Thilo Sarrazin und die Parteien: In der Zwickmühle
Es war nicht ganz einfach, ging dann aber schnell. Am 3.
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Es war nicht ganz einfach, ging dann aber schnell. Am 3. Oktober 2003 hielt der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann seine berüchtigte „Tätervolk“- Rede. Sechs Wochen später war er aus der Unionsfraktion ausgeschlossen, neun Monate später aus der Partei. Wo ein Wille ist, ist eben doch meist ein Weg.
Für die umstrittenen Passagen in seiner Rede hatte Hohmann sich zwar entschuldigt, er habe nie die Einzigartigkeit des Holocaust leugnen wollen. Die Behauptung, er hätte die Juden als Tätervolk bezeichnet, darf aufgrund eines Gerichtsurteils nicht mehr verbreitet werden. Und in seiner Partei war Hohmann durchaus beliebt. Es gab diverse Solidaritätsbekundungen. Genützt aber hat ihm das alles nichts. In der Urteilsbegründung zu seinem Parteiausschluss hieß es, es komme nicht darauf an, wie er seine Rede gemeint habe, sondern wie sie vom durchschnittlichen Bürger verstanden werde.
Ist Thilo Sarrazin der Martin Hohmann der SPD? Sagen wir es so: Die Angelegenheit entwickelt sich in diese Richtung. Das freilich wäre für die Führung der sozialdemokratischen Partei fatal. Sehr viele Deutsche teilen Sarrazins Thesen oder meinen zumindest, dass er sie verbreiten dürfen muss. Nach Vorbestellungen steht sein neues Buch beim größten Internetbuchhändler Amazon bereits auf dem ersten Platz. Der mit Abstand beliebteste Sozialdemokrat, Helmut Schmidt, hat Sarrazin während der letzten Kontroverse um dessen Interview in „Lettre International“ demonstrativ unterstützt. Überdies hat der ehemalige Berliner Finanzsenator und heutige Bundesbank-Vorstand ein Parteiausschlussverfahren bereits überstanden. „Die SPD muss solche provokanten Äußerungen aushalten“, hatte die Schiedskommission im Frühjahr erst entschieden.
Doch nicht nur innerhalb der SPD, sondern vor allem in der CDU mehren sich die Stimmen, die erneut nach einem Parteiausschluss rufen. In der SPD ist das Motiv klar: Selbstreinigung. Bei der CDU ist die Lage komplizierter. Ist je ein Bundeskanzler oder die amtierende Kanzlerin den Autor eines noch gar nicht erschienenen Buches derart hart angegangen, wie es jetzt Angela Merkel mit Sarrazin tat („Formulierungen, die diffamieren, die sehr, sehr polemisch zuspitzen“)? Man darf Merkel eine ehrliche, tief empfundene Empörung nicht absprechen. Doch weil sie im Chor mit anderen Unionisten singt, drängt sich der Verdacht auf, die SPD solle bewusst in eine Zwickmühle gebracht werden.
Finanzminister Wolfgang Schäuble sagt, er würde sich schämen, wenn ein Mitglied seiner Partei solche Äußerungen von sich gäbe. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz, wird deutlicher: „In der Union hätte Sarrazin keinen Platz. Latenter Rassismus ist mit christlichen Wertvorstellungen unvereinbar.“ Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, meint, die Sozialdemokraten müssten „in den eigenen Reihen für Ordnung sorgen“. Bei alledem schwingt mit: Unseren „Fall Hohmann“ haben wir rasch gelöst, der SPD scheint das mit Sarrazin nicht zu gelingen.
Sarrazins Thesen sind nicht neu. Er vertritt sie seit Jahren, und seit Jahren stoßen sie auf die immergleichen Proteste. Daher geht es längst nicht mehr allein um die Frage, ob sie wahr oder falsch, rassistisch oder nicht rassistisch sind. Sondern es geht auch um die politische Instrumentalisierung der allgemeinen Erregung. Falls die SPD gezwungen werden kann, sich durch ein erneutes Parteiausschlussverfahren inhaltlich mit Sarrazin und seinen Thesen auseinandersetzen zu müssen – und zwar über Wochen und Monate in aller Öffentlichkeit –, nur um am Ende einen Sieger oder Märtyrer geschaffen zu haben, hätte die Partei ein Riesenproblem. Anzunehmen, dass Merkel, Schäuble und die anderen sarrazinkritischen Unionisten das nicht wissen, wäre naiv.
Für die indes ist ein allzu hartes Eindreschen auf Sarrazin ebenfalls nicht ungefährlich. Warum positioniert sich unsere Kanzlerin beim Themenkomplex Integration-Ausländer-Muslime plötzlich derart vehement?, wird manch konservativer Christdemokrat fragen, dem die Identitätsneutralität seiner Partei ohnehin Kopfschmerzen bereitet. Diese Klientel schmerzt, dass eine der spärlichen moralischen Äußerungen ihrer Parteivorsitzenden sich ausgerechnet antiislamkritisch interpretieren lässt. Der kurzzeitige Triumph, damit die SPD in die Bedrouille zu bringen, tröstet die Sarrazin-Sympathisanten innerhalb der CDU kaum.
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