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Die Bundessprecher der AfD, Tino Chrupalla (links) und Alice Weidel.

© Imago/Metodi Popow

Umgang mit der rechtsextremen AfD: Verbieten oder wegregieren?

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt möchte ein Verbotsverfahren gegen die AfD verhindern. Dabei nimmt es der CSU-Politiker mit den Fakten nicht sehr genau.

Sebastian Leber
Eine Kolumne von Sebastian Leber

Stand:

Wissen Sie noch, wie das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig vor zwei Wochen das Verbot des rechtsextremen Magazins „Compact“ aufgehoben hat und dem Heft daraufhin deutschlandweit Sympathien zuflogen?

Wie Chefredakteur Jürgen Elsässer plötzlich als rehabilitiert galt und zum Zeichen der Versöhnung in den Presseclub eingeladen wurde? Wie Deutschlands Kioske das Magazin prominent in ihren Regalen platzierten, sodass „Compact“ ab sofort zwischen „Spiegel“ und „Stern“ ausliegt?

Nein, das ist natürlich nicht passiert. „Compact“ ist immer noch das rechtsextreme Magazin, das von Rechtsextremen gelesen wird. Die Argumentation der Richter, die verbotsrelevanten Äußerungen reichten in der Gesamtwürdigung nicht für ein Verbot aus, trieb die deutsche Öffentlichkeit nicht in die Arme der „Compact“-Redaktion.

Ich habe den obigen Unsinn bloß geschrieben, weil genau dies die große Angst vieler Gegner eines AfD-Verbotsverfahrens ist: dass ein Scheitern eines solchen Verfahrens die rechtsextreme Partei normalisieren würde.

Der Fall „Compact“ zeigt, wie realitätsfern diese Angst ist.

Mehr als zwei Monate sind vergangen, seit das Bundesamt für Verfassungsschutz sein jüngstes Gutachten über die AfD vorgelegt und die Partei endlich als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft hat. Seitdem wird verstärkt über die Chancen und Risiken eines Verbotsverfahrens diskutiert.

Der Innenminister verbreitet Fake News

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) lässt keinen Versuch aus, diese Debatte abzuwürgen. Dabei hat der Minister wiederholt auch Fake News verbreitet. Erst erklärte er in einem Fernsehinterview, der Verfassungsschutz habe in dem Gutachten nicht nur öffentlich zugängliche Belege zusammengetragen, vielmehr enthalte es geheimdienstliches Material und könne daher nicht öffentlich gemacht werden.

Noch ärgerlicher waren jedoch die Unwahrheiten, die Dobrindt im Haus der Bundespressekonferenz von sich gab. So behauptete er, das Gutachten beschäftige sich ausschließlich mit der Frage, ob die AfD die Menschenwürde achte. Mit den Fragen eines möglichen Angriffs auf das Demokratieprinzip sowie den Rechtsstaat beschäftige sich das Gutachten hingegen „explizit nicht“.

Doch, das tut es. Ab Seite 533 kann man es nachlesen, das dort beginnende Kapitel trägt sogar die Überschrift „Demokratieprinzip“. Wie konnte Dobrindt das übersehen?

Der Verfassungsschutz listet darin reihenweise Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen das Demokratieprinzip auf: vom Inabredestellen der Souveränität der Bundesrepublik über das Verneinen der Pressefreiheit und das Verleumden der Demokratie als Diktatur bis zum Aushöhlen demokratischer Prozesse. Es muss frustrierend sein für Mitarbeitende des Bundesamts, wenn der zuständige Minister Teile der eigenen Arbeit einfach ignoriert.

Mehrfache Irreführung

Dobrindt argumentiert, aufgrund der angeblich fehlenden Beschäftigung mit diesen Aspekten reiche das Gutachten nicht für ein Verbotsverfahren aus. Auch dies ist irreführend. Das Bundesverfassungsgericht stellte 2017 im Verfahren gegen die NPD klar: Ausreichend sei, dass sich eine Partei „gegen eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat) wendet, da diese miteinander verschränkt sind und sich gegenseitig bedingen“.

Und weiter: „Eine politische Partei, die einen der zentralen Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnt und bekämpft, kann ein Parteiverbot nicht dadurch vermeiden, dass sie sich zu den jeweils anderen Prinzipien bekennt“.

Die beiden tatsächlich wichtigen Fragen, die das AfD-Gutachten nicht behandelt, sind zwei völlig andere – nämlich die der sogenannten Potenzialität sowie der aktiv-kämpferischen Haltung. Dass ein Innenminister dies verwechselt, erschreckt.

Die Chancen des Wegregierens

Alexander Dobrindt möchte die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD verhindern. Stattdessen will er die Rechtsextremen nach eigener Aussage durch gute Politik „wegregieren“.

Kurzer Zwischenstand: Im aktuellen Politbarometer liegt der Minister bei -0,4, sein verschärfter Asylkurs zog bereits zwei juristische Schlappen nach sich und hat zu polnischen Grenzkontrollen geführt. Die Maskenaffäre von Jens Spahn weitet sich massiv aus und bringt auch Gesundheitsministerin Nina Warken wegen der Schwärzung von Akten in Bedrängnis, die Nichtsenkung der Stromsteuer erzeugte großen Unmut. Die Koalitionsparteien streiten sich um die Richterbesetzung am Verfassungsgericht. Bei einer Neuwahl hätte Schwarz-Rot im Bund keine Mehrheit. Im kommenden Jahr wird die AfD versuchen, mit Sachsen-Anhalt das erste Bundesland zu übernehmen, falls nötig, mit Unterstützung durch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

Ja, ein Verbotsverfahren gegen die AfD könnte am Ende auch scheitern. Aber die Vorstellung, ein „Wegregieren“ der Rechtsextremen durch diese Bundesregierung sei der einzig realistische Weg, kann doch um Himmels willen nicht ernst gemeint sein.

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