Von Lorenz Maroldt: Ein Mensch
Trauerfeier für Enke. Er wird zum Sinnbild der Versagensängste von Millionen
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Im Kalender stand: Volkstrauertag, wie jedes Jahr um die Zeit. Aber einen solchen Novembersonntag hat Deutschland noch nicht erlebt. In Hannover fand die größte Trauerfeier der Republik seit dem Tod Konrad Adenauers statt. Zehntausende kamen im Stadion zusammen, das Ereignis wurde draußen auf großen Videoleinwänden gezeigt; fünf Fernsehsender übertrugen live, Zeitungen und Magazine brachten Sonderausgaben heraus, mehr als 200 Todesanzeigen wurden veröffentlicht. Ein Platz soll nach dem Toten benannt werden, vielleicht auch das Stadion; seine Rückennummer, die 1, soll jetzt von keinem anderen getragen werden.
Welche Art von Trauer ist welchem Menschen angemessen? Als Mitte der Woche die Nachricht kam, dass der Sarg Robert Enkes zur Trauerfeier im Stadion aufgebahrt werden soll, schien die Anteilnahme ins Maßlose, ja Hysterische zu kippen. Die öffentliche Trauer der einen hatte andere angesteckt, eine Massensehnsucht nach großen Gefühlen suchte ihren Platz – und fand ihn im Stadion. Enke war Torwart, ein guter, bescheidener Torwart; aber die mit viel Pathos unterlegte Ikonisierung, schließlich Glorifizierung steht in einem krassen Widerspruch zu seinem Leben – und seinem Sterben. In seinem Verein hieß es, Enke habe sich nicht als Mensch zeigen können. Nun zeigte sich: erst recht nicht im Tod. Als sportlicher Übermensch schien er ins Grab geleitet zu werden. Das hatte auch etwas Unmenschliches.
Enke wird zum Sinnbild der Versagensängste von Millionen. Sein Tod erschüttert deshalb so viele, weil zu den bekannten Dramen in seinem Leben auch ein Geheimnis gehörte, das er erst jetzt, in seinem Abschiedsbrief, offenbarte. Seine Krankheit hatte er still versteckt, am Ende ist er ihr erlegen. Die Todesart, die er wählte, ist aber eine der lautesten, brutalsten – gegen sich selbst, aber auch gegenüber anderen, die damit weiterleben. Dass Ministerpräsident Christian Wulff bei seiner Trauerrede ein paar Worte an den Zugführer richtete, war deshalb ehrlich, aber auch mutig; der kurze Beifall, den er dafür bekam, klang erleichtert.
Möglicherweise, so hatte der Manager seines Verein gesagt, führe Enkes Tod dazu, dass Fußballer nicht mehr nur als Helden oder Versager gesehen werden, sondern eben: als Menschen. Am Ende aber findet die stete Maßlosigkeit der Erwartungen an diesen wie an jeden Profisportler nur eine Entsprechung in der Größe der Trauer und der Worte zu Robert Enkes Tod. Der Leistungsgedanke bleibt untrennbar verbunden mit dem Leistungssport. Wer zu oft daneben greift, wird auch künftig keine Karriere machen, nur weil er ein guter Mensch ist.
Dennoch war es richtig, dass DFB-Präsident Theo Zwanziger in Hannover für eine Art Fußball mit menschlichem Antlitz plädierte. Er sprach von einem Kartell der Verschweiger, das Profis zwinge, sich konform zu verhalten, Krankheiten und Neigungen zu verschweigen und zu verstecken, selbst wenn sie darunter leiden. Fußball ist unser Leben, ließ einst der DFB seine Nationalspieler singen. Heute sagt ihr Präsident: Fußball ist nicht alles. Es war eine würdige Ansprache Zwanzigers, weil sie die Veranstaltung auf eine angemessene Weise erdete, und glaubwürdig ist sie dazu: Es war nicht das erste Mal, dass der DFB-Präsident so sprach.
Enke war kein Held, und er war kein Versager, jedenfalls nicht in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit. Er war eigentlich so, wie sich sein Manager das Bild eines Sportlers wünschte. Er war Mensch geblieben, nahbar, nicht abgehoben, und deshalb beliebt, nicht vergöttert. Aber so bleibt auch ein unauflösbarer Widerspruch in einer Veranstaltung wie dieser Trauerfeier. Gerade weil Enke auch als Profi ein Mensch geblieben war, zeigte sich die Trauer so übergroß, war die Stadt, wie Hannovers Bürgermeister sagte, zusammengerückt und hatte Wärme gezeigt. Und doch wurde Enke von den Massen als Torwart verabschiedet, zur Hymne des Vereins und zur Hymne der Fans. Ministerpräsident Wulff hatte in seiner Rede dazu aufgefordert, Sportler nicht als Übermenschen zu sehen. Auf Enke traf das nicht zu. Jedenfalls nicht bis zu seinem Tod.
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