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Meinung: Unsere Bilder vom Untergang

Endzeitfilme haben gerade Konjunktur: Die Katastrophen darin sind global – und sie kennen oft kein Happy End. Unterbewusst prägt das die weltweite Wahrnehmung der „Krise“.

Und wie ist das jetzt mit der Rettung unseres Heimatplaneten, kommt da noch was? Ach so, die Erde – nein, das war’s. Die interessanteste Wendung in M. Night Shyamalans postkatastrophalem Science-Fiction-Film „After Earth“, der in diesem Juni in die Kinos kam, ist vielleicht das abrupte Ende. In dem Film spielen Hollywoodstar Will Smith und sein Sohn Jaden eine Mischung aus patriarchaler Angsttherapie und Videospiel-Bootcamp mit Endgegner und Abschlussprüfung durch. Vater und Sohn haben ihren Raumschiffabsturz auf die inzwischen unbewohnbare Erde überstanden. Doch während im Rettungs-Shuttle das ehedem gestörte Familienverhältnis melodramatisch-militärisch geheilt werden darf (Ich steh vor Dir stramm, mein Sohn!), hat der Film gar kein Interesse mehr an seinem dritten Protagonisten. Die Erde, auf der 1000 Jahre nach ihrem Kollaps „alles dazu mutiert ist, Menschen zu töten“ wird zurückgelassen; nicht der kleinste Hoffnungsschimmer, dass sich auch dieses Problem vielleicht noch mal lösen ließe.

Damit steht „After Earth“ in einer Traditionslinie, die seit einigen Jahren die Untergangsszenarien des populären Kinos prägt. Die gegenwärtige Aufmerksamkeit für die Welle von Katastrophen- und Endzeitfilmen dieses Sommers mit unter anderem „After Earth“, „Oblivion“, und „World War Z“ sollte nicht über Zusammenhänge hinwegtäuschen, die etwas weitreichender und älter sind. Seit 2007 boomt der Katastrophenfilm in diversen Spielformen und auf unterschiedlichen Märkten. Seine dominanten Fiktionen in Richtung totaler Bedrohung ohne Erlösung drücken sich nicht nur in der Popmusik und in einigen Top-Ten-Hits der vergangenen Jahre wie Britney Spears’ „Till the World Ends“ (2011) oder Adeles „Skyfall“ (2012) aus. Sie stehen auch in einer bemerkenswerten Beziehung zum Diskurs der internationalen Schulden- und Finanzkrise, die bis heute als Krise und Scheitern des Kapitalismus verhandelt wird.

Desaster und Schaulust sind seit jeher miteinander verbunden und Katastrophenfilme sind so alt wie das Kino selbst. Die gegenwärtige Konjunktur von Untergangsspektakeln und Endzeitvisionen unterscheidet sich jedoch in einigen Punkten deutlich von der letzten großen Dekade des Katastrophenfilms: In den 1970er Jahren entwarfen Hollywoodfilme wie „Erdbeben“ (1974), und die vierteilige „Airport“-Reihe (1970–79) noch ein bewährtes Bedrohungsszenario. Örtlich begrenzte Gefahren (ein Flugzeug droht abzustürzen, ein untergehendes Schiff hat Überlebende eingeschlossen, ein Erdbeben erschüttert Los Angeles usw.) formen eine Gemeinschaft, die zum Schluss – wenn auch dezimiert – überleben darf, weil das Schlimmste noch so eben abgewendet werden kann. Hier war Hilfe noch bombensicher und oft in Gestalt des schwergängigen Charlton Heston abrufbar, der vor lauter Zähnezusammenbeißen kaum zu Dialogen kam.

Für einen Heston-Nachfolger besteht in der gegenwärtigen Katastrophenfilmwelle kein Bedarf, die nicht nur aus Blockbustern von Roland Emmerichs „2012“ (2009) bis „World War Z“, sondern auch aus TV- und Arthouse-Filmen wie „Melancholia“ (2011) und „Das ist das Ende der Welt“ (2013) besteht. Die Tonfälle variieren zwischen Untergangs-Thriller, Dystopie, Romantik oder auch Komödie.

Ob nun der gesamte Planet Erde dank größeren Weltraumgeschehens dem Untergang geweiht ist, oder es nur den Fortbestand der Menschheit trifft: Gemeinsam ist den Katastrophen, dass sie einerseits global sind und andererseits erstaunlich häufig kein Happy End kennen. Während die 1970er-Desaster regelmäßig auf einzelne Orte und vor allem Fortbewegungsmittel beschränkt blieben, betrifft die aktuelle Kinokatastrophe immer wieder den ganzen Planeten. Und sie geschieht tatsächlich: Asteroiden führen den Weltuntergang herbei, die Erde verbrennt dank Sonneneruption, der Verfall allen irdischen Lebens setzt ein, Zombies greifen nach der Weltherrschaft, die Menschheit verliert ihre Sinne oder stirbt, wie in „The Happening“ (2008), am Psycho-Gift wehrhafter Pflanzen – Fleuropokalypse now.

