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„Leben in ein Davor und ein Danach verändert“: Özdemir berichtet von massiver Bedrohung durch türkische Nationalisten
2016 war Cem Özdemir einer der Initiatoren der Armenien-Resolution des Bundestages. Das hat sein Leben maßgeblich beeinflusst. Von deutschen Sicherheitsbehörden kam lange zu wenig, kritisiert er.
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Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hat von massiver Bedrohung durch türkische Nationalisten gegen ihn berichtet und den deutschen Sicherheitsbehörden schwere Vorwürfe gemacht. Auslöser sei sein Einsatz für die Armenien-Resolution des Bundestages 2016 gewesen, in der das Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich während des Ersten Weltkriegs als „Völkermord“ bezeichnet wird, sagte Özdemir im Podcast „Meine schwerste Entscheidung“ der Funke Mediengruppe. Die Resolution habe sein „Leben in ein Davor und ein Danach verändert“.
Ihm sei bewusst gewesen, dass dies einschneidende Konsequenzen haben werde – „bis eben zu der Frage, dass ich da lange Zeit eben bestimmte Teile der Gegend in Kreuzberg, in der ich wohne, meiden musste, eben nicht alleine einkaufen gehen konnte, im Taxi bedrängt wurde von Taxifahrern, die türkische Nationalisten sind“. Türkische Nationalisten hätten Filme ausgestrahlt, in denen auch seine damalige Frau und seine Kinder erwähnt wurden, sagte Özdemir.
Wenn die Bösen wüssten, wie die Guten bei uns arbeiten, besser so, dass sie vielleicht nicht alles wissen.
Cem Özdemir
Bei seiner Familie in der Türkei sei er seit 2016 nicht mehr gewesen. „Ich konnte zum Beispiel zur Beerdigung meines Onkels nicht gehen, wäre ich natürlich sehr gern hingegangen, aber das Risiko in einem solchen Staat, wo man halt immer damit rechnen muss, dass die gleichgeschaltete Presse dann mobilisiert wird und es dann heißt, ach guck mal, das ist die Verwandtschaft von diesem Verräter, das wollte ich einfach vermeiden.“
Um seine Familie in Deutschland zu schützen, habe er zusammen mit seinen beiden Kindern einen Kurs im Selbstverteidigungssystem Krav Maga gemacht. „Wenn jemand kommt, ein Selfie möchte, der jetzt offensichtlich türkische Herkunft ist, dann gehen meine Kinder automatisch etwas weg von mir, auch aus Sicherheitsgründen“, sagte er.
Auf notwendige Sicherheitsvorkehrungen sei er zunächst nicht hingewiesen worden, kritisierte Özdemir. Die Sicherheitsbehörden hätten sich erst nach einer Intervention des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) bei ihm gemeldet. Er denke sich gelegentlich: „Wenn die Bösen wüssten, wie die Guten bei uns arbeiten, besser so, dass sie vielleicht nicht alles wissen“, sagte er lakonisch.
Im Juni 2016 hatte der Bundestag beschlossen, die Gräuel an den Armeniern im Osmanischen Reich vor 100 Jahren als „Völkermord“ einzustufen. Die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reichs reagierte empört, Ankara zog zeitweise den Botschafter aus Berlin ab. Mit der Erklärung, die Resolution sei nicht rechtsverbindlich, entschärfte die Bundesregierung den Streit später. (dpa, AFP)
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