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Der Landesdatenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg gibt wegen rechtlicher Bedenken seinen Twitteraccount auf.

© Sebastian Gollnow/dpa

Behörden und Social Media: Warum ein Facebook-Maulkorb für den Staat ein Fehler wäre

Datenschützer wollen Ämtern, der Polizei und Bürgermeistern die sozialen Medien verbieten. Das ist ein Irrweg. Ein Kommentar.

Soziale Medien haben in Deutschland keinen guten Stand. Sie gelten als „unsozial“, als „Totengräber der Demokratie“, als die „Gosse des Internets“. Und in der Tat: Wie es überall auf der Welt neben dem Schönen, Inspirierenden und Intelligenten auch Bosheit gibt, sind auf den großen Plattformen neben niveauvollen Konversationen und Darstellungen Abgründe aus Hass und Niedertracht entstanden.

Vor allem aber gelten die Plattformen als Kraken, die sich aus purer Profitgier der Daten ihrer Nutzer bemächtigen, ohne sie angemessen darüber aufzuklären, was mit den abgegriffenen Informationen eigentlich genau geschieht. Datenschutzbeauftragte mahnen deshalb immer lauter, dass – wenn schon die Bürger nicht von Facebook, Instagram, Twitter oder WhatsApp lassen können – zumindest staatliche Institutionen und Funktionsträger dort nichts zu suchen hätten.

Wer als Bürgermeister oder Behörde auf Facebook aktiv sei, so der Vorwurf, würde sich zum Helfer der Datensammler machen, was mit dem Datenschutz und den Fürsorgepflichten der Autoritäten nicht vereinbar wäre. Der Datenschutzbeauftragte von Baden-Württemberg will nun seinen Twitter-Account zum 31. Januar löschen. Der Bundesdatenschutzbeauftragte und das Bundesjustizministerium „prüfen“ ihre Social-Media-Aktivitäten, wie es heißt. Viele weitere Behördenchefs werden sich fragen: Müssen wir da raus?

Zunächst einmal: Die Plattformen der sozialen Netzwerke sind weder verboten, noch sind ihre Mechanismen überwiegend rechtswidrig. Wenn sie Gesetze brechen, das Wettbewerbs- oder Datenschutzrecht etwa, können sie mittlerweile mit empfindlichen Bußgeldern belegt werden. Man muss es ihnen nur nachweisen.

Mehrere Gerichtsentscheidungen in den vergangenen Jahren haben nun zu einer starken Ausweitung der Verantwortlichkeit für Datenschutz-Verstöße geführt: Wer etwa auf Facebook eine Fanpage betreibt, was viele Sportclubs, Hobbybegeisterte, Firmen, Ämter oder Bürgermeister tun, soll mitverantwortlich für etwaigen Datenmissbrauch von Facebook sein. Und weil Missbrauch auf den nicht unbedingt in vorbildlicher Transparenz arbeitenden Plattformen allerorten lauern könnte, soll nun zumindest der Staat die Konsequenzen ziehen – und seine Präsenzen auf den sozialen Medien abräumen.

Es wäre ein fataler Schritt. Die Kommunikations-Plattformen im Netz sind längst Massenanwendungen geworden, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Allein 32 Millionen Menschen nutzen monatlich in Deutschland Facebook, täglich sind es 23 Millionen. Trotz aller Datenschutz-Warnungen wächst die Bedeutung des gesamten Bereichs ständig, gerade begeistert mit TikTok eine neues Netzwerk Millionen jüngerer Nutzer in Deutschland.

Längst überfällige Bürgernähe

Viele haben für sich eine durchaus bewusste und mündige Entscheidung gefällt: Dass die Preisgabe ihrer Daten nicht so nachteilig ist, als dass es die Vorteile der vernetzten Kommunikation nicht wert wäre. Vor einer ähnlichen Abwägung stehen nun auch die staatlichen Institutionen. Sollten sie sich von einem ausgreifenden Datenschutz ins Web 1.0 zurückzwingen lassen?

Polizei, Ämter, Bürgermeister, Minister und selbst die Kanzlerin haben in den vergangenen Jahren immer essentiellere Rollen in den Netzwerken übernommen. Sie halten virtuelle Bürgersprechstunden, informieren über ihre Agenda und in oftmals vorbildlicher Weise über Gefahrenlagen – Stimmen der Vernunft in einem flirrenden Gerüchtekosmos. Hier zeigt sich in vielen Fällen eine längst überfällige Transparenz und Bürgernähe.