Die Wechselwirkungen zwischen Inszenierungen der Popkultur und weiteren politischen und sozioökonomischen Entwicklungen sind zwar zu komplex, um sie auf einfache Antworten zu reduzieren. Zu stark bedingen sich Medien und Politiken gegenseitig. Gleichwohl lassen sich hier bei aller Vorsicht bestimmte Vorstellungen und Argumentationsfiguren wiederentdecken: dominante Fiktionen, die jene seit 2007 zunehmenden, globalen und so häufig unaufhaltbaren Filmniedergänge mit den Bildern verbinden, die zeitgleich den Diskurs zur Finanzkrise prägen.

Katastrophenbilder zu bemühen, die auch vom populären Kino verbreitet worden sind, ist ein wiederkehrendes Mittel der Veranschaulichung und Evidenzpolitik in diesem Diskurs. Exemplarisch hat der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, seine Analyse der Finanzkrise im Jahr 2010 mit Motiven des Emmerich-Films „2012“ illustriert. Jan Pieter Krahnen, Frankfurter Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung, wählte 2011 das „Airport“-Bild vom Flugzeug, bei dem die Messgeräte ausfallen. Internationale Kommentare von BBC und Handelsblatt bis zur New York Times haben seit 2011 den Begriff „Eurogeddon“ als Synomym für Europas Krise stark gemacht.

Diese Anspielung auf die endzeitliche Vorstellung der christlichen Offenbarungslehre bezeugt die Vorliebe der Bildpolitik zur Finanzkrise, auf Vollständigkeit zu setzen. Szenarien totaler Katastrophen werden entworfen, die auch aus Titelbildern wie „Geht die Welt bankrott?“ („Der Spiegel“, 2011), „Wie die Krise uns alle trifft“ („Stern“ 2009) und „Nowhere to hide“ („The Economist“, 2011) sprechen. Was den Charakter dieser Totaldesaster angeht, überwiegt die Metapher der Naturkatastrophe.

Exemplarisch wird in Nouriel Roubinis und Stephen Mihms Sachbuch-Bestseller „Das Ende der Weltwirtschaft und ihre Zukunft“ die Nähe der Wirtschaftskrise zu Wirbelstürmen betont, die sich „im Grunde vorhersehbar“ verhielten. 2008 sprach der Chef der Landesbank Baden-Württemberg, Siegfried Jaschinski, davon, man müsse „den Tornado aushalten“, und der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan von einem „Kredit-Tsunami“. Zu diesem weit verbreiteten Bild heißt es in Johan Norbergs Buch „Financial Fiasco“, der „Finanzsturm“ habe „mehr Schiffe stranden lassen als jeder natürliche Sturm jemals zuvor“.

Eine andere Variante der Naturkatastrophenanalogie liefert das Erdbeben. Etabliert wurde diese dominante Fiktion gleich nachdem die Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 Insolvenz beantragt hatte. An jenem Montag kommentierte eine geschockte Londoner Brokerin auf CNN in Anspielung auf ein Erdbeben: „It’s like a massive earthquake“ – was auch zum Titel eines am selben Tag auf „Youtube“ eingestellten Videos mit CNN-Ausschnitten wurde. Bis heute wird der Bankrott als „Lehman-Katastrophe“ oder „Lehman-Desaster“ bezeichnet und dieser erste Höhepunkt der Finanzkrise als „Lehman-Beben“ konturiert. Peer Steinbrück, im Jahr 2008 Bundesfinanzminister, brachte ein knappes Jahr später diese symbolpolitische Sicherheit auf den Punkt: „Die Lehman-Entscheidung hatte ein Erdbeben ausgelöst, weltweit.“

Freilich ist diese Rhetorik wesentlich älter als die damit klassifizierten Vorgänge. Der Kultur- und Medienwissenschaftler Ramón Reichert hat in seiner Studie „Das Wissen der Börse“ die Durchsetzung der „meteorologischen Konzeption ökonomischer Prozesse“ untersucht, die sich zum Beispiel in der Veröffentlichung des „Harvard-Barometers“ seit 1919 ausdrückten. Eine Folge dieser Fiktion ist gerade heute die Bekräftigung der „Physikalisierung der Ökonomie“, dank der die gegenwärtigen Vorstellungen neoklassischer Prägung so natürlich erscheinen wie die Gesetze der Schwerkraft. Ein entsprechendes Beispiel der Naturalisierung ökonomischer Fragen liefert die von der „Zeit“ veröffentlichte „Arena Analyse 2012“, die das Aushalten in der Krise mit dem Resilienz-Begriff der Ökologie nahelegt.

