und sie im „Marschall Rumäniens“ gefunden.

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Auch Mariana stößt bei den Proben bald auf Widerstände. Einige ihrer Statisten, die Juden spielen, wollen nicht zusammen mit „den Zigeunern“ in einer Inszenierung auftauchen. (20.000 Roma wurden laut Wiesel-Kommission in Rumänien ermordet.) Ein anderer Statist, unzufrieden mit der kritischen Darstellung der einfachen Bevölkerung, wirft der Regisseurin „antirumänische“ Ressentiments vor. Und der Kulturfunktionär Movila (Alexandru Dabija) versucht Mariana in ihrem rechtschaffenen Furor zu beschwichtigen: Ob sie nicht lieber die heldenhafte Rolle der Soldaten in den Mittelpunkt stellen wolle? Und überhaupt: Ab wie vielen Toten spricht man eigentlich von einem Massaker?

Überraschende Bilder und Blickkonstellationen

„Ich nähere mich meinen Themen eher theoretisch“, meint Mariana, die modisch dem Typ „junge Hipster-Intellektuelle“ entspricht, zu Movila, während sie durch den Fuhrpark der rumänischen Militärgeschichte spazieren. Diese diskursive Beweglichkeit – nicht zuletzt zwischen Vergangenheit und Gegenwart – zeichnet „Mir ist es egal, wenn wir als Barbaren in die Geschichte eingehen“ in seinen besten Szenen aus. Radu Jude lässt sich auf keine Argumentationsebene festlegen, er sucht nach überraschenden Bildern und Blickkonstellationen, um das Dilemma der Erinnerungsarbeit zu erzählen. Und ruft dabei ständig neue Erzählregister ab, von der überdrehten Absurdität des modernen Sprechtheaters bis zur Medienarchäologie – wenn er etwa Marinas Inszenierung am Ende in schäbiger Videoauflösung filmt, die an die Amateuraufnahmen der Ceaușescu-Exekution erinnert.

Vielleicht ist es darum auch ein Irrtum, bei der rumänischen Geschichtsvergessenheit von einem kulturellen Backlash zu reden. Vielleicht ist die Zeit in Rumänien auch einfach stehen geblieben. Der Regisseur legt dies zumindest nah. Als die jüdischen Statisten während der Performance von einem Erschießungskommando aufgereiht werden, bricht im Publikum Jubel aus.

In den Berliner Kinos FSK, Filmrauschpalast, Wolf, Krokodil, Tilsiter Lichtspiele

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