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Meinung: Der imperiale Zapfhahn

Weniger Russland, mehr Klimaschutz: Warum Europa ein strategisches Energiebündnis mit China schließen sollte

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Im Frühjahr 2006 trat Wladimir Putin vor die Presse und verkündete die Rettung des Baikalsees. Der Baikal ist der größte Süßwassersee der Welt und Nationalheiligtum der Sibirer. In seinen kristallklaren Fluten lebt die einzige Süßwasserrobbenart der Welt. Bedroht wurde der Baikal durch eine geplante Ölpipeline an seinem Ufer. Doch mit einem Federstrich verlegte der russische Präsident die Pipeline in ökologisch unbedenkliches Gelände. Der umweltfreundliche Verlauf der neuen Ölpipeline nach Ostasien führte jedoch zu einer nachhaltigen Verstimmung zwischen Russland und China. Denn ursprünglich sollte das Öl aus Sibirien in der nordchinesischen Raffineriestadt Daqing ankommen. Die neue Pipeline führt nun dazu, dass das Öl stattdessen von der russischen Pazifikküste aus in Richtung Japan und Korea verschifft wird. Dass Japans Regierung immer wieder den Schutz des Baikalsees gefordert hatte, war also sicher nicht zufällig.

Europäischen Beobachtern mag das Szenario bekannt vorkommen. Auch im Osten Asiens spielt der Energieexporteur Russland seine Nachbarn gegeneinander aus. Seine Glaubwürdigkeit als verlässlicher Energielieferant ist deswegen nachhaltig erschüttert. Der chinesische Fernsehjournalist Chenggang Rui, eine der einflussreichsten jungen Stimmen aus Chinas KP, formuliert deswegen eine Sorge, die viele an der Spitze des Landes umtreibt: „Ohne eine sichere Energieversorgung sind Chinas Wachstum und Stabilität auf Sand gebaut. Wir dürfen uns deswegen nicht von einer Quelle abhängig machen.“

Diese Angst geht auch in Europa um: dass Moskau irgendwann den Öl- und den Gashahn zudrehen könnte. Zweifelsohne ist Russlands Einfluss mit den steigenden Energiepreisen gewachsen. Russlands Stärke liegt jedoch auch darin, dass die Europäer untereinander uneins sind und die auf der Hand liegende Chance, mit anderen Energieimporteuren einen „Verbraucherschutzbund“ zu schließen, bisher nicht wahrnehmen.

Die viel beschworene strategische Partnerschaft mit Russland gleicht bisher eher einem Tauziehen um wirtschaftlichen und geopolitischen Einfluss: Wer kontrolliert den Zugriff auf die Ressourcen, ihre Förderung, den Transport und den Zugang zu lukrativen Märkten? Den europäischen Ansatz, durch Regeln Rechtssicherheit und gemeinsame Märkte zu schaffen, hat die russische Führung bis heute nicht verstanden. Der Kreml begreift Politik als Nullsummenspiel: Einer gewinnt, einer verliert. Und damit unterscheidet sich Russland fundamental von China: Die chinesische Führung signalisiert den Europäern, dass sie an einer strategischen Partnerschaft wachsendes Interesse hat. Europa ist wirtschaftlich der zweitwichtigste Handelspartner, militärisch keine Bedrohung und potenziell ein Gegengewicht zu russischen Dominanzbestrebungen in Eurasien. Gemeinsamkeiten finden sich vor allem in der Energiepolitik, nicht zuletzt deswegen, weil der gemeinsame Antagonist hier Russland heißt.

Russland möchte nach dem als Demütigung empfundenen wirtschaftlichen Abstieg und politischen Bedeutungsverlust der 90er Jahre wieder zur Weltmacht aufsteigen. Anstelle der Roten Armee sind heute die staatlichen Energiekonzerne als Instrument imperialer Machtausweitung getreten. Ihr wichtigstes Kapital ist die Kontrolle über das osteuropäische Pipelinenetz. Die drastischen Preiserhöhungen für Öl- und Gasexporte in die Ukraine und Belarus dienten vor allem dazu, auch die dort verlaufenden Abschnitte der großen Exportpipelines russischer Kontrolle zu unterstellen. Mit der neuen Ostseepipeline soll Russland unter Umgehung der osteuropäischen Nachbarn direkt mit seinem wichtigsten Kunden Deutschland verbunden werden. Schlimm genug, dass die deutsche Politik – in trauriger Kontinuität von Rot-Grün zur großen Koalition – dieses Spiel mitmacht und damit dem Vertrauensverhältnis zu den Polen und den baltischen Staaten schweren Schaden zufügt.