Dieses Phänomen, mittels Natur-(Katastrophen-)Analogien ökonomische Lehrsätze ins überzeitliche Recht zu setzen, ist zuletzt nachdrücklich von den Ökonomen André Orléan, Philip Mirowski und Paul Mattick jr. kritisiert worden. Sie konstatieren damit das gegenwärtige „Versagen“ bzw. die „Krise“ der Wirtschaftswissenschaft oder, wie Mirowski es ausdrückt, der „ökonomischen Erzählung“. Wenn ein ökonomisches System als natürliches Ganzes alternativlos ist, kann eine kritische Position keinen großen Schaden anrichten. Auch dies trägt dazu bei, dass einerseits allenthalben massivste Kritik am Kapitalismus vernehmbar ist, in die sogar Klaus Schwab, Gründer und Chef des Weltwirtschaftsforums in Davos, einstimmt – andererseits aber die Diskussionen um Alternativen nahezu unsichtbar sind.

Ein hierzu of bemühtes Bild ist der Slogan „Wir sitzen alle im selben Boot“, mit dem zum Beispiel 2012 Bill Clintons Buch zur Finanzkrise „Es gibt viel zu tun“ beworben wurde. Nur vermeintlich banal ist die alle Unterschiede der Notsituationen ignorierende Bootmetapher auch deshalb, weil dieses Krisenbild die Naturalisierung des Ökonomischen fortführt. Außerhalb des Boots bzw. Systems drohen wir zu ertrinken, weil das weite Wasser bekanntlich keine Balken hat.

Genau hier liegt eine von mehreren Verbindungslinien zum populären Kino seit 2007. Immer wieder wird ein weltweiter, anhaltender Niedergang ohne Zufluchtsorte inszeniert, mit dem zu leben bzw. den auszuhalten die gegenwärtige Aufgabe ist. Von außerhalb ist keine Hilfe zu erwarten, weil es kein „außen“ mehr gibt; keine Alternative, die den Weltuntergang in Filmen wie „4:44 Last Day On Earth“ (2011) oder „Melancholia“ (2009) stoppen könnte.

Während im Film diese oft unerklärte Vollständigkeit des Desasters verschwörerische Züge annimmt, wird auch der Finanzkrisendiskurs weiter von einer Vorstellung vollständiger Verstrickung in eine systemische Problematik geprägt, die darauf wartet, ob und wie sie überstanden werden kann. In beiden Fällen wird dies unterstützt durch die dominante Fiktion eines Mangels an Überschaubarkeit: Der Katastrophenfilm hat menschliche Kontrolle weitgehend dispensiert; zur Finanzkrise urteilt exemplarisch der Soziologie Ulrich Beck, „wir alle“ seien „in eine Welt katapultiert worden, die niemand mehr versteht“.

Auf diese Weise wird die Katastrophe so diffus vereinnahmend wie eine Verschwörung und die bestätigte Krise des Kapitalismus zugleich maximal dringlich und unbestimmt. Es triumphiert konspirative Totalität. Vom Boot aus ist das Meer, in dem es treibt, nicht zu überschauen.

Die Handlungsunfähigkeit, die daraus so zwingend zu folgen scheint, hat ebenso großes Potenzial zur angespannten Ruhigstellung in diesen stürmischen Zeiten, wie die Auflösung des vielleicht größten Widerspruchs im Finanzkrisendiskurs: Wie passen die Metaphern der Naturkatastrophen, die eigentlich keine Schuldfrage stellen, zusammen mit den konsequenzlosen Schuldzuweisungen in Richtung gieriger Banken, politischer Deregulierung und des Kapitalismus überhaupt? Eine Antwort gibt der veränderte Status der Naturkatastrophe im Diskurs zum anthropogenen Klimawandel. Hier versteht der Common Sense seit Jahren ein diffuses „irgendwie wir“ als Antwort auf die Frage nach den Schuldigen an den zunehmenden Naturkatastrophen.

So löst sich ein Widerspruch auf, um eine Weltgesellschaft dringlich und unbestimmt in die Pflicht zu nehmen und alert zu halten – ohne die Aussicht auf konkrete Veränderungen. „Wir“ haben gelernt, damit zu leben.

Jan Distelmeyer

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