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Meinung: Ausgerechnet Deutschland

Aus Furcht vor der Industrielobby sabotiert die Bundesregierung den Klimaschutz der EU

Beim Thema Klimaschutz weiß Angela Merkel gut, was auf dem Spiel steht. Als Umweltministerin verhandelte sie das Kioto-Protokoll. Als Kanzlerin forderte sie jüngst, Europa müsse Vorreiter bei der Vermeidung von Treibhausgasen bleiben, weil es unsere „moralische Verantwortung“ vor der Welt sei.

Doch nun droht sich auf Merkel der Verdacht zu legen, ihre Erklärungen von gestern seien leeres Geschwätz. Am heutigen Mittwoch will sie mit ihrem Kabinett einen Plan verabschieden, dessen Umsetzung die Klimaschutzpolitik der EU ad absurdum führen würde.

Deren Basis ist das System zur Ausgabe von handelbaren CO2-Zertifikaten an die Industrie. Diese erlauben es den Besitzern, eine jeweils zugeteilte Menge an Kohlendioxid (CO2) zu produzieren. Wer mehr produziert, muss Zertifikate zukaufen. Wer durch bessere Technik Treibhausgase einspart, kann überschüssige Zertifikate verkaufen. Auf diesem Weg muss der Staat nicht jedem einzelnen Betrieb Vorschriften machen. Stattdessen findet der Klimaschutz dort statt, wo er am wenigsten kostet. Eine zentrale Voraussetzung muss jedoch erfüllt sein: Es dürfen nur erheblich weniger Zertifikate verteilt werden, als zur Fortführung des üblichen Betriebes nötig sind. Sonst würden Einsparungen sich ja nicht lohnen und nicht stattfinden.

Genau diese Voraussetzung aber ist in dem Plan, den Umweltminister Sigmar Gabriel und sein Wirtschaftskollege Michael Glos heute ins Kabinett einbringen, nicht erfüllt. Vielmehr soll die deutsche Industrie volle sieben Jahre lang bis 2012 fast genauso viel CO2 in die Atmosphäre blasen dürfen wie im Jahr 2005, und das auch noch kostenlos mit staatlich zugeteilter Lizenz.

Um den Unfug zu rechtfertigen, verweist Minister Gabriel auf die Jahre 2000 bis 2002, an denen gemessen der CO2-Ausstoß der erfassten Anlagen immerhin um 15 Millionen Tonnen oder drei Prozent gesenkt werde. Dumm nur, dass es sich dabei um geschätzte Daten handelt, während der Vergleichswert aus 2005 durch Gutachter vor Ort erhoben wurde. Gemessen daran beträgt die Minderung jedoch lediglich 0,6 Prozent.

Noch schwerer wiegt, dass die Minister neue Kohlekraftwerke zusätzlich mit allen benötigten Zertifikaten ausstatten und zugleich für volle 14 Jahre von jeder weiteren Kürzung verschonen wollen. Damit, so erklären Gabriels Helfer, soll der Bau effizienter Kohlekraftwerke gefördert werden, weil es sonst infolge des Atomausstiegs an Kraftwerken mangeln könnte. Doch auch dieses Kalkül wird nach hinten losgehen. Weil die vorgesehene Reserve an Zertifikaten viel kleiner ist, als für die bereits angekündigten Neubauten benötigt wird, werden die Emissionen sogar noch ansteigen – und dadurch genau das bestätigen, was die Atomlobby seit je behauptet. Obwohl längst nachgewiesen ist, dass durch mehr Koppelung von Strom- und Wärmeproduktion und Windkraftwerke auf hoher See der Atomausstieg klimafreundlich zu bewältigen wäre.

Eine Hoffnung bleibt: Das Konzept von Merkels Ministern verstößt so fundamental gegen die beschlossene EU-Strategie, dass die Brüsseler Kommission eigentlich ihr Veto einlegen muss. Käme es dazu, dann könnte die Kanzlerin ihren bisherigen guten Ruf in der Umweltpolitik vielleicht im zweiten Anlauf retten.

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