Russland kontrolliert bisher auch die wichtigen Transitrouten, die aus Zentralasien Richtung Westen führen. Deswegen ist die russische Führung so verärgert über die neue Ölpipeline vom aserbaidschanischen Baku über das georgische Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Die Baku–Tiflis–Ceyhan(BTC)-Pipeline verbindet erstmals das kaspische Becken direkt mit den westlichen Märkten. Eine parallel verlaufende Gaspipeline wird gerade gebaut. Mittelfristig soll die BTC-Pipeline außerdem unter dem Kaspischen Meer bis zur kasachischen Seite verlängert werden. Die Energiedrehscheibe zwischen dem Osten und Westen wäre dann nicht mehr Russland, sondern das Nato-Mitglied Türkei. (Nebenbei bemerkt: Die EU hat damit einen weiteren Grund, die Türkei langfristig an sich zu binden.)

Dem Kreml geht es nicht nur darum, mit staatlicher Hilfe weltmarktfähige Großkonzerne aufzubauen, sondern auch darum, seinen eigenen außenpolitischen Einfluss zu mehren. Langfristig bastelt Moskau am Ziel einer „Gas-Opec“. Eine weltweite Organisation der gasexportierenden Länder gibt es schließlich bisher nicht. Dazu sollen die zentralasiatischen Gasproduzenten Kasachstan und Usbekistan gehören, Katar und möglicherweise der Iran. Zusammen würde diese Gruppe eine kritische Masse der weltweiten Gasvorräte besitzen und könnte – ähnlich der Opec in den 70er Jahren – die Preise diktieren. Einige Strategen im Kreml spekulieren sogar schon über ein Bündnis der Öl-Opec mit dieser neuen Allianz der Gasexporteure. Die Marktmacht eines solchen weltweiten Bündnisses der Energieproduzenten wäre in der Tat erheblich. Russland und der Iran besitzen zusammen 42 Prozent der bekannten weltweiten Gasreserven. Das russische Monopol über das Pipelinenetz auf der eurasischen Landmasse würde die Führungsrolle des Kremls innerhalb der Gas-Opec garantieren. Politisch besonders brisant am Projekt Gas-Opec ist, dass damit eine Allianz von Russland mit dem Iran entstünde.

Doch nicht allen Partnern, die der Kreml für dieses Projekt im Auge hat, gefällt die darin angelegte russische Vormachtstellung. Der Iran, Kasachstan und Turkmenistan können sich zwar mit der Idee eines preisbildenden Blocks der Hauptgasimporteure anfreunden, weniger aber mit der Idee, dadurch wirtschaftlich und letztendlich auch politisch unter den Einfluss Moskaus zu geraten. China ist dabei, den eigenen Westen durch eine Gasleitung mit dem Osten Kasachstans zu verbinden. Das Gasexportmonopol, das Russland zurzeit über Zentralasien ausübt, ist also nicht für die Ewigkeit gemacht.

Chinas politische Führung beobachtet mit Sorge, wie Russland seine Stellung als größter Öl- und Gasexporteur auf dem asiatischen Kontinent ausbaut. Gleichzeitig sind die Chinesen darüber verärgert, dass Russland versucht, China gegen andere asiatische Länder wie Japan und Korea auszuspielen. Energiesicherheit ist eine Schlüsselfrage der chinesischen Außenpolitik. Die Versorgung mit Energie ist der begrenzende Faktor für die rapide wachsende chinesische Wirtschaft. Weiteres Wirtschaftswachstum wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass China seine sozialen Probleme in Angriff nehmen kann und damit die politische Legitimität und Stabilität der kommunistischen Herrschaft bewahrt. Russlands Ressourcenimperialismus droht Chinas Ambitionen hierbei zu hemmen.