Besonders die Polizei schafft es immer wieder, einer sich bei Verbrechen oder Anschlägen rasch aufheizenden Stimmung Fakten entgegenzusetzen, etwa zum Hintergrund der Verdächtigen. Das ist gut und richtig so. In Zeiten, in denen Interessengruppen, Parteien oder Fanatiker im Internet – und das nicht nur in den sozialen Netzwerken – mit Gerüchten und Falschinformationen blitzartig Informationsbürgerkriege anzetteln, sind die Stimmen der Besonnenheit, der Autorität und auch der Faktentreue wichtiger denn je.

Es wäre genau das falsche Zeichen, wenn sich drei Jahrzehnte nach Erfindung des World Wide Webs, Behörden aus einer Welt zurückziehen müssten, die in ihrer digitalen Parallelität längst zu einem untrennbaren Teil unserer Wirklichkeit geworden ist.

Dies zu verlangen, ist falsch verstandener Datenschutz, der sich gegen die Menschen kehrt und im übrigen seine eigene Legitimation untergräbt. Zwar haben Behörden kein von der Verfassung geschütztes Recht auf freie Meinungsäußerung, weil die Verfassung lediglich den Bürger schützt, aber nicht den Staat.

Recht auf digitale Information

Aber dem Datenschutz stehen in diesem Fall elementare Amtspflichten gegenüber: Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf, von Behörden, Kommunen und der Regierung zeitnah informiert zu werden – und zwar dort, wo Bürger sich normalerweise erkundigen. Das waren früher Fernsehen, Radio und Zeitungen, aber schon damals nicht das Amtsblatt oder gemeindliche Aushänge.

Digitale Netzwerke sind die effizientesten Technologien zur Verbreitung komplexer Informationen, die die Menschheit je besaß. Es ist nur allzu logisch, dass auch der Staat sie nutzen muss. Und er tut es noch viel zu wenig. Es reicht eben nicht, Informationen wie früher irgendwo zu veröffentlichen oder schlicht irgendwo auf einer Behördenhomepage zu posten.

Wer informieren will, vor allem aber wer zur Information verpflichtet ist, muss die wichtigsten Instrumente zur raschen Verbreitung nutzen, und das sind insbesondere die sozialen Netzwerke mit ihren viralen Funktionen, die das archaische „Weitersagen“ kraftvoll potenzieren. Vor allem wenn es um die Gefahrenabwehr geht und Schnelligkeit wichtig ist. Alles andere wäre eine fahrlässige Unterlassung gegenüber dem Bürger.

Noch unverantwortlicher ist allerdings, dass es der Gesetzgeber überhaupt zu dieser juristisch heiklen Lage hat kommen lassen. Die ersten Urteile, die den Datenschutz und das Bürgerinteresse auf Kollisionskurs geschickt haben, liegen lange zurück. Noch immer gibt es keine vernünftige gesetzliche Regelung, die Ämtern, Gemeinden, Ministerien und Behörden einen Rahmen für den Umgang mit sozialen Netzwerken und der digitalen Ebene setzt.

Staatliche Transparenz im Digitalzeitalter

Zu groß ist die Scheu der Politik, sich mit Datenschützern anzulegen. Dazu gehört auch eine deutlichere Regelung, wie genau staatliche Transparenz im sich rasch entwickelnden Digitalzeitalter zu praktizieren ist. Der Staat mit seinen Institutionen – Finanzämter, Schulbehörden, Verkehrsbehörden, Ordnungsbehörden – sammelt wie kein Zweiter Daten über den Bürger.

Diese Daten gehören uns allen, natürlich nicht in identifizierbarer, aber in abstrakter Form. Schon heute erlaubt das Netz eine viel umfassendere Datentransparenz, als die Behörden sie derzeit praktizierten. Es wird höchste Zeit, dass der Gesetzgeber endlich seine Hausaufgaben macht.

Der wichtigste Schritt zur unmittelbaren Gefahrenabwehr wäre allerdings, die staatlichen Datenschützer wieder einzufangen, die Ämtern, Behörden und Ministerien den Rückzug aus den sozialen Netzwerken verordnen wollen.

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