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Meinung: 60 Jahre „Tagesschau“

Glänzend die Vergangenheit, porös die Zukunft

Stand:

Nichts macht die ARD so stolz wie der „Tatort“ und die „Tagesschau“. Der Krimi setzt jeden Sonntag für die gesamte Konkurrenz die Quotenmarken. Die „Tagesschau“ ist an jedem Abend um 20 Uhr die Scheidemarke für das, was in Deutschland und in der Welt wichtig gewesen ist. Gestartet am 26. Dezember 1962 ist die „Tagesschau“ auch in ihrem 60. Jahr erfolgreich. Am vergangenen Donnerstag wurde die Ausgabe um 20 Uhr von 8,87 Millionen gesehen, addiert über die Zuschauer im Ersten, in den Dritten und bei Phoenix.

Wie kann das sein? Wer je die Arbeitsabläufe in Hamburg-Lokstedt verfolgt hat, der wundert sich nicht über den halbamtlichen Journalismus, das erdenschwere Substantiv-Deutsch, diese so altmodische Darreichungsform von Nachrichten. Merkwürdig auch, dass immer noch Sprecher beschäftigt werden, also Menschen, die gut vorlesen und wahrscheinlich nicht eine einzige Nachricht selbst formulieren können; anderswo sitzen längst Redakteure, Moderatoren, Profis.

Trotzdem: Wer wartet noch voller Bangen und Spannung auf die Fanfare um 20 Uhr? Das sind in der Mehrheit die Zuschauer, die im Schnitt so alt sind wie das Publikum und die „Tagesschau“ selbst: 60 Jahre plus. Die Nachrichtensendung hat ein erhebliches Problem bei denen, die ihre Zukunft sein sollen, bei den 14- bis 49-Jährigen. Die Generation Online lebt in anderen Medien-Verhältnissen und in ganz anderen Informations-Umständen. Die noch Jüngeren sind die Avantgarde: Sie haben sich längst im Internet einen eigenen Info-Kanon zusammengestellt. Twitter, Live-Ticker, News to go heißen die Instrumente.

Die „Tagesschau“ hat auf die erhöhte Umschlaggeschwindigkeit von Nachrichten, auf die Digitalisierung der Nachricht in unendlich viele Kanäle hinein reagiert, indem sie sich selbst digitalisiert hat: tagesschau.de, tagesschau24, als Tagesschau-App. Wie porös die Behauptung geworden ist, die 20-Uhr-Ausgabe sei das Nachrichten-Evangelium eines Tages, zeigt die Sendung selbst. Wenigstens einmal in den 15 Minuten wird auf tagesschau.de verwiesen, dort würden mehr Hintergrund, mehr Informationen geboten. Es stimmt, und es stimmt so sehr, dass die „Tagesschau“ wie ein Ausschnitt von Welt wirkt. Auch das Prädikat „Zusammenfassung“ stimmt nicht mehr, Auswahl passt besser.

Die Autonomie der Öffentlichkeit bei der Informationsbeschaffung wächst. Die „Tagesschau“ muss wie die Tageszeitung schauen, da beide Medien aus der vordigitalen Zeit stammen, dass sie im mehr und mehr invidualisierten Medienensemble eines Zuschauers und Lesers Platz und Stimme haben. Wenn alles Netz wird, ist die „Tagesschau“ nichts und tagesspiegel.de alles.

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