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Meinung: Allein zwischen Großen

Im Konflikt mit Russland muss Georgien auch auf Hilfe aus Europa setzen

Die Wahllokale in Georgien hatten kaum geschlossen, da erklärte sich Michail Saakaschwili schon zum Sieger – ein wenig zu früh, um schon als richtiger Demokrat durchzugehen. Ob er ein Demokrat ist, muss der frühere Oppositionschef, der sein Land in die „Rosenrevolution“ führte und maßgeblich zum Sturz von Staatschef Schewardnadse beitrug, ohnehin erst noch zeigen. Den ersten Test hat die Opposition von damals bestanden: Die Wahl ist allem Anschein nach weitgehend fair verlaufen – von massiven Fälschungen wie bei der Parlamentswahl im November kann keine Rede sein.

Der neue Präsident muss sich nun an seiner eigenen Rhetorik messen lassen. Eine Hauptaufgabe ist der Kampf gegen die Korruption, die sich lähmend über das ganze Land gelegt hat. In Regierungsbehörden und Verwaltungen sitzen – bis auf wenige Ausnahmen – noch dieselben Beamten wie im vergangenen Jahr. Unklar ist auch, wie Saakaschwili mit Schewardnadses Familie umgehen will, die in die Korruption verstrickt ist.

Doch das ist noch nicht einmal das größte Problem des neuen Präsidenten. Gleich in drei Ecken des kleinen Landes schwelen Konflikte mit regionalen Machthabern, die ihre Provinzen am liebsten ganz von Tiflis abspalten würden. Nur zu gut haben die Georgier noch den Bürgerkrieg der Neunzigerjahre in Erinnerung. In Abchasien und Südossetien hat die georgische Regierung längst keinen Einfluss mehr, Ähnliches zeichnet sich in Adscharien ab. Alle drei Regionen sahen den friedlichen Machtwechsel in Tiflis mit großer Skepsis. Bisher fiel Saakaschwili vor allem mit nationalistischen Tönen auf. Will er ein Wiederaufflammen des Bürgerkriegs verhindern, braucht er viel diplomatisches Geschick. Doch selbst das wird ihm wenig nützen, wenn er nicht zugleich auf ein gutes Verhältnis zu Russland setzt.

Moskau spielt im Konflikt zwischen Georgien und den abtrünnigen Teilrepubliken ein eigenes Spiel. In Tiflis ist man sich sicher, dass Russland die Separatisten in Abchasien aktiv unterstützt. Enge Kontakte zu den Führern der Unruheprovinzen sichern Moskau auch künftig Mitsprache in der Region. Kurz nach dem Sturz Schewardnadses bat Russlands Regierung die drei Machthaber zu Gesprächen nach Moskau – ein Affront nicht nur gegen die georgische Übergangspräsidentin, die erst später zum Staatsbesuch geladen wurde. Und der Kreml denkt nicht einmal daran, die russischen Truppen aus Georgien abzuziehen: Schließlich will er nicht noch mehr Einfluss in der Region verlieren.

Saakaschwili will beides gleichzeitig: ein gutes Verhältnis zu Russland und zu den USA. Letzteres hört man in Washington gern. Die USA bemühen sich intensiv um das kleine, aber im Kampf gegen den Terror strategisch so bedeutende Land: Verteidigungsminister Rumsfeld legte Georgien kürzlich gar den Nato-Beitritt nahe. Die Militärberater, die Washington nach Tiflis geschickt hat, sind Moskau jedoch längst ein Dorn im Auge. Der neue Staatschef muss nun verhindern, dass sein kleines Land zwischen den Interessen der beiden Großen zerrieben wird.

Hier sind vor allem die Europäer gefragt. Gerade die Deutschen scheinen aber dem großen Außenpolitiker Schewardnadse noch immer hinterherzutrauern. Aus alter Verbundenheit mit ihm hatten die Europäer viel zu lange über die Korruption in Georgien und andere Probleme hinweggesehen. Den unblutigen Machtwechsel in Tiflis haben sie nur zur Kenntnis genommen, ohne jeden Enthusiasmus. Eines jedoch wäre für die neue Führung Georgiens fatal: die Gleichgültigkeit Europas.

War es ein Zufall oder wohl kalkuliert? In Saakaschwilis erster Pressekonferenz, die er noch in der Wahlnacht gab, saß er direkt vor einer europäischen Fahne.

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