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Claudia Roth hängt auf der Insel Rügen neue Wahlplakate auf. Bei der Landtags-Nachwahl können die 27 000 Wahlberechtigten die Zusammensetzung des Parlaments in Schwerin noch ändern.

© Stefan Sauer dpa/

Kontrapunkt: Nachwahl auf Rügen - Der Urnengang als Farce

Die Parteien in Mecklenburg-Vorpommern nutzen die Nachwahl am kommenden Samstag auf Rügen für taktische Manöver, um die NPD kleinzuhalten. Löblich, aber der Zweck heiligt hier nicht die Mittel. Ein Kommentar.

Mecklenburg-Vorpommern hat einen Landtag gewählt. Das ganze Land? Nein. Die große Insel Rügen wählt erst am Sonntag. Und so streitbar eine solche Nachwahl an sich schon ist: Linke und Grüne helfen mit ihrem Stimmenpakt kräftig mit, dass der Urnengang zur Farce wird. Trotz sehr ehrenhafter Motive.

Der Wahlvorgang ist in Deutschland normalerweise ein streng reglementiertes, bürokratisches Geschäft. Fernsehmoderatoren müssen lange Minuten füllen, damit Prognosen auf keinen Fall vor 18 Uhr und null Sekunden öffentlich werden. Kugelschreiber und Bleistifte im Wahllokal werden auf Logos und Slogans geprüft. Langwierige Ankündigungen rahmen Werbespots ein. All das nur, damit der Wahlgänger unbeeinflusst sein Kreuzchen machen kann. Die politische Überzeugung – und nichts als sie – soll zum Ausdruck kommen. Zu Recht. Schließlich ist das ein zentraler Pfeiler der Demokratie. Die muss gegen den Zeitgeist mit seiner Verwertungslogik immun sein.

Manchmal, im seltenen Ausnahmefall, beugt sich das Recht aber weg vom Prinzip und hin zum persönlichen Schicksal. So geschehen nach dem Tod des CDU-Kandidaten auf Rügen. Dann wird ein Wahltermin teilweise verlegt und einige Wähler gehen mit einem Informationsvorsprung an die Urnen. Das wirft Sand ins Getriebe der ausgeklügelten Wahlmaschine. Die Gleichbehandlung der Wähler ist dahin, die Chancen der Parteien sind verzerrt, das Wahlergebnis wird ein vergelltes sein. Egal, wie klein der betroffene Wahlkreis ist und egal, wie groß der Einfluss der Nachwahl wirklich sein wird.

Intuitiv geht die erste Frage an Gesetzgeber und Justiz. Warum lassen sie das zu? Wie auch immer die Antwort aber ausfällt: Alle Demokraten haben in dieser Situation eine besondere Verantwortung. Sie müssen verhindern, dass jemand den kleinen Kratzer im System zu einer klaffenden Wunde aufreißen lässt. Sie müssen der Versuchung widerstehen, die Schwäche auszunutzen.

Linken und Grünen auf Rügen gelingt genau das nicht. Sie wollen ein politisches Ziel mit taktischen Manövern erreichen. Die NPD soll kleingehalten werden. Löblich, aber der Zweck heiligt hier nicht die Mittel. Denn die beiden Parteien stacheln den im Prinzip unrechtmäßig privilegierten Wähler dazu an, seinen Vorsprung bestmöglich zu missbrauchen. Vollends überheblich geworden drängen die Bundesgrünen die anderen Parteien zum Stimmenverleih. Das ist plumpest möglicher Wahlkampf. Dem Kampf gegen Rechts erweisen sie damit einen Bärendienst.

Wer Wahlen als Gelegenheit für solche Manöver nutzt, hat demokratische Auseinandersetzung missverstanden. Der Kampf in der Demokratie ist der Meinungsaustausch und der Streit. Es geht nicht darum, ein Verfahren möglichst geschickt auszunutzen. Demokraten kämpfen für die Wahl, nicht mit der Wahl.

Parteien sind keine Möbelstücke, die man zu einem möglichst stimmigen Gesamtbild beliebig verschieben und verändern kann. Die zentrale Qualität einer Partei ist ihre Eigenständigkeit und Abgrenzung. Denn darin drücken sich Meinung und Überzeugung aus. Genau die soll und will der Wähler in der Kabine vermitteln. Wer eine gegnerische Partei dann mit den Schwächen des Wahlrechts auszubooten versucht, schadet demokratischer Kultur. Wer Wahlen als Mandats- und Koalitionsbörse missversteht, verhöhnt das wichtigste Bürgerrecht in einer repräsentativen Demokratie. Diese Erkenntnis kann schmerzhaft sein, gerade wenn es gegen antidemokratische Kräfte wie die NPD geht. Schlimmer wäre es aber, es der Wahlmechanik zu überlassen, das rechtsextreme Problem zu lösen. Der demokratische Konsens gegen den braunen Sumpf wird damit entwertet.

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