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Pipelinebau in der Ostsee: Unterwasserinfrastruktur ist zu wenig geschützt

© Foto: Stefan Sauer/picture alliance/dpa

Nach Explosionen an Nord-Stream-Pipelines: Was zum Schutz kritischer Infrastruktur nun geschehen muss

Deutschland hat die Gefahren vernachlässigt - andere europäische Länder sind da weiter. Es besteht akuter Handlungsbedarf. Ein Gastbeitrag.

Von Ferdinand Gehringer

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Nach ersten Erkenntnissen der gemeinsamen Ermittlungen durch Schweden, Dänemark und Deutschland hat sich in Sachen Nord Stream I und II der Verdacht eines Sabotageaktes erhärtet. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst in Schweden bestätigten, dass es sich um größere Sprengstoffexplosionen handelte, die die Erdgaspipelines beschädigt haben. Weiter unklar ist jedoch, wem diese Handlungen zuzuschreiben sind.

Die Herausforderung, in 70 bis 80 Metern Wassertiefe eine Sprengstoffexplosion herbeizuführen, lassen nur staatliche Akteure in Betracht kommen, wie auch das Bundeskriminalamt feststellte. In der Lage dazu wären neben USA, China und Russland auch Streitkräfte anderer Staaten. Gute Gründe sprechen jedoch für einen Akt der Sabotage durch die Russische Föderation als Teil ihrer hybriden Kriegsführung mit Zielen der kritischen Infrastruktur (Kritis).

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ordnet als Kritis alle Organisationen und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen ein, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Um deren Schutz, gerade unterhalb der Wasseroberfläche ist es in Deutschland nicht gut bestellt.

Militärische Angriffe wurden nicht als Gefahr gesehen

Noch Anfang Februar gab die Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zur „Sicherheit und technologische Unabhängigkeit der Seekabelinfrastruktur“ an, dass Seekabel hauptsächlich durch Umwelteinflüsse oder Anker größerer Schiffe gefährdet seien. Ein militärischer Angriff wurde hier nicht als Gefahr gesehen. Dabei verfügt die Seekriegsflotte der Russischen Föderation über nuklear betriebene U-Boote, die zur Kriegsführung am Meeresboden („Seabed Warfare“) entwickelt wurden, und mit dem Forschungsschiff „Yantar“ über weiteres Gerät, das zur Sabotage und Spionage geeignet ist.

Auch Spionage stellt eine Form der Bedrohung dar, die in Deutschland bisher wenig beachtet wurde. Über die zumeist schlecht geschützten Landungspunkte der Unterseekabel kann der Datenverkehr angezapft werden. Bekannt ist, dass der US-Geheimdienst NSA in Dänemark und der britische Geheimdienst GCHQ in Zypern den globalen Kommunikationsverkehr, offiziell zur Terrorismusbekämpfung, überwacht haben.

In Deutschland gibt es derzeit vier Landungspunkte (Sylt, Rostock, Markgrafenheide, Puttgarden), an denen insgesamt acht Kabel eintreffen. Mit neuen Unterwassertechniken ist eine Überwachung des Daten- und Kommunikationsverkehrs auch in den Tiefen des Meeres möglich.

Vorgaben für die oftmals privaten Betreiber zum Schutz der Kabelnetze vor Manipulation bzw. Angriffen gibt es nicht. Im Rahmen des geplanten „Kritis-Dachgesetz“ müssen deshalb dringend Schutzstandards geschaffen werden. Der Schutz kritischer Infrastruktur muss als Angelegenheit der nationalen Sicherheit auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie mitgedacht werden.

Die Zahl der deutschen U-Boote müsste mindestens verdoppelt werden.

Ferdinand Gehringer

Angesichts der besseren Ausstattungen und Möglichkeiten sollte die Deutsche Marine die klare Schutzaufgabe für die Infrastruktur unter und über Wasser in Nord- und Ostsee anstelle der bisher zuständigen Bundespolizei übernehmen. Die Deutsche Marine verfügt mit derzeit sechs im Dienst stehenden U-Booten über Gerät und Aufklärungsmittel, die es auszubauen gilt.

Die Anzahl der U-Boote müsste mindestens verdoppelt werden, um unter Berücksichtigung der bisher langen Wartungszeiten, die Handlungs- und Reaktionsfähigkeit zu erhöhen. Darüber hinaus sind sogenannte Flottendienstboote für die Überwachung der Gewässer ebenso erforderlich wie ein Ausbau des akustischen Überwachungssystems. Mit diesen Ansätzen könnte Deutschland das vor zwei Jahren von der Nato – unter anderem auch zum Schutz der Unterseekabel im Atlantik – gegründete Streitkräftekommando Norfolk/ Virgina unterstützen und Teil einer neuen „Anti Submarine Warfare“ (ASW) im Nato-Verbund werden.

Künftig könnten Unterwasserwaffensysteme mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz, wie die US-Marine sie gerade entwickelt, den Schutz der Infrastruktur übernehmen. Frankreich hat im Februar eine Strategie für den Unterwasserkrieg veröffentlicht und die Beschaffung hydrografischer Schiffe, U-Boote und Unterwasserdrohnen angeordnet. Im März gab die britische Marine bekannt, dass ab 2024 ein Schiff die Überwachung des britischen und Teile des internationalen Gewässers übernehmen soll.

Angesichts der zu beobachtenden Entwicklung ist das Unterseekabelnetz in Kooperation mit den Bündnispartnern, ganz im Sinne des „Allgefahrenansatzes“, zu schützen. Mit Satellitenaufzeichnungen, sensorischer Unterwasserüberwachung und Patrouillen müssen vollumfängliche Lagebilder erstellt, Manipulationsversuche oder Spionageeingriffe früh erkannt und über moderne Unterwassersysteme notfalls abgewehrt werden.

Um der steigenden Wahrscheinlichkeit von Spionageakten vorzubeugen, muss zudem mehr Wert auf verschlüsselten Datenaustausch gelegt werden. Es besteht akuter Handlungsbedarf, wobei die technischen Entwicklungen und Initiativen einiger Staaten in die richtige Richtung gehen, auch um den notwendigen politischen Willen und Aufmerksamkeit in Deutschland zu erzeugen. Ein Schutz dieser Infrastruktur wird nur gemeinsam mit unseren Partnern möglich sein.

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