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Ein Tornado-Flugzeug der deutschen Luftwaffe, ausgestattet mit Taurus-Marschflugkörpern.

© imago/StockTrek Images

Waffenhilfe für die Ukraine: Warum Deutschland Taurus-Marschflugkörper liefern sollte

An der Lieferung westlicher Kampfjets will sich die Bundesregierung nicht beteiligen. Dann sollte sie zumindest eine Führungsrolle bei der Bewaffnung der ukrainischen Luftwaffe einnehmen.

Ein Gastbeitrag von Fabian Hoffmann

Stand:

Langstreckenflugkörper erleichtern die Durchführung von offensiven und defensiven Militäroperationen enorm. Für eine erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine in den kommenden Monaten ist ein umfangreiches Langstreckenflugkörperarsenal deshalb unerlässlich.

Bei der Versorgung der Ukraine mit Langstreckenflugkörpersystemen sind in erster Linie die großen europäischen Staaten in die Verantwortung zu ziehen. Nicht zuletzt aufgrund des Umfangs ihrer eigenen Flugkörperarsenale haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien das Potenzial, große Hilfe zu leisten.

Insbesondere von Deutschland kann und muss an dieser Stelle viel erwartet werden. Da sich die Bundesregierung nach eigenen Angaben nicht an der Lieferung westlicher Kampfjets beteiligen will, sollte Deutschland eine Führungsrolle bei der Bewaffnung der ukrainischen Luftwaffe einnehmen.

Dementsprechend sollte die Bundesregierung den Wünschen ukrainischer Entscheidungsträger nachkommen und den Taurus-Marschflugkörper für die Ukraine freigeben.

Reichweite von mehr als 500 Kilometern

Das Marschflugkörpersystem „KEPD 350 Taurus“ hat eine Reichweite von über 500 Kilometern und ist mit einem 450 Kilogramm schweren Multi-Effekt Sprengkopf ausgestattet. Vorbehaltlich der erfolgreichen Systemintegration mit ukrainischen Kampfjets könnte Deutschland den Taurus als Langstreckenflugkörpersystem der Ukraine zur Verfügung stellen.

Die militärischen Vorteile, die der Taurus-Marschflugkörper bringt, sind beträchtlich. Zum einen erlaubt er den ukrainischen Streitkräften, Ziele tief hinter den feindlichen Linien mit hoher Präzision anzugreifen. Das wird Russland dazu zwingen, seine Nachschublager und Kommandoposten weiter nach hinten zu verlegen – was Russlands ohnehin schon prekäre Logistik- und Informationslage erschweren wird.

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Zweitens ermöglicht der Taurus dank seines spezialisierten Multi-Effekt-Gefechtskopfs, gut geschützte Ziele zu bekämpfen, die bisher unverwundbar waren. Diese Art Gefechtskopf kombiniert mehrere Sprengladungen, was die Durchdringungs- und Zerstörungskraft des Flugkörpers maximiert. Somit können selbst stark gehärtete und begrabene Bunkerziele neutralisiert werden.

Marschflugkörpersysteme wie der Taurus haben das Potenzial, die Kampfdynamiken auf dem Schlachtfeld grundlegend zu ändern und Voraussetzungen für den Sieg zu schaffen.

150
Taurus-Marschflugkörper in Deutschlands Arsenal sind einsatzfähig.

Ein Problem gibt es allerdings: Laut Berichten sind derzeit, trotz eines relativ großen Arsenals von knapp 600 Taurus-Waffensystemen, nur um die 150 Marschflugkörper einsatzfähig. Das erschwert die Lieferung größerer Stückzahlen.

Zwei Taurus-Marschflugkörper auf einem Tornado-Flugzeug der deutschen Luftwaffe. 

© imago/StockTrek Images

Einsatzbereite Systeme sollten deshalb möglichst schnell bereitgestellt und geliefert werden, während die Bundeswehr und Industrie mit Hochdruck daran arbeiten, nicht einsatzbereite Systeme in Stand zu setzen.

Deutschland könnte auch anbieten, Langstreckenflugkörpersysteme für die Ukraine zu kaufen. Die norwegische Luftwaffe etwa soll noch in diesem Jahr die „Joint Strike Missile“ vom norwegischen Rüstungsproduzenten Kongsberg erhalten, welche von F-16 Kampfjets abgefeuert werden können. Eventuell besteht hier die Möglichkeit, dass Deutschland Norwegen einen Teil der Flugkörpersysteme abkauft und den Ukrainern zur Verfügung stellt.

Um den Langstreckenflugkörperbedarf der Ukraine mittelfristig stemmen zu können, ist eine Flugkörperallianz in Europa unumgänglich.

Fabian Hoffmann

Alternativ könnte die Bundesregierung schnell die Herstellung von Langstreckenflugkörpersystemen bei deutschen oder europäischen Rüstungsunternehmen in Auftrag geben und diese den europäischen Partnern für einen Ringtausch zur Verfügung stellen. Damit würden Anreize für Partner geschaffen, schon jetzt einen größeren Anteil ihres Flugkörperarsenals an die Ukraine zu liefern, wenn es später durch deutsche Bestellungen wieder aufgefüllt wird.

Um den Langstreckenflugkörperbedarf der Ukraine mittelfristig stemmen zu können, ist eine Flugkörperallianz in Europa, ähnlich wie mit dem Leopard-2, unumgänglich. Sie muss allerdings zwangsläufig auf einer größeren Anzahl verschiedener Flugkörpertypen aufbauen, da europäische Staaten über kein einheitliches Langstreckenflugkörpersystem verfügen. 

