Von Malte Lehming: Karikatur eines Streits
Israel fordert von Schweden, einen Zeitungsartikel zu verurteilen – woran erinnert das?
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Seit der Gründung des Staates Israel ist in der Region ein interessantes Wettrennen im Gange. Die Frage lautet: Werden die Araber durch ihre Nähe zum demokratischen Gemeinwesen Israel zivilisiert? Oder werden die Israelis durch ihre Nähe zu den Arabern orientalisiert? Für beide Thesen gibt es Belege. Ägypten und Jordanien haben mit Israel Frieden geschlossen, die Palästinenser gelten heute als relativ demokratisch und gebildet. Arabisches Satellitenfernsehen hat mit der Deutungsmacht der Staatspropaganda gebrochen. Das ist nicht viel, aber immerhin.
Leider sind auch jene Kräfte aktiv, die Israel orientalisieren. Korruption und Vetternwirtschaft sind heute weitverbreitet. Es gibt religiösen Fanatismus und Holocaust-Leugner. Und spätestens, seit im September 2005 ein Siedler im Norden Israels in einen Bus stieg und vier Araber abknallte, um gegen den geplanten Abzug Israels aus dem Gazastreifen zu protestieren, ist auch die Methode des politisch motivierten Terrors kein Privileg militanter Islamisten mehr. Was die können, können wir schon lange: Diese trotzige Devise setzt sich offenbar zwischen Haifa und Eilat langsam durch.
Das jüngste Beispiel ist der Versuch, auch einmal einen Karikaturenstreit vom Zaun zu brechen, mit allem, was dazugehört – Protesten, Nazi-Vergleichen, Warenboykott. Was fehlt, sind noch Flaggenverbrennungen und diverse Tote infolge gewalttätiger Auseinandersetzungen. Was war passiert? Das schwedische Boulevardblatt „Aftonbladet“ hatte vor einer Woche einen zweiseitigen Text auf seinen Kulturseiten veröffentlicht, in dem Israelis ohne jeden Beleg vorgeworfen wird, die Organe toter Palästinenser zu stehlen. Nun ist es bei dem gröbsten Unsinn so, dass der, der ihn bestreitet, ihn auch aufwertet. Wer behauptet, die Erde sei eine Scheibe, Frauen seien minderwertig und Außerirdische lebten mitten unter uns, möge mit seinen Ansichten gefälligst alleine bleiben. Wer in einen Diskurs über solche Thesen eintritt, adelt sie als diskussionswürdig.
Diese Regel hat die israelische Regierung verletzt und von der schwedischen Regierung eine Verurteilung des Artikels verlangt. Das lehnt Schweden, das derzeit den EU-Ratspräsidenten stellt, mit Hinweis auf die Pressefreiheit ab. Prompt wird in Jerusalem über Sanktionen nachgedacht, von Verleumdungsklagen gegen den Autor des Artikels bis hin zu einer Absage des Besuchs des schwedischen Außenministers Carl Bildt.
Die Analogie zum Karikaturenstreit drängt sich auf. Am 31. Januar 2006 verabschiedeten die Innenminister von 17 arabischen Staaten in Tunis eine Resolution, der zufolge die dänische Regierung die Urheber der Karikaturen „streng bestrafen“ müsse, was im Westen mit Verweis auf die Unabhängigkeit der Medien zum Glück zurückgewiesen wurde. Innenminister Wolfgang Schäuble sagte zwei Tage später: „Warum sollte sich die Regierung für etwas entschuldigen, was in Ausübung der Pressefreiheit passiert ist? Wenn sich da der Staat einmischt, dann ist das der erste Schritt zur Einschränkung der Pressefreiheit.“
In Israel heißt es heute, die Skandinavier verwechselten Pressefreiheit mit der Freiheit zur Diffamierung. Genau dasselbe wurde dem Westen damals von der islamischen Welt vorgeworfen.
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