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Meinung: Schüssel in Berlin: Die Entzauberung des Jörg H.

Nein, entschuldigen muss sich Gerhard Schröder nicht bei Wolfgang Schüssel, wie es CSU-Chef Stoiber gerade erneut gefordert hat wegen des monatelangen Boykotts Österreichs durch die EU-Partner. Schüssel ist kein Unschuldslamm, er hat mit latent antisemitischen und ausländerfeindlichen Rechtspopulisten koaliert - ein Tabubruch.

Nein, entschuldigen muss sich Gerhard Schröder nicht bei Wolfgang Schüssel, wie es CSU-Chef Stoiber gerade erneut gefordert hat wegen des monatelangen Boykotts Österreichs durch die EU-Partner. Schüssel ist kein Unschuldslamm, er hat mit latent antisemitischen und ausländerfeindlichen Rechtspopulisten koaliert - ein Tabubruch. Schröder könnte ihm aber gratulieren, um die wohl etwas steife Atmosphäre beim Fototermin heute in Berlin aufzulockern. Nach der Vorgeschichte ist es für beide nicht einfach, den richtigen Ton beim ersten bilateralen Treffen der beiden Bundeskanzler zu treffen.

Gratulieren - wozu? Nun, Schüssel hat die Zweifler widerlegt. Er hat den vor einem Jahr noch unaufhaltsam scheinenden Aufstieg des Jörg Haider gestoppt. Dessen FPÖ hatte im Januar mit über 30 Prozent die Spitze der Umfragen erreicht, deutlich vor der sozialdemokratischen SPÖ und der bürgerlichen ÖVP. Nach neun Monaten Mitregieren ist sie auf den dritten Platz zurückgefallen - mit einem Potenzial näher an 20 als 25 Prozent. Jetzt liegt wieder die SPÖ vorn mit 31, Schüssels ÖVP dahinter mit 29 Prozent. Ist es also gelungen, die Haider-Partei durch Einbindung in die Regierungsverantwortung zu entzaubern?

Vor diesem Versuch hatte die Mehrheit der politischen Beobachter in Deutschland vor einem Jahr gewarnt. Die FPÖ war bei der Parlamentswahl vom 3. Oktober 1999 auf Platz 2 geklettert, 400 Stimmen vor der ÖVP. Als Schüssel nach wochenlangen ergebnislosen Verhandlungen über eine Neuauflage der Großen Koalition Ende Januar fast im Handstreich das ÖVP-FPÖ-Bündnis schmiedete, folgten postwendend die diplomatischen Sanktionen der EU-Partner.

Die Befürchtung: Die Einladung zum Regieren sei für die FPÖ so etwas wie der demokratische Ritterschlag, der nächste Kanzler heiße umso sicherer Jörg Haider. Die Entzauberung werde schon deshalb nicht funktionieren, weil Haider dem biederen Schüssel taktisch und strategisch überlegen sei. Die ÖVP, der es ohnehin an einer klaren Identität fehle, weil sie als bürgerliches Sammelbecken von Bauern, Klerikalen und Unternehmern zu viele divergierende Interessen vertreten müsse, werde aufgerieben zwischen einer starken SPÖ-Opposition und dem unweigerlich dominierenden Partner FPÖ. Schüssel werde durch seinen brennenden Ehrgeiz, Kanzler zu sein, zum Steigbügelhalter einer autoritären Regierung.

Eine Minderheit argumentierte umgekehrt: Dreizehn Jahre Große Koalition haben Haider immer stärker gemacht. Bleibt es bei dieser Konstellation, wird die FPÖ bei der nächsten Wahl mit Abstand stärkste Partei - und Haider Kanzler. Die schwarz-blaue Koalition ist die letzte Gelegenheit, die FPÖ durch Einbinden als Juniorpartner zu entzaubern. Großsprecherei kann sich Haider nur in der Opposition erlauben, eine mitregierende FPÖ wird an den Taten gemessen.

Vor allem hat sich gezeigt, dass es der FPÖ an erstklassigem Personal mangelt. Von den sechs Ministern sind bereits drei wegen Überforderung zurückgetreten. Und als der gewohnte Erfolg in den Umfragen ausblieb, als in Steiermark die Wahl verloren ging, da wuchsen die Differenzen in den FPÖ-Reihen. Hinzu kam die Spitzel-Affäre - der Vorwurf, die FPÖ habe Polizisten bestochen, um Munition gegen politische Gegner aus dem Computersystem zu sammeln. Haider sieht darin das Ergebnis einer Verschwörung gegen die FPÖ. Doch anders als früher nutzt ihm das nicht. Umso schlimmer für ihn, wenn er sich vom Koalitionspartner ÖVP so vorführen lässt.

Und die Sanktionen? Schon möglich, dass Haider es wegen des internationalen Drucks nicht wagte, offensiver in Bundespolitik einzugreifen. Jedenfalls haben auch die Anhänger der Entzauberungs-Theorie - die in der Regel zugleich Sanktionsgegner waren - mit manchen Warnungen geirrt. Die befürchtete Trotzreaktion trat nicht ein, die Österreicher wanderten nicht beleidigt nach rechtsaußen, die Quarantäne stärkte die FPÖ nicht. Sie nützte Schüssel, nicht Haider.

Verdient Schüssel also einen Orden, weil er Europa vor einem Kanzler Haider bewahrt hat? Kleingekriegt hat Kanzler Schüssel den Rivalen Haider noch nicht, nur kleiner gemacht - doch das ist mehr, als die meisten vor einem Jahr zu hoffen wagten.

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