Als erste Nation hat das Vereinigte Königreich am 11. Mai angekündigt, präzisionsgesteuerte „Storm Shadow“-Langstreckenflugkörpersysteme an die Ukraine geliefert zu haben. Deutschland sollte mit dem Taurus nun nachziehen und den Boden für eine größere Flugkörperallianz ebnen. Nur wenn ausreichend viele europäische Staaten Teile ihres Langstreckenflugkörperarsenals and die Ukraine abgeben, können diese ihr Potenzial entfalten und einen wirklichen Unterschied im Krieg machen.

Langstreckenflugkörpersysteme für die Bundeswehr

Die Weitergabe von Langstreckenflugkörpersystemen an die Ukraine wird zwangsläufig Löcher in die Munitionslager europäischer Staaten reißen. Das würde auch auf Deutschland zutreffen, sollte sich die Bundesregierung entscheiden, Taurus-Marschflugkörper aus eigenem Bestand an die Ukraine zu liefern.

Dementsprechend gilt es, die Munitionsdefizite so schnell wie möglich wieder aufzufüllen. Gleichzeitig hat der Ukraine-Krieg gezeigt, wie munitionshungrig der moderne Krieg ist. Dies betrifft auch Abstandspräzisionswaffen, die in vielerlei Hinsicht Schlüsselkapazitäten darstellen. Die europäischen Vorkriegsarsenale sollten deshalb in keinem Fall als Maßstab genommen werden.

Die Bundesregierung sollte das Flugkörperarsenal der Bundeswehr schleunigst aufrüsten. Dieses Arsenal muss in der Lage sein, Ziele in taktischer, operativer und strategischer Tiefe zu bekämpfen. Mit anderen Worten: Das zukünftige Flugkörperarsenal der Bundeswehr sollte flexibel und fähig genug sein, militärische Ziele an der Frontlinie, hinter der Frontlinie und gegebenenfalls direkt im Feindesland bekämpfen zu können.

Wichtige Signale an Partnerstaaten

Ein solches Arsenal hätte nicht nur militärisch-strategische Vorteile. Es würde auch wichtige politische Signale senden. So wäre ein umfangreiches Langstreckenflugkörperarsenal ein deutliches Zeichen an die ost- und nordeuropäischen Staaten, dass Deutschland die Verteidigung seiner Verbündeten sowie das Ziel der Nato-Vorwärtsverteidigung ernst nimmt.

Im Fall eines Angriffs würden die deutschen Langstreckenpräzisionswaffen als schlagkräftige Sofortreaktionskräfte dienen. Mit diesen Waffensystemen könnten feindliche Nachschublinien sofort unterbrochen und gegnerische Truppenkonzentrationen neutralisiert werden. Dies würde einen feindlichen Durchbruch an der Nato-Grenze deutlich erschweren.

Eine solche Strategie braucht nicht nur eine ausreichend große Anzahl an Langstreckenflugkörpersystemen, sondern auch eine diversifizierte Gruppe an fähigen Trägersystemen. Zum jetzigen Zeitpunkt hat Deutschland mit dem Taurus lediglich ein luftgestütztes Langstreckenflugkörpersystem.

Andere Staaten, wie beispielsweise die USA, China und Russland, bedienen eine größere Bandbreite an Flugkörper- und Trägerfähigkeiten.

Aber auch kleinere Staaten scheinen ein größer werdendes Interesse an einer diversifizierten Flugkörperbewaffnung zu haben. Die Niederlande etwa hat vor kurzem angekündigt, in Zukunft eine luft-, see- und landgestützte Langstreckenflugkörperfähigkeit bedienen zu wollen, und entsprechende Investitionen angekündigt.

Auch Deutschland sollte über eine solche konventionelle Triade nachdenken. Das würde nicht nur die flexibelsten Optionen im Kriegsfall bieten. Es würde auch einem gegnerischen Präventivschlag am ehesten standhalten und somit das größtmögliche Abschreckungspotenzial bieten.

Ein großes und flexibles Flugkörperarsenal könnte auch dazu eingesetzt werden, die gegnerischen Flugkörperfähigkeiten noch vor dem Start zu zerstören, gemäß dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. Dies würde auch die europäische Flug- und Raketenabwehr entlasten, welche bis auf Weiteres lückenhaft bleiben wird.

Um ein solches Flugkörperarsenal zu ermöglichen, sollte Deutschland die europäische Rüstungsindustrie schnellstmöglich mobilisieren. Da die USA selbst massiv im Bereich der Langstreckenflugkörpersysteme aufrüsten und amerikanische Industriekapazitäten beanspruchen, kann sich Deutschland in diesem Fall nicht auf die amerikanische Rüstungsindustrie verlassen – und sollte es auch nicht.

Deutschland hat exzellente Rüstungsproduzenten im Bereich der militärischen Flugkörpersysteme, die es der Bundeswehr ermöglichen könnten, ein starkes in Deutschland produziertes Langstreckenflugkörperarsenal zu beschaffen. Was notwendig ist, ist der politische Wille, ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen.

In jedem Fall wird eine leistungsstarke Bundeswehr nicht um eine diversifizierte Langstreckenflugkörperfähigkeit herumkommen. Zusammen mit der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine sollte die Bundesregierung deshalb zügig zukunftsgewandte Investitionen tätigen.

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