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Matteo Salvini, Silvio Berlusconi, Giorgia Meloni und Maurizio Lupi bei einer Wahlkampfveranstaltung unter dem Motto 'Insieme per l'Italia / Gemeinsam für Italien' auf dem Piazza del Popolo, die die italienischen Rechtsparteien Lega, Fratelli d'Italia, Forza Italia und Noi Moderati gemeinsam veranstalten. Die Veranstaltung bildet das Ende des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen vom 25. September 2022. Rom, 22.09.2022

© Imago / Anna-Maria Tinghino

Italien wählt: Die Linke, willige Helferin der Rechten

Bringt Italien 100 Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom seine Erben an die Regierung? Ein Blick - auch - auf die andere Seite des Problems.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Das Ausland blickt, wie so oft, mit Entsetzen nach Rom. Aber diesmal ist es nicht die übliche Regierungskrise - die noch amtierende Regierung Draghi ist seit Beginn der Republik 1948 die Nummer 67 - die die Nachbarn so gern wohlig schauern lässt. Von wohlig keine Spur: Alle Umfragen sagen voraus, dass exakt ein Jahrhundert nach Mussolinis Marsch auf Rom die extreme Rechte wieder die Regierung führen und Giorgia Meloni Premierministerin werden könnte, die Vorsitzende der „Fratelli d’Italia“, der voraussichtlich stärksten Partei im Rechts-Bündnis.

Jahrzehnte nach einer Diktatur ist der Demokratie ein Großteil ihres historischen Gedächtnisses abhanden gekommen.

Michela Murgia, Schriftstellerin

Geschichte wiederholt sich nicht, zwischen dem Herbst 1922 und dem Herbst 2022 liegt nicht nur ein Zeitalter. Aber Meloni und vor allem ihre teils alten Kameraden sind nicht jene grunddemokratischen, ganz normalen Konservativen, als die die Chefin sich und die Ihren unermüdlich präsentiert. Melonis Verständnis von Demokratie handelt wie das ihres ungarischen Bruders im Geiste, Viktor Orbán, nur von Wahlsieg und -niederlage.

Die Umfragen für Meloni sind auch ein Zeichen der Verzweiflung

Dass eine Demokratie vor allem zwischen den Wahlen funktionieren muss, dass sie Gleichheit, Minderheitenrechte, Meinungsfreiheit braucht, das fehlt in ihren Bekenntnissen. Sie verdammt den Antisemitismus des Faschismus immer wieder, aber befeuert Rassismus wie ihr Bündnispartner Matteo Salvini von der Lega. Ihr Sprechzettel auf alle Fragen zu den faschistischen Wurzeln der FdI lautet: „Wir haben den Faschismus der Geschichte übereignet.“ Eine ziemlich mehrdeutige Formel.

Warum fliegen Melonis „Brüder“ in den Umfragen? Erstens: Weil sie wählbar geworden sind. Eine Gesellschaft, die soeben von einer Diktatur befreit wurde, ist dagegen in der Regel immun, schreibt die italienische Autorin Michela Murgia in ihrer Polemik „Faschist werden. Eine Anleitung“. Aber nach ein paar Jahrzehnten könnte man die Idee schon wieder verlockend finden, der Demokratie sei dann „ein Großteil ihres historischen Gedächtnisses abhandengekommen“.

Es gibt einen wichtigen weiteren Grund: Verzweiflung. Italien braucht Runderneuerung, ökologischen Umbau, für die es alle natürlichen Mittel hätte, Sonne, Wind, Wasser, es braucht Rechtssicherheit durch eine funktionierende Justiz, einen modernen Sozialstaat, ordentlich bezahlte Arbeitsplätze für seine jungen Leute und für Frauen, die , solange reproduktionsfähig, vom Arbeitsmarkt regelrecht ausgesperrt sind oder enorme Hürden überwinden müssen. Eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt ist nur eins der Ergebnisse.

Auf all das hat das Rechtsbündnis, das man als Mitte-Rechts nicht bezeichnen kann, keine Antworten oder solche, die direkt in die Vergangenheit führen statt in die Zukunft. Aber für Meloni spricht, dass sie noch nicht regiert hat, sozusagen nicht kontaminiert ist. Diesen Vorteil hat die andere Seite - auch hier ist schlecht von einem mitte-linken Lager zu sprechen - nicht. Der sozialdemokratische PD hat sich an der Regierung die Hände teils ordentlich schmutzig gemacht, durch ewige faule Kompromisse nach rechts, vor allem aber, indem er die klasssiche Klientel - siehe oben - und Politikfelder einer sozialdemokratischen Partei jahrelang vernachlässigt hat.

Die Wahlkampfstrategie ist der größte anzunehmende Unfall

Unter seinem honorigen, aber blassen Vorsitzenden Enrico Letta hat er sich und seinen Verbündeten zwar ein plausibles ökologisch-soziales Programm zur Wahl gegeben. Doch im Wahlkampf verschweigt er dessen Kern. Die Rechte spricht von der Gasrechnung, Letta von Frauen- und Schwulenrechten. So wichtig die sind: Sie nach vorn zu stellen heißt, dass man längst Bekehrten predigt. Wer Bürgerrechte will, kann Meloni e bella compagnia eh nicht wählen.

In einem Wahlkampf, der um Verunsicherte und Verzweifelte wirbt, die nicht wissen, wie sie Mehl, Strom und Licht bezahlen sollen, ist dieser Schwerpunkt eine Negativaussage: Euer harter Alltag interessiert uns nicht. Es fällt schwer, darin nur einen schweren Kommunikationsfehler zu sehen. Es ist ein Gau, wenn man außerdem weiß, dass Letta es rundweg abgelehnt hat, sich zur Wahl mit den Fünf Sternen zusammenzutun, die inzwischen klar sozialpolitisch positioniert sind und deren Wähler:innenreservoir das des PD ist. Erklärlich wäre eine solche Folge von kapitalen Fehlern eigentlich nur, wenn die Parteien links vom Bündnis Meloni ganz sicher gehen wollten, diese Wahl zu verlieren.

Es war viel von russischem Geld und Einfluss auf diesen Wahlkampf die Rede. Dass Salvini und die Seinen bedacht wurden, hat Russland selbst bestätigt. Hätte Putin allerdings Italiens so genannte Linke gekauft, um seinen rechtsextremen italienischen Fans an die Regierung zu helfen: Er hätte die bessere Investition gemacht.

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