Die Europäische Union ist aus mehreren Gründen der Wunschpartner Chinas in der Außenpolitik: Europa ist weit genug weg, um keine direkte Bedrohung Chinas darzustellen, bringt aber das nötige wirtschaftliche Gewicht mit, um potenziell als Gegengewicht zu Russland und den USA zu wirken. Zwischen Europa und China ergibt sich dabei eine neue Interessengemeinschaft. Beide Seiten müssen Öl und Gas importieren. Russland ist dabei für beide Seiten einer der Hauptlieferanten. Beide versuchen auch, sich durch die Verbesserung von Energieeffizienz und die Förderung erneuerbarer Energien aus der einseitigen Abhängigkeit von fossilen Energieimporten zu lösen. Prognosen zufolge wird China schon in wenigen Jahren die USA als größten Produzenten von klimaschädlichen Treibhausgasen wie CO2 ablösen. Europa kann China dabei helfen, seine Energieimportabhängigkeit dadurch zu verringern, dass es seine einheimische Kohle mit neuen Technologien klimafreundlicher verbrennt und sich durch den raschen Einstieg in die erneuerbaren Energien von seiner Abhängigkeit von den fossilen Energien befreit.

Schließlich haben sowohl China als auch die Europäer ein vitales Interesse daran, dass die momentan zu beobachtende Renaissance der zivilen Atomenergienutzung nicht zu einer unkontrollierbaren Proliferation militärisch verwendbarer Nukleartechnik führt: So hat erst chinesischer Druck dazu geführt, dass im vergangenen Februar ein Abkommen mit Nordkorea geschlossen wurde, mit dem das Atomprogramm des Landes schrittweise unter internationale Kontrolle gebracht werden soll. Auch wenn sich der deutsche Atomausstieg unter den jetzigen politischen Rahmenbedingungen nicht auf China übertragen lassen wird, so haben Deutschland und die EU dennoch ein großes Interesse daran, dass die nukleare Sicherheit neuer Reaktoren im Osten Asiens verbessert und das Proliferationsrisiko durch internationale Kontrolle eingedämmt wird.

Bei allem Potenzial, das eine strategische Partnerschaft mit China haben mag, sollte Europa jedoch nicht den Fehler wiederholen, den es mit Russland gemacht hat, und sich einseitig auf einen Partner in der Region verlassen. Die politische Richtung, die China in den kommenden Jahren nehmen wird, ist ungewiss. Bisher hat die Integration in den Weltmarkt und die internationalen Institutionen nicht zu einem demokratischen Wandel im Inneren geführt. So wichtig China als Partner für die Lösung gemeinsamer Probleme ist, so wenig ist die europäisch-chinesische Beziehung eine Wertegemeinschaft. Wie schnell unterschiedliche Werte dazu führen können, dass gemeinsame Interessen „entwertet“ werden, zeigt der momentane Zerfall der europäisch-russischen Beziehungen.

Europa wäre deswegen gut beraten, seine bisher wenig entwickelten Beziehungen zu den demokratischen Mächten Ost- und Südasiens weiter auszubauen. Auf kontinentaler Ebene bedeutet das, neben der Partnerschaft mit China auch Indien – die größte Demokratie der Welt – stärker in den Blick zu nehmen. Im Osten Asiens sind Japan und Südkorea unsere Wertepartner. Würden sie in Europa liegen, wären beide Länder schon längst in der EU. Japan beispielsweise, immerhin die Geburtsstätte des Kyoto-Protokolls, ist genauso wie die USA ein unverzichtbarer Partner im globalen Klimaschutz.

Russland möchte als größter Gasexporteur der Welt die Preise diktieren und dadurch auch seinen politischen Einfluss sowohl in Europa als auch in Asien ausweiten. Wenn der Plan gelingt, gemeinsam mit dem Iran eine Art Gas-Opec zu gründen, würde ein Anbieterkartell geschaffen, das der Macht der Öl-Opec in nichts nachstünde. Die logische Konsequenz daraus: Auch die Energieverbraucher müssen sich zusammenschließen. Ein strategisches Energiebündnis zwischen der EU und den ostasiatischen Staaten müsste jedoch mehr sein als ein Verbraucherschutzbund. Ziel dieses Bündnisses könnte es sein, mehr (Preis-)Transparenz in das Öl- und Gasgeschäft zu bekommen und sich gegenseitig zu helfen, die einseitige Abhängigkeit von fossilen Energieträgern abzubauen. Das große Zukunftsprojekt der europäisch-chinesischen Partnerschaft wäre ein gemeinsames Vorgehen gegen den Klimawandel.

Sascha Müller-Kraenner

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