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Protest der letzten Generation in Print

© AFP/JOHN MACDOUGALL

Razzia gegen die „Letzte Generation“: Ein schwacher Staat will Stärke zeigen

Viel zu lange ließ man die militanten Klimaaktivisten gewähren. Der Eindruck von Hilflosigkeit drängte sich auf. Nun soll Entschlossenheit demonstriert werden. Das wirkt bemüht.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Carla Hinrichs ist eine Sprecherin der „Letzten Generation“. In einem Video erzählt sie von der Hausdurchsuchung bei ihr am Mittwochmorgen. „Plötzlich steht ein Polizist mit schusssicherer Weste an deinem Bett und richtet eine Waffe auf dich“, sagt sie. Das geht unter die Haut. Die geschilderte Szene, so sie denn stimmt, erinnert an brutale Methoden in einem autoritären Staat.

Dieses Video gibt es zwar nicht, aber es könnte es geben: Unter Tränen erzählt eine Frau von ihrem Ehemann, der einen Schlaganfall erlitten hatte. „Im Krankenhaus sagte man mir, dass der Rettungswagen leider im Stau habe stehen müssen, weil sich Klimaaktivisten auf der Straße festgeklebt hätten.“ Auch diese Szene, obwohl fiktiv, geht unter die Haut. Vor Wut ballt sich die Faust.

Immer mehr Fäuste ballen sich vor Wut. Autofahrer, die im Zwangsstau stecken, praktizieren Selbstjustiz. Sie spucken und schimpfen, treten und zerren. Klima-Kleber, deren Wohnungen bei einer bundesweiten Razzia durchsucht und deren Konten gesperrt werden, drohen mit Eskalation. Folgen Sabotageakte gegen fossile Industrien? Wer im Panik-Modus denkt, denkt oft schranken- und grenzenlos.

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Es drohen Dürre, Hitze, Überschwemmungen, Migration

Doch wie sonst? Die auch durch Menschen verursachte globale Erderwärmung hat extreme Wetterereignisse zur Folge. Dürre, Hitze, Überschwemmungen, Migration. Die Zeit ist knapp. Das sagen alle Experten.

Wer aber daraus ein Widerstandsrecht ableitet, das auch Militanz einschließt, gefährdet den Zusammenhalt der Gesellschaft wie auch die Werte der Demokratie. Sich über parlamentarische Prozesse hinwegzusetzen und Rechtsverstöße zu begehen, weil angeblich der Zweck die Mittel heiligt, befördert im Ergebnis antidemokratische Tendenzen. Radikalen Taten gehen radikale Gedanken voraus. Klimaradikalität als Klimarealismus umzudefinieren, ist einer dieser Gedanken.

Die Deutschen sind in ihrer großen Mehrheit klimabewusst. Das muss ihnen keiner mit rabiaten Methoden beibringen. Solche Methoden werden als anmaßend und übergriffig empfunden. Menschen dadurch zu überzeugen, dass ihr Tagesablauf gestört und ihnen ein Schuldgefühl eingetrichtert wird, kann nicht gelingen. Von Psychologie haben die Vertreter der Letzten Generation erstaunlich wenig Ahnung.

Drei Viertel der Deutschen lehnen Straßenblockaden ab

Nur eine Minderheit der Bundesbürger hat Verständnis für die Aktionen der Klima-Aktivisten. Das ergab eine Umfrage von YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. Drei Viertel lehnen Straßenblockaden ab, 60 Prozent „voll und ganz“. Wer aber fängt diese Stimmung auf? Das ist – leider – auch die AfD. Zu Beginn der Blockaden lagen die Rechtspopulisten in Umfragen bei zehn Prozent, jetzt bei 16 Prozent. Die Partei sei „radikaler und akzeptierter“ denn je, heißt es.

Viel zu lange wirkte der Staat schwach im Umgang mit militanten Klimaaktivisten. „Die heutigen Maßnahmen zeigen, dass der Rechtsstaat sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser, um die bundesweite Razzia zu rechtfertigen. Legitimer Protest ende dort, wo Straftaten begangen und andere Menschen in ihren Rechten verletzt würden.

Die Frage ist nur: Warum ließ sich der Rechtsstaat in den vergangenen Wochen und Monaten ständig auf der Nase herumtanzen? Warum mussten Hundertschaften von Polizisten jeden Tag festgeklebte Hände vom Asphalt lösen? Warum mussten Tausende Autofahrer im Stau stehen? Warum mussten Bilderrahmen restauriert werden, weil Suppe auf Gemälde geworfen worden war? Immer stärker drängte sich bei alledem der Eindruck von Rat- und Hilflosigkeit auf.

War die Razzia nun der Befreiungsschlag aus dieser Misere? Im Gegenteil: Die Misere wurde verschärft. Was entschlossen wirken sollte, wirkt übertrieben, weil die Maßnahmen zu spät ergriffen wurden. Wie ein Eingeständnis, jetzt nur noch mit Kanonen auf Spatzen schießen zu können. Ein funktionierender Rechtsstaat und eine wehrhafte Demokratie sollten willens und in der Lage sein, Nötigungsaktionen einer militanten Minderheit zu unterbinden. Möglichst auch ohne bundesweite Razzien